Giovanna Lombardo

Galan


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hätte auch gerne jemanden gehabt, zu dem er gehen könnte, der ihn liebte, aber heute Abend würde er sich einfach auf sein Zimmer begeben und versuchen, ein wenig zur Ruhe zu kommen. Er fühlte sich leer. Die vergangenen Tage waren sehr strapaziös und sie würden anstrengender werden, viel be­lastender.

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       Was war geschehen?

       Plötzlich fand ich mich auf dem Podest wieder. Ich stand genau hinter Jeremia. Ich versuchte mich zu erinnern, was geschehen war, denn eben noch befand ich mich bei meiner Familie am Rande des Marktplatzes. Ich erkannte die Umgebung und dann fiel es mir wieder ein. Ich war zusammengebrochen und meine Seele hatte meinen Körper verlassen. Somit stand ich nun hier. Eigentlich wollte ich das aber nicht, denn Jeremias Auftritt hatte mich enttäuscht. Ich dachte bisher, er wäre liebenswert, freundlich und hilfsbereit. So als kalten Kriegsherrn hatte ich ihn vorher noch nicht erlebt. Die Art, wie er den Menschen gegenübergetreten war, hatte mich bestürzt. Ich wollte wieder zurück in meinen Körper. Meine Familie machte sich sicherlich Sorgen, aber wie sollte ich wieder zurückkommen? Das konnte ich leider noch nicht kontrollieren. Also machte ich das, was ich immer machte, wenn meine Seele meinen Körper verließ: ich beobachtete.

       Jeremia verließ mit den anderen Männern das Podest, jedoch anstatt mit den anderen zurück zum Palast zu reiten, ging er mitten durch die Menschenmenge zu einer Hütte am Rande des Marktplatzes. Ich folgte ihm. Jeremia betrat die Hütte und setzte sich an einen langen Tisch. Er begrüßte die Männer, die sich registrieren ließen. Zu allen war er sehr freundlich und zuvorkommend.

       Ich hatte mich nicht getäuscht. Ich hatte an ihm gezweifelt, dass würde nie wieder passieren. Mein Herz kannte die Wahrheit. Dies war der Jeremia, in den ich mich verliebt hatte. Dann spürte ich plötzlich einen Sog.

      

      Im nächsten Moment befand ich mich auf dem Steinboden, umringt von meiner Familie.

      „Sie wird wach. Den Göttern sei Dank“, sagte Jazem.

      Benommen schaute ich ihn an. „Mir geht es gut.“ Meine Stimme war nur ein Flüstern. „Es war einfach zu viel für mich. Euch zu verlieren bricht mir das Herz.“ Ich umarmte Jazem, weil er mich immer noch festhielt. Er hob mich hoch und stellte mich auf die Beine. Er ließ mich aber noch nicht los.

      Meine Mutter und mein Vater standen direkt neben mir und schauten besorgt. „Liebes, was ist denn los mit dir? Geht es dir gut? Möchtest du etwas trinken?“

      „Danke, aber es geht schon wieder.“ Ich lächelte sie an, aber es wirkte etwas gequält.

      „Bist du sicher?“, fragte Jazem mit gerunzelter Stirn.

      „Ja, ganz sicher.“

      Er ließ mich los und ich blickte zu meinem Kleid hinunter, um den Dreck abzuklopfen.

      Meine Mutter wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht. „Diese Menschenmassen hier lassen mir keinen Platz zum Atmen. Es ist schrecklich. Bitte Keleb, ich muss mich setzen.“

      Ihr ging es noch schlechter als mir, und ihr würde die Trennung noch schwerer fallen. Ich dackelte mit zittrigen Knien zu Theran, Talon und Casper und umarmte sie. „Ihr werdet mir so sehr fehlen. Passt bitte auf euch auf“, sagte ich traurig. Lange standen wir nur so da, bis es Zeit wurde, aufzubrechen. Jazem hatte sich schon registrieren lassen, aber meine anderen Brüder mussten noch in eine der Hütten. Sie nahmen ihre Taschen und gemeinsam gingen wir durch die Menge, um eine Hütte zu finden. Mir war nicht bewusst, dass wir genau die Hütte ansteuerten, in der Jeremia saß, bis wir davor standen.

      Panik überkam mich.

      Die ganze Zeit war es mein größter Wunsch, ihm gegenüberzutreten und jetzt, wo er nur einige Schritte entfernt war, bekam ich Panik. Nur ein Vorhang trennte uns. Aber gleich war es so weit. Ich musste mich stellen und herausfinden, ob er mein Schicksal sein sollte. Meine Familie war schon vorgegangen.

      Nur meine Tante stand noch neben mir und hielt meinen Arm. „Komm, lass uns reingehen“, sagte sie unerhört fröhlich.

      „Ich kann nicht“, gab ich zu.

      „Warum?“

      „Weil er da drin ist.“

      „Wer?“

      „Jeremia!“ Meine Tante schaute mich verdutzt an.

      „Woher weißt du das? Nein, antworte mir nicht. Ich kann es mir schon denken. Du warst ohnmächtig, und deine Seele war unterwegs.“ Ich nickte nur. Zu mehr war ich nicht im Stande.

      „Aber das wolltest du doch die ganze Zeit. Du wolltest ihn sehen“, warf sie ein.

      „Ja, aber es dann zu tun, ist leichter gesagt als getan.“

      „Isma, lass uns reingehen. Du schaffst das schon. Es hat einen Grund, dass du ihn immer gesehen hast; nun geh diesen Schritt. Es soll so sein“, ermunterte sie mich mit fester Stimme.

      Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und beugte mich ihren Worten. Ich atmete tief ein und aus, und wir betraten gemeinsam die Hütte.

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      Jeremia nahm sich die Zeit, mit jedem Mann, der ihm gegen­übertrat, einige Worte zu wechseln. Er spürte die Anspannung, die die Männer hatten und versuchte ihnen, Mut zuzusprechen. Er erklärte ihnen kurz den Trainingsablauf und was noch alles auf sie zukommen würde. Morgen früh, direkt nach Sonnenaufgang, würden sie in Gruppen eingeteilt.

      Er stand ihnen hilflos gegenüber, und das Wissen, dass viele von ihnen vielleicht ihr Leben verlieren würden, brachte ihn fast um den Verstand. Kinder, die noch nicht einmal ihr 14. Lebensjahr erreicht hatten, ließen sich registrieren. Dieser Krieg war grausam, und es machte ihn wütend.

      Nun kam eine ganze Familie herein. Er sah die Mutter, den Vater und vier Söhne, die auf ihn zukamen. Bald könnte diese Familie zerrissen werden. Am liebsten hätte er alle nach Hause geschickt und wäre alleine gegen Netan angetreten, um alle zu retten, aber das war ein Unding. Diese düstere Situation war nun mal, wie sie war, und er durfte sich nicht die Schuld dafür geben. Hoffnung sollte sein ständiger Begleiter werden, und daran wollte er sich festhalten.

      Die ältere Frau, die von zwei ihrer Söhne gestützt wurde, erwiderte böse seinen Blick. Ihre Augen weiteten sich und ihr Gesicht wurde blass. Nervös drehte sie sich um, als würde sie jemanden hinter sich erwarten, aber es kam niemand. Warum zeigte sie so eine Abneigung? Es verwirrte ihn. War es wegen ihm?

      Er erhob sich und trat auf die Familie zu. „Guten Abend.“ Er streckte dabei höflich seine Hand aus. „Mein Name ist Jeremia Nahal. Wer von euch will sich registrieren lassen?“, fragte er die Männer.

      „Ich war schon vor drei Tagen hier, aber meine Brüder wollen sich auch verpflichten. Mein Name ist Jazem DiSole und das sind Theran und Talon, unsere Zwillinge, und Casper, mein jüngster Bruder.“ Jazem antwortete für sie und zeigte auf jeden einzelnen. „Darf ich ihnen auch meine Eltern vorstellen: mein Vater Keleb DiSole, meine Mutter Kella. Meine Tante Lana Castell und meine Schwester Charisma stehen noch draußen.“

      „Es ist mir eine Freude. Aber warum kommen Ihre Tante und Ihre Schwester nicht herein?“ Er blickte auf den Vorhang.

      „Unsere kleine Schwester hat uns nach Kanas begleitet. Auf dem Marktplatz wurde sie bewusstlos. Sie braucht sicherlich noch ein wenig frische Luft“, fügte Jazem erklärend hinzu.

      Jeremia schaute auf die Mutter. Sie stand immer noch da und starrte ihn an wie einen Geist. „Gute Frau, was ist mit Ihnen? Erschrecke ich Sie so sehr? Es tut mir leid, wenn ich so brüsk erscheine. Es sind schwere Zeiten und manchmal macht mir die Bürde zu schaffen, die ich trage“, versuchte er der Frau zu erklären.

      „Nein, Sie sind sehr freundlich. Ich kann verstehen, wie hart es für einen jungen Obermaster sein muss, der so viel Verantwortung auf seinen Schultern trägt. Auch Sie haben