Giovanna Lombardo

Galan


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      „Soll das bedeuten es gefällt euch nicht?“ Mein Gesicht war schon leuchtend rot.

      Jazem ergriff endlich das Wort. „Wer ist das?“

      „Hör auf mit dem Blödsinn. Es ist mir schon peinlich genug. Gefällt es euch nicht? Ich kann mich noch schnell umziehen, bevor wir gehen.“ Ich drehte mich um und wollte aus dem Zimmer stürzen, aber Tante Lana hielt mich fest.

      „Blödsinn, natürlich gefällt es ihnen. Sie haben dich nur noch nie so gesehen“, meinte sie.

      Alle nickten gleichzeitig, sagten aber immer noch nichts.

      „Dann sagt doch bitte etwas“, bat ich flehend.

      „Du bist ja eine wunderschöne Frau. Mein Gott, wann bist du denn erwachsen geworden?“, fragte mich mein Vater, erhob sich vom Sessel und kam auf mich zu. Mit beiden Händen packte er meine Schultern. Er schaute mich intensiv an, bevor er mich in den Arm nahm. Ich beobachtete dabei die anderen, die langsam aus ihrer Erstarrung erwachten. Sie standen einer nach dem anderen auf und kamen zu mir.

      „Wahnsinn, unsere kleine Isma ist erwachsen geworden“, riefen Theran und Talon gleichzeitig, dabei zwickten sie mich in den Arm. Langsam löste sich mein Vater von mir.

      Meine Mutter nahm mich in ihre Arme. „Jeremia wird dich nicht mehr gehen lassen, wenn er dich zu Gesicht bekommt“, flüsterte sie mir stolz ins Ohr.

      Mein Herz hüpfte vor Glück.

      Plötzlich sagte Casper zu mir: „Warum machst du dich eigentlich so schick? Wir gehen doch zu keiner Hochzeit. Ich bezweifle, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um sich so elegant zu kleiden. Das ist mehr als ungünstig.“

      „Und wenn es nur dafür sein sollte, damit ihr eure Schwester so in Erinnerung behaltet“, konterte meine Mutter.

      Wir standen noch eine Weile so da und sprachen über meine Verwandlung. Sie begutachteten mein Kleid und machten mir viele nette Komplimente. Ich war ganz aufgeregt.

      Das war noch mal gut gegangen. Nur meine Eltern, Aaron und meine Tante wussten Bescheid und für weitere Erklärungen hatten wir sowieso keine Zeit mehr.

      „Wir müssen jetzt los“, ermahnte Vater uns.

      Ich hatte nur meinen Reiseumhang dabei, der nicht wirklich zu meinem Kleid passte.

      Aber meine Tante hatte schon mitgedacht. Sie eilte in ihr Zimmer und holte mir einen eleganten, cremefarbenen Mantel, den sie mir umlegte. „Nun bist du bereit“, sagte sie und drückte mich noch einmal.

      Gemeinsam verließen wir das Haus und machten uns auf den Weg zum Marktplatz.

      Je näher wir kamen, desto gedrückter wurde die Stimmung. Die Gassen waren mit Leuten überfüllt, die in die gleiche Richtung strömten wie wir. Auf dem großen Platz standen die Menschen so dicht aneinander gedrückt, dass ein Vorbeikommen kaum noch möglich war. Alle redeten durcheinander. Lautes Stimmengewirr hing in der Luft. Ich konnte von unserem Platz aus noch nicht einmal das Podest sehen, auf dem die Gesandten, Krieger und natürlich Jeremia stehen sollten.

      Meine Hoffnung schwand dahin. Langsam senkte ich meinen Kopf und meine Verzweiflung wuchs. Ich würde ihn gar nicht sehen können. Und er würde mich auch nicht sehen, bei der Masse an Menschen.

      Sollte das alles gewesen sein?

      Kapitel 8

      Jeremia stand auf dem höchsten Hügel und blickte über die riesige Stadt Kanas. Hinter ihm erstreckten sich die weitläufigen Gärten von Fisius, dem Herrscher des Territoriums Kalander. Die Häuser standen spiralförmig dicht beieinander und umschlossen den Marktplatz, der inmitten der Stadt lag. Fünf große Hauptstraßen führten geradewegs von den hohen Stadtmauern in das Zentrum. Von dort führte nur ein Weg hoch auf den höchsten Hügel, wo er sich gerade befand. Eigentlich hätte er nicht kommen brauchen. Die Gesandten würden alle Freiwilligen registrieren und auf die Kämpfe vorbereiten. Trotz allem hatte er das starke Bedürfnis, selbst nach Kalander zu reisen. Warum? Er wusste es nicht. Er folgte einer Eingebung, die er nicht beschreiben konnte.

      Die Reise davor zu Versons Territorium hatte ihn viel Überwindungskraft gekostet. Ob es die richtige Entscheidung gewesen war, die Verlobung mit Narissa einzugehen zum Wohle von Galan? Er zweifelte, würde sie aber trotzdem heiraten. Narissa erhoffte sich so viel von ihm, was er momentan nicht zu geben in der Lage war. Er glaubte, dass Liebe das Wichtigste für eine Beziehung sein sollte, doch er liebte sie nicht und er bezweifelte, dass er es jemals lernen könnte. Nun hatte er es seinem Vater und sich selbst versprochen, alles Menschenmögliche zu tun. Vielleicht würde er mit den Jahren zumindest ein gewisses Gefühl von Freundschaft und Verständnis für Narissa aufbringen können, aber momentan hegte er keine Zuversicht.

      Es galt sich auf den kriegerischen Konflikt mit dem Territorium Capan zu konzentrieren, denn die Wiederherstellung des Friedens und das Überleben der Galaner hatte für ihn Priorität.

      Da blieb nur wenig Zeit, den frischen Rekruten die Kriegskunst zu lehren. Nach langen Verhandlungen mit Fisius, bekräftigten sie ihr Bündnis, und nun war die erste Aufgabe, die sechs Territorien zu einem Militärpakt zu vereinen, vollbracht.

      Die Gesandten machten sich bereit, in die Stadt herunterzureiten. Doch er wollte noch einen Augenblick allein sein, um hier im einsamen Garten seine Gedanken zu ordnen.

      Seit Wochen hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden, aber nie konnte er jemanden sehen. Das Seltsame daran war, dass er dieses Gefühl, auch schon hatte, wenn er sich alleine in seinem Schlafzimmer aufhielt. Erst dachte er, seine Nerven spielen ihm einen Streich, durch den enormen Druck, der auf ihm lastete. Doch irgendwann merkte er, dass dies mehr als Einbildung sein musste. Es fühlte sich gut an, nicht bedrohlich. Es war sogar etwas Liebenswertes und Beschützendes. Dann gestern Nacht am Lagerfeuer hatte er wieder diese Gegenwart gespürt, so als würde jemand ihn berühren. Er bemerkte plötzlich einen Hauch auf seinen Lippen. Dabei spielten seine Gefühle verrückt. Er spürte eine innere Erregung. Es kam ihm so wirklich vor, so richtig.

      Nun war er hier in Kanas. Irgendetwas trieb ihn voran, irgendetwas führte ihn hierher. Die Anspannung und die Sehnsucht nach etwas Unbekanntem ließen einfach nicht nach. Heute würde etwas passieren!

      Noch einmal schaute er auf die Stadt herunter, bevor er zu seinen Begleitern zurückkehrte.

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      Ich hatte die Hoffnung aufgegeben, Jeremia sehen zu können. Der Marktplatz wurde immer voller und Leute drängten und drückten sich gegenseitig. Plötzlich sah ich, dass die Menge sich auf der Westseite teilte. Die Gesandten auf ihren Pferden bahnten sich ihren Weg zum Podest. Voraus ritten die Fahnenträger. Der erste Reiter trug unsere Farben, Blau und Gelb, danach folgte die Farben von Cavalan, Rot und Gold, das Territorium von Jeremia. Die nächsten Reiter trugen die Fahnen von Nalada, Falan, Trianda und Vrehan. Die Fahnen aller sechs Territorien wurden präsentiert. Die Menschen jubelten, als sie über den Markt ritten. Nun folgten die Gesandten. Fisius ritt voran und dann erblickte ich Jeremia. Er ritt genau hinter Fisius, Gerrit an seiner Seite.

      Mein Herz setzte für einige Schläge aus, und ich rieb meine verschwitzten Hände an meinem neuen Kleid ab. Sie zitterten.

      „Ist er das?“, wollten Mama und Tante Lana hoffnungsvoll wissen.

      Ich nickte nur, denn zu mehr war ich gerade nicht in der Lage. Ich wollte zu ihm, aber ich fand keinen Weg. Die Menschen vor mir bildeten eine undurchdringliche Mauer. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um ihn besser sehen zu können. Mühsam quälten sich die Pferde durch die Menge. Jeremias ausdrucksloser Blick war auf das Podest gerichtet. Er wirkte angespannt. Ich kannte ihn noch nicht lange, aber seine Gesichtszüge hatten sich in mein Gedächtnis geprägt, und es war ihm anzusehen, dass er eine schwere Bürde trug.

      Endlich hatten sie ihr Ziel erreicht. Sie stiegen von ihren Pferden ab und schritten die Stufen zu der Empore hoch. Oben angekommen, hob Fisius beide Hände, um den Bürgern zu signalisieren, dass er nun sprechen wollte.