Giovanna Lombardo

Galan


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ist wieder da“, rief ich mit einem aufgesetzten Lächeln. Natürlich freuten sich alle darüber.

      „Wo ist er denn?“, wollte Vater wissen.

      „Er ist auf sein Zimmer gegangen, um sich ein wenig auszuruhen. Er sagte, wenn ihr zurück seid, sollen wir ihn rufen.“

      „Isma, Liebes, würdest du ihn bitte für uns holen“, bat mich Vater.

      Ich ging hoch zu Jazems Zimmer und klopfte leise an die Tür. „Darf ich reinkommen?“

      Als er bejahte, trat ich ein. Er saß immer noch in seiner Reisekleidung auf der dem Fenster zugewandten Seite des Bettes. Er sah traurig und nachdenklich aus.

      Mir wurde mulmig. Ich eilte zu ihm und nahm neben ihm Platz. „Ein Krieg gegen Capan steht uns bevor und Netan will ihn anzetteln, stimmt's?“, fragte ich vor Neugier platzend.

      Verdutzt schaute er mich an. „Woher weißt du von dem Krieg, und dass Netan damit zu tun hat?“

      „Das ist eine lange Geschichte. Nicht nur du hast viel zu berichten, auch hier ist viel passiert. Ich denke, beim Essen werden wir uns einiges zu erzählen haben.“

      „Ich weiß nicht, wie ich mein Anliegen unseren Eltern erklären soll. Bei mir hat sich was geändert.“ Auf seiner Stirn machten sich tiefe Falten sichtbar.

      Ich ergriff seine Hand und hielt sie fest. „Zerbrich dir nicht zu sehr den Kopf. Sag es einfach frei heraus und du wirst sehen, sie werden dich verstehen. Aber jetzt wird es Zeit, dass wir runter gehen. Das Essen ist fertig und die anderen wollen dich willkommen heißen.“

      „Klar, lass uns gehen.“

      Als wir in die Küche kamen, wurde Jazem von allen begrüßt. Nach Umarmungen und Schultern klopfen, setzten wir uns zum Essen. Vater unterhielt sich mit Jazem über geschäftliche Dinge. Er wollte auch wissen, ob Jazem bei seiner Schwester Lana gewesen war, und wie es ihr ging. Wir anderen lauschten gespannt der Unterhaltung.

      Später zogen sich Vater und meine Brüder ins Wohnzimmer zurück, während ich Mutter beim Abräumen half. Danach gesellten wir uns zu ihnen. Im Kamin brannte ein Feuer und einige Kerzen erhellten zusätzlich den Raum. Alles wirkte so harmonisch und friedfertig, aber ich wusste, dass es nur die Ruhe vor dem Sturm war. Doch was jetzt kommen würde, hätte ich nicht für möglich gehalten.

      Mein Vater saß wie immer in seinem Ohrensessel, meine Mutter setzte sich in ihren Schaukelstuhl und ich nahm Platz zwischen Casper und Aaron auf der großen Bank.

      Als wir alle saßen, stand Jazem auf und stellte sich an den Kamin. Sein Gesicht wie auch sein Körper waren angespannt. Die Flamme warf Schatten auf sein hübsches Gesicht, wodurch er älter wirkte, als er eigentlich mit seinen 22 Jahren war.

      Draußen wurde es langsam dunkel.

      Wir starrten gebannt auf seine Lippen, und er begann zu sprechen. „Als ich nach einem halben Tagesritt abends in die Stadt kam, fühlte ich schon die Angst und die Sorge der Menschen. Alle waren in Aufruhr, denn am Tag zuvor hatte es einige Terroranschläge mit Toten und Verletzten gegeben. Dies erfuhr ich später von einem Gastwirt in einer Taverne, die beinahe menschenleer war, weil die besorgten Bürger nach Sonnenuntergang lieber Zuhause hockten. Sie hatten sich sogar verbarrikadiert, in der Hoffnung, so sicher vor Gefahren zu sein. Der Wirt erzählte mir, dass einige Krieger aus Capan urplötzlich aus dem Nichts auftauchten und Menschen angriffen und töteten. Keiner hatte damit gerechnet. Es muss schrecklich gewesen sein.“ Jazem holte tief Luft und sprach dann weiter. „Natürlich haben alle schon Geschichten über die Capitaner gehört. Es sollen wahre Bestien sein. Die Bürger von Kanas hatten sie jedoch bis zu diesem Tage noch nie zu Gesicht bekommen. Wenn Herrscher Netan und seine Leibgarde in Kalander zu Gast waren, hielten sie ihre Gestalten stets verhüllt. Nur Herrscher Fisius bekam sie zu Gesicht. Aber was die Bürger nun erleben, erschüttert mich bis aufs Mark. Die Capitaner haben keine Ähnlichkeit mit Menschen. Sie sehen aus wie Bestien, mit langen Reißzähnen und starker Körperbehaarung. Ihre Hände gleichen Pranken mit tödlichen Krallen. Und das Abscheulichste sind ihre blutunterlaufenen roten Augen.

      Ich nahm mir ein Zimmer in der Taverne und konnte vor Angst kein Auge schließen. Am nächsten Morgen ritt ich zu Herrn Valisi. Er wohnt in einem prächtigen Haus auf einem der Hügel. Auf dem Weg dorthin, sah ich Menschen, die ihre Köpfe geduckt hielten und die bei jedem Geräusch zusammenzuckten. Es war so leise, dass ich nichts hörte fast nichts, erst recht kein Lachen. Kein einziges Kind spielte auf den Straßen. Es war gespenstisch. Überall, wo ich hinschaute, waren Krieger postiert, um die Stadt vor den Capitanern zu schützen. Ich erledigte schnell das Geschäftliche und machte mich dann auf den Weg zurück zur Taverne. Am Marktplatz gab's eine größere Versammlung. Von dem Rednerpult aus verkündete einer der Master, dass Capan Kalander frühmorgens den Krieg erklärt hat und mit Truppen einmarschiert sei. Ein schockierendes Raunen ging durch die Menge. Netan, der Herrscher aus dem Territorium Capan, hatte in alle sechs Territorien Gesandte geschickt, die Kriegserklärungen übergaben.“ Jazem holte tief Luft.

      Uns stockte der Atem.

      Nun war es so weit. Ich dachte, dass Jeremia Recht behalten hatte, wobei er mit Sicherheit nicht ahnte, dass Netan so schnell handeln würde. Ich wusste durch Jeremia, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt keine Chance haben würden, gegen die starke, blutrünstige Armee von Netan vorzugehen. Mir ging es von Minute zu Minute immer schlechter.

      Nach einem kurzen Räuspern fuhr mein Bruder fort. „Wir erfuhren, dass aus allen sechs Territorien, Master unterwegs sind. Die Master werden in den nächsten Tagen in den Hauptstädten erwartet, um alle Freiwilligen, die bei der Verteidigung helfen sollen, in die Kampfkunst zu unterweisen. Der Master von Kalander bat alle Männer, sich registrieren zu lassen. Im ganzen Territorium werden Krieger gesucht. Da wir nur eine kleine, relativ schwache Armee haben, genauso wie die übrigen Territorien, haben die Herrscher einen Sechserpakt geschlossen, um ihre Armeen gemeinsam gegen Netans Truppen in den Kampf zu entsenden. Trotz allem wird es schwierig werden, das Heer zu koordinieren, um dem übermächtigen Aggressor standzuhalten. In der kurzen Zeit wird es zudem schwierig, die neuen Krieger auszubilden.“ Er schluckte schwer und fuhr sich mit der Hand durch sein volles, helles Haar. Ganz sachlich und nüchtern erzählte er: „Am nächsten Morgen ging ich zu den ausgewiesenen Kasernen und habe mich registrieren lassen. Ich bin nur noch mal zurückgekommen, um euch meine Entscheidung persönlich mitzuteilen.“

      Danach starrte Jazem meinen Vater an, und sein Blick machte mir Angst. Nichts konnte ihn mehr aufhalten, das wusste ich jetzt. Meine Mutter schlug sich die Hände vor dem Mund und mein Vater fuhr sich nachdenklich mit einer Hand über den Bart. Wir anderen glotzten Jazem mit offenen Mündern an. Niemand sprach, nur das Schluchzen meiner Mutter war zu hören, die ihren Gefühlen plötzlich freien Lauf ließ.

      „Warum?“, schnaubte Aaron verächtlich und brach die Stille im Raum.

      „Was warum?“, fragte Jazem erstaunt.

      Aaron räusperte sich: „Warum dieser Krieg? Was will Netan?“

      Jazem versuchte, eine Antwort zu finden. „Kannst du in die Köpfe dieser Bestien reinschauen, um sie zu verstehen? Keiner kann das. Sie sind rachsüchtig und böse. Sie wollen die Menschen vernichten.“

      „Ich komme auch mit!“, entfuhr es Casper.

      Entsetzt drehte ich mich zu meinem jüngsten Bruder Casper um. Seine Miene zeigte Entschlossenheit. Ich konnte es einfach nicht glauben. Er war viel zu schwächlich, um in den Krieg zu ziehen. Bei Theran und Talon hätte ich weniger Sorgen gehabt, aber doch nicht Casper - unser kleiner Bruder.

      Das Schluchzen meiner Mutter endete abrupt. Sie fixierte ihn entsetzt. Sie konnte es kaum fassen.

      „Nein, du kannst nicht gehen. Mama und Papa brauchen dich hier. Das überlebst du nicht“, sagte ich brüsk zu ihm.

      „Ich werde gehen und ihr werdet mich nicht aufhalten!“, entgegnete er entschieden. „Ich will euch und auch mir beweisen, dass ich es kann. Ihr habt mich immer von allem ferngehalten. Der arme kleine Junge, der es noch nicht einmal schafft, bei der Feldarbeit zu helfen. Nie habt ihr mich gefragt, ob