Giovanna Lombardo

Galan


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      Während wir uns in die bequemen Sessel und auf die Couch im Wohnzimmer lümmelten, reichte uns Tante Lana Erfrischungsgetränke. Wie in alten Zeiten, dachte ich kurz. Was man sich in Kindertagen angewöhnt hatte, konnten wir uns nicht mehr abgewöhnen. Lana verschwand durch die Küchentür und wir wussten, gleich würde sie uns ein Schlemmermenü auftischen. Liebe Tante Lana. Trotzdem war diesmal alles anders. Den Anderen war die Anspannung anzusehen, denn sie blickten entgeistert ins Leere und plapperten nicht wie bei früheren Besuchen drauf los. Ich konnte die Spannung nicht mehr ertragen und folgte meiner Tante in die Küche. Sie würde Hilfe benötigen, denn sie hatte nicht mit uns allen gerechnet. Nach weniger als einer Stunde, erwartete uns ein festlich gedeckter Tisch mit den köstlichsten Leckereien.

      „Kommen noch Gäste, denn ich bezweifle, dass das alles für uns sein soll“, kommentierte mein Vater grinsend mit seinem üblichen Standardsatz das Buffet.

      Wie immer hatte Tante Lana mehr als genug vorbereitet. Es gab Brathähnchen, Maisküchlein, Kartoffelbrei, Rosenkohl, eine riesige Schüssel Salat und dazu selbstgebackenes Brot. Zum krönenden Abschluss stand Apfelpfannkuchen und Pudding bereit. „Ich war so aufgeregt, dass ich nicht aufhören konnte, zu kochen. Es war mir wichtig, dass ihr euch bei mir wohl fühlt“, setzte sie zu ihrer Verteidigung an. Aber auch den Satz kannte ich schon von ihr.

      „Das weiß ich doch.“ Keleb gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Wir sind immer gerne bei dir, Schwesterherz.“

      Kurz drauf saßen wir am Tisch und begannen zu speisen. Während des Essens sprachen wir über Belangloses. Jeder hatte Hemmungen, die jüngsten Geschehnisse zu erwähnen. Ich glaubte, dass wir zu diesem Zeitpunkt noch die Hoffnung hegten, dass das alles nicht wirklich geschah. Wir wollten die uns noch verbliebene gemeinsame Zeit genießen. Heute Abend, würde sich alles ändern.

      Irgendwann ergriff, zum ersten Mal seit wir angekommen waren, Casper das Wort. „Tante Lana, hast du gehört, ob Gesandte aus anderen Territorien angekommen sind?“

      „Ja, sie sind schon heute früh eingetroffen. Hier unten in der Stadt wurden sie noch nicht gesehen, aber ein Beauftragter von Fisius kam vor ein paar Stunden und teilte den Bewohnern mit, dass sie da sind, und dass wir sie zum Abend am Marktplatz erwarten sollen“, antwortete Tante Lana auskunftsfreudig.

      Stille legte sich über uns, und es kam mir vor, als ob jeder wild mit dem Besteck hantierte und sich schnell weitere Bissen in den Mund schob, um ja nicht reden zu müssen. Plötzlich fühlte ich eine Schwere um mein Herz. Nur noch zwei oder drei Stunden. Dann hieß es, Abschied nehmen. Mutter kämpfte schon wieder mit den Tränen. Sie neigte tief ihren Kopf, um ihre Gefühle zu verbergen. Aber wir kannten sie zu gut. Sie konnte sich nicht zurückhalten.

      Es würde nicht mehr lange dauern, bis ich Jeremia leibhaftig gegenüber stehen würde. Wie lange hatte ich diesen Augenblick erwartet, wie lange gehofft, ihm endlich zu begegnen. Er war hier, in dieser Stadt und nur eine kurze Wegstrecke trennte uns voneinander. Ich schluckte einen Seufzer herunter. Das Essen lag plötzlich wie Blei in meinem Magen.

      „Ich hole den Nachtisch“, verkündete meine Tante freudestrahlend und erhob sich vom Tisch.

      „Ich glaube, ich komme mit, um dir zu helfen, denn so wie wir dich kennen, hast du viele verschiedene Süßwaren zubereitet“, stöhnte Jazem fröhlich und folgte Tante Lana, die ihm verschmitzt zuzwinkerte, als ob sie ein Geheimnis teilten.

      „So gut kennt ihr mich also. Tja, da habt ihr wohl den Nagel auf den Kopf getroffen. Dann komm und hilf mir, Jazem.“

      Wir anderen konnten uns ein Schmunzeln kaum verkneifen. Also grinsten wir um die Wette. Sogar meine Mutter bekam ein Lächeln zustande. Als wir den Pfannkuchen und den Pudding ihn uns reinschaufelten, erzählte Tante Lana, welche derben Streiche mein Vater als Kind ausgeheckt hatte. Wie er einmal die Türklinke mit Ruß beschmiert hatte, seine Mutter unachtsam reingegriffen, und wie er dann keck zu ihr sagte, sie hätte einen Krümel im Gesicht und sie sich dann mit dem Ruß unabsichtlich das Gesicht bemalte. Die Angeschmierte wunderte sich sehr über die lachenden Gesichter und schaute später äußerst verdrießlich drein, als sie in den Spiegel blickte.

      Wir lachten und für kurze Zeit vergaßen wir, was uns erwartete, bis sich Talon erhob. „Ich möchte mich noch eine Weile zurückziehen, wenn es euch nichts ausmacht. Ich bin ein wenig erschöpft von der Reise. Tante Lana, kannst du mir ein Zimmer zuweisen?“

      „Natürlich.“ Lana begleitete Talon zu einem ihrer Gästezimmer. Theran, Casper und Jazem folgten ihr. Auch wir erhoben uns langsam vom Tisch. Meine Eltern zogen sich ebenfalls zurück, während ich den Tisch abräumte.

      Als Lana zurückkam, war ich fast mit dem Abwasch fertig. „Was machst du da? Das hätte doch nicht sein müssen“, empörte sie sich.

      „Lass mich dir helfen. Ich möchte mich nicht ausruhen, dafür bin ich viel zu aufgeregt“, gab ich ihr zu verstehen.

      „Du hast Sorge um deine Brüder und um uns. Das habe ich auch. Wir wissen nicht, was auf uns zukommt und dieses Nichtwissen bereitet mir Kopfschmerzen. Möchtest du darüber sprechen?“

      „Gerne!“ Ich war sehr froh, über dieses Angebot.

      Nach dem Abwasch bereitete uns meine Tante den Kräutertee zu, den sie immer zu machen pflegte, und wir setzten uns an den Tisch. Zu Beginn saßen wir nur so da und genossen den wohltuenden Tee.

      „Tante Lana?“, fragte ich leise.

      „Ja.“

      Tante Lana war immer eine gute Zuhörerin gewesen. Wenn es um Herzensangelegenheiten ging, gab sie immer gute Ratschläge. Ich war bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nie wirklich verliebt gewesen, aber ich konnte mit ihr über alles reden. Schon oft hatte ich ihr mein Herz ausgeschüttet, wenn wir zu Besuch kamen, wie schlimm ich es fand, dass man mir keinen Freiraum gab. Sie hatte mir so oft geholfen, indem sie mir Hoffnung machte, dass sich irgendwann alles ändern würde.

      Nun war der Tag nahe, an dem Jeremia in mein Leben treten wird, und das wollte ich ihr erzählen und natürlich auch von meiner Gabe. „Hast du schon einmal etwas von den Seelenwanderern gehört?“, fragte ich sie.

      Interessiert beugte sie sich nach vorne und stütze sich mit ihren Ellenbogen auf den Tisch, um näher an mich heranzukommen. „Warum fragst du? Von diesen Begabten hört man schon lange nichts mehr. Ich denke, dass es sie noch geben muss, denn schließlich wird die Fähigkeit vererbt. Aber sie hüten sicherlich ihr Geheimnis, um nicht entdeckt zu werden, gerade bei dieser momentanen Lage. Der Krieg betrifft alle Territorien. Jeder Herrscher würde alles dafür tun, um eine Seelenwanderin an seiner Seite zu haben. Und stelle dir mal vor, der Feind hätte eine, dann gäbe es keine Möglichkeit mehr, die Invasion aufzuhalten“, erzählte sie beunruhigt.

      „Ich bin so eine“, erwähnte ich knapp.

      Ihre Augen weiteten sich. Die Verblüffung stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Meinst du das im Ernst? Es ist wirklich keine Zeit, darüber Scherze zu machen. Und wissen das deine Eltern?“, wollte sie aufgeregt wissen.

      „Ja und meine Mutter ist auch eine. Und wie du schon sagtest, sie hält sich bedeckt. Sie hat erst vor kurzem bemerkt, dass ich auch diese Gabe besitze und hat natürlich meinen Vater eingeweiht. Das Problem liegt darin, dass ich schon seit längerem über diesen bevorstehenden Krieg Bescheid weiß. Zuerst dachte ich, es wären nur Träume, aber jetzt ist mir bewusst, dass es einen Grund gibt, warum ich das alles sehen konnte und deswegen bin ich hier. Ich muss jemanden treffen, der heute in Kanas sein wird.“

      „Und wer sollte das sein?“, fragte sie interessiert.

      Danach offenbarte ich ihr alles über Jeremia. Die Worte sprudelten nur so aus mir heraus, wie ich ihm begegnet war, bis dahin, wo ich mein Herz an ihn verloren hatte. Meine Tante hörte aufmerksam zu. Zwischendurch nickte sie aufmunternd, dann wiederum sah ich Sorgenfalten bei ihr, da ich ihr von den Zwistigkeiten mit den Capitanern berichtete. Als ich ihr dann von Narissa vorschwärmte, ergriff sie vorsichtig meine Hand.

      Sie schaute mich lange an, wie wenn ein Mensch vor ihr sitzen würde, den sie bis dato nicht gekannt hatte. „Ich überlege