Giovanna Lombardo

Galan


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Tränen kämpfte. Er wollte sie nicht weinen sehen. „Ich werde alles tun, damit Ihre Söhne wieder zu Ihnen zurückkommen.“

      Dankbar ergriff sie seine Hand.

      Plötzlich überkam Jeremia ein heftiges Gefühl. Sein Herz fing an zu rasen. Er musste sich kurz am Tisch abstützen. Es war kein schlechtes Empfinden, sondern Aufregung und eine große Erwartung, irgendwie auch Vorfreude. Was um alles in der Welt war das? Jeremia schüttelte seinen Kopf. Er taumelte und rieb sich die Augen.

      „Alles in Ordnung?“ Theran kam zu ihm.

      „Ja, alles bestens“, doch seine Stimme strafte die Worte Lügen. Nichts war in Ordnung. Das Gefühl wurde immer stärker. Er neigte seinen Kopf nach unten und rang nach Luft. Aus dem Augenwinkel nahm er plötzlich eine Bewegung wahr. Der Vorhang öffnete sich und im nächsten Moment hob er den Kopf und blickte in ein wunderschönes und atemberaubendes Gesicht. Ein Gesicht, das er noch nie zuvor gesehen hatte, aber trotzdem zu kennen glaubte.

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      Ich zögerte, doch dann trat ich entschlossen durch den Vorhang. Trotz allem zitterten meine Beine kontinuierlich und meine Atmung ging stoßweise. Ich war eigentlich noch nicht bereit, ihm gegenüberzutreten. Als ich ihn erblickte, stützte er sich gerade an einen Tisch ab, als würde es ihm nicht gut gehen. Ich unterbrach in dem Augenblick meine Überlegungen, als er seinen Kopf hob und er mir direkt in die Augen schaute. Sein Blick traf mich wie ein Blitz und alles um mich herum war wie ausgeblendet.

      Ich nahm nur noch ihn wahr, als wären wir alleine.

      Wie oft hatte ich mich gefragt, wie er reagieren würde, wenn er mich zum ersten Mal sieht? Würde er einfach an mir vorbeigehen und mich überhaupt nicht sehen?

      Er erhob sich und kam langsam auf mich zu. Ich starrte ihn nur an, unfähig etwas zu sagen oder auch nur zu atmen.

      Dann stand er vor mir, als existierte nichts anderes mehr für ihn. „Charisma, Charisma DiSole“, sprach er mich an und seine Stimme war so sanft, seine Miene so weich, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Er hob seine Hand und strich mir vorsichtig über mein Gesicht, als fürchtete er, ich könnte zerbrechen. Seine starke Hand zitterte auf meiner Haut. Einen Augenblick lang dachte ich, … hoffte ich, er würde mich küssen.

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      Damit hatte Jeremia nicht gerechnet. Er kannte nicht den Grund, weswegen es ihn intuitiv nach Kanas gezogen hatte, aber dass es wegen einer Frau sein sollte, das entbehrte seiner Vorstellungskraft. Aber so war es, das wusste er jetzt. Ihr Gesicht hatte ihn verzaubert. Die Intensität ihrer Augen fesselte ihn. Das Unerklärliche, das er seit Wochen spürte, umhüllte ihn nun mit Erkenntnis. Er war sich ganz sicher, dass sie es war, die beim ihm dieses süße Verlangen auslöste. Aber wieso kam sie ihm vor wie eine alte Bekannte? Sein Herz gaukelte ihm etwas vor. Er stand vor ihr, und sie war so schön, nicht nur von ihrer äußerlichen Erscheinung, sondern auch ihr Inneres strömte eine Wärme aus. Er strich ihr über die Wange und es war ihm egal, dass ihre Familie und andere Menschen anwesend waren. Er nahm niemanden mehr zur Kenntnis, nur sie.

      Es galt als unsittlich, eine Frau in der Öffentlichkeit so zu berühren, wie er es gerade tat, aber er musste sie fühlen, ihre Haut, ihr Gesicht. Sie erwiderte seinen Blick. Empfand sie wie er? Jeremia hatte noch nie zuvor so tief empfunden. Er hatte einige Frauen gehabt, sie aber nie wirklich geliebt. Und nun stahl ihm eine Frau spontan sein Herz. In den wenigen Sekunden, in denen sie beide so dastanden, wurde für Jeremia alles anders. Er schaute auf ihre leicht geschwungenen, wunderschönen Lippen und vergaß alles, den Krieg, Narissa und sogar Galan, denn er war gefesselt von ihrer Schönheit und ihrem Liebreiz.

      „Jeremia Nahal, nehmen Sie sofort die Finger von meiner Schwester!“ Die Stimme ihres Bruders klang gereizt. Was war geschehen? Verärgert drehte sich Jeremia zu der Person um, die ihn am Arm gepackt hatte. Er funkelte ihn böse an.

      Jazem schaute wütend zurück. Man konnte sehen, wie sich sein Blick verdunkelte. „Es schickt sich nicht, eine Frau, die zufällig auch meine Schwester ist, einfach so zu berühren. Sie kennen sie noch nicht einmal.“

      Jeremia machte ein betroffenes Gesicht. Sein Verstand hatte ausgesetzt, als diese Frau in die Hütte getreten war. Er hatte sich nicht mehr unter Kontrolle. Alles um ihn herum war ihm plötzlich egal gewesen, obwohl er ein Krieger und Thronanwärter war. So etwas hätte ihm nicht passieren dürfen. Er blickte kurz zu ihr hinüber und schon wieder beschleunigte sich sein Herzschlag. Er wandte sich entschuldigend dem Bruder zu. Was hatte diese Frau an sich, dass er sich so benahm? „Es tut mir leid. Ich dachte, ich würde sie kennen“, antworte Jeremia beschämt und trat einen großen Schritt zurück.

      „Das glaube ich nicht. Meine Schwester ist nie aus Kalander herausgekommen.“ Jazem war sehr aufgebracht.

      „Es ist schon in Ordnung. Beruhige dich mein Sohn“, sagte der Vater zu Jazem und klopfte sachte auf seine Schulter.

      Jazem drehte sich verblüfft zu seinem Vater um. „Wie kannst du so etwas sagen? Es geht um deine Tochter. Keiner hat das Recht, sie zu berühren, nicht einmal er“, fuhr er, auf Jeremias zeigend, vorwurfsvoll seinen Vater an.

      „Lass es bitte gut sein, wir erklären dir das später. Wichtig ist jetzt nur, weshalb wir hier sind“, befahl sein Vater.

      „Theran, Talon und Casper schreibt euch bitte ein! Es ist schon spät. Wir möchten alle nach Hause. Der Tag war lang.“ Seine Söhne fügten sich seiner Aufforderungen. Jazem war seine Wut anzusehen, doch er tat, worum er gebeten wurde. Die Brüder traten an den Tisch und ließen sich registrieren.

      In der Zwischenzeit stellte sich Jeremia ein wenig abseits. Er hatte nie die Absicht gehabt, jemanden zu verärgern. Warum hatte der Vater so merkwürdig reagiert? Warum war er nicht wütend gewesen, und was wollte er seinem Sohn erklären? So viele Fragen, aber er selbst hatte auch Fragen, auf die er Antworten finden wollte. Er musste allein sein, um seine Gedanken zu ordnen, konnte aber auch nicht diese Hütte verlassen, so lange sie noch da war. Diese wunderbare Frau war zurückgewichen und stand nun verlegen wieder am Eingang. Er konnte seine Augen nicht von ihr lassen. Diese Erwartung und das Verlangen, das ihn in den letzten Wochen begleitet hatte, pochten wild in seiner Brust. Konnte es wirklich Charisma sein, die es in ihm auslöste? Was ging hier vor? Er wollte zu ihr gehen, konnte es aber nicht tun, da er Jazem nicht noch mehr verärgern wollte. Er wollte sie aber auch nicht gehen lassen, aus Angst, sie nie wieder zu sehen. Sie sah so bezaubernd und so rein aus, wie sie so dastand. Ihre blonden Haare fielen gewellt über ihre Schultern. Sie trug ein sehr elegantes, grünes Kleid, das ihre Augen wie Smaragde leuchten ließ. Ihre Haut war zart wie Porzellan, und in seiner Fantasie begann er ihre Haut wieder zu streicheln. Nein! Das musste aufhören. Er kannte sie nicht wirklich. Er hatte sie noch nicht einmal sprechen hören und schon überkam ihn der Wunsch, ihre Stimme zu hören. Er begehrte sie. Mehr als alles, was er je begehrt hatte.

      Die Brüder hatten sich eingeschrieben und die Kampfausrüstung erhalten. Sie schickten sich an, die Hütte zu verlassen. Der Vater blieb vor Jeremia stehen und reichte ihm zum Abschied die Hand. Auch die Mutter und die Tante verabschiedeten sich. Die Frauen trugen ein seltsam wissendes Lächeln auf den Lippen. Drei Brüder salutierten, während Jazem ihm keines Blickes würdigte. Jazem versuchte erst gar nicht, seine Abneigung gegenüber ihm, Jeremia, zu verbergen. Toll gemacht, dachte er sich. Das Letzte, was er wollte, war ein wütender Bruder, der ihn nicht leiden konnte.

      Charisma machte nicht den Eindruck, gehen zu wollen. Sie schaute in seine Augen. So viel Wärme und Traurigkeit lag in ihnen.

      Plötzlich trat ihr Bruder Jazem erneut in die Hütte. Jeremia sah, wie erbost er war. Ungewollt lauschte er ihrem Gespräch.

      „Was willst du hier noch?“, verlangte Jazem von seiner Schwester zu wissen.

      „Jazem, bitte, ich komme gleich nach“, sagte sie kleinlaut.

      Der Bruder musste sich zwingen, freundlich und ruhig zu bleiben. „Ich möchte, dass du sofort mitkommst!“

      „Du weißt nicht, worum es geht. Bitte vertraue mir.