Giovanna Lombardo

Galan


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das Frühstück. Kurze Zeit später trat meine Familie in die gute Stube.

      Mein Vater umarmte mich und lächelte vielsagend. Mutter hatte mit ihm gesprochen, und er wollte mir mit dieser Geste zeigen, dass er Bescheid wusste.

      „Guten Morgen, kleine Isma.“ Brasne grinste mich an.

      „Du siehst ja richtig erholt aus. Hast du endlich mal durchgeschlafen?“

      Ich nickte. „Ja, und ich fühle mich wirklich besser.“

      „Gut so, du sahst nämlich schrecklich aus in den letzten Tagen. Es freut mich, dich wieder ausgeruht zu sehen.“

      Auch Aaron, die Zwillinge und Casper wünschten mir einen Guten Morgen, bevor sie sich auf das Essen stürzten. Nach dem Frühstück verlief alles wie gewohnt. Sie zogen sich warm an, denn draußen war es morgens schon recht kühl.

      Schweigend halfen Casper und ich meiner Mutter noch in der Küche. Ich beobachtete Casper und fragte mich, worüber er grübelte. Manchmal schien es, dass er in seiner eigenen kleinen Welt lebte.

      Als wir fertig waren, nahm auch ich meinen Mantel und wanderte in den Stall, um meiner täglichen Arbeit nachzugehen. Heute sollte Aaron meinem Vater und den Zwillingen helfen, deswegen war ich alleine im Stall. Ich beeilte mich, die Kühe zu melken, die Tiere zu füttern und die frischen Eier zu holen. Die Milch und die Eier brachte ich ins Haus. Anschließend schleppte ich Strohballen vom Karren in den Stall. Diese Arbeit war eher für kräftige Männer, aber Aaron war nicht da, deswegen machte ich mich selber daran. Ich hatte keine Angst vor schwerer Arbeit. Wie oft musste ich hören, dies sei nichts für Frauen, aber das spornte mich nur noch mehr an. Ich konnte anpacken, das hatte ich gelernt. Irgendwann machten die Jungs Bemerkungen, dass an mir ein Junge verloren gegangen sei.

      Na und!

      Ich war schließlich mit sechs Brüdern aufgewachsen. Leider hatte ich nicht oft die Gelegenheit, meine weibliche Seite zu zeigen. Es gab jährlich zwei Dorffeste, die wir gemeinsam aufsuchten. Ich sah aber keinen Grund, hübsche Kleider anzuziehen oder mich aufzutakeln. Warum auch? Die jungen Männer schauten fast nie zu mir herüber, aus Angst, dass meine Brüder es bemerkten. Zwischendurch erhaschte ich Blicke einiger junger Männer, die aber sofort wegschauten, wenn ich es bemerkte. Immer wieder stellte ich mir die Frage, ob ich überhaupt attraktiv war? Klar, meine Eltern, wie auch meine Brüder machten mir oft Komplimente, aber das zählte nicht wirklich.

      Narissa hatte bildschön in ihrem kostbaren, eleganten Kleid ausgesehen. Ihre Schönheit und ihr Kleid ließen mich neidvoll schwärmen. Es gab keine vergleichbare Frau wie sie. Die Schönste aller Schönen. Und was war ich dagegen? Ein hässliches Entlein. Ich hatte keine Chance, ihr einen Mann auszuspannen, so sehr ich mich auch anstrengen würde.

      Vergiss es, redete ich mir ein. Trotzdem wurmte es mich, dass ich Jeremia abschreiben sollte. Ein tiefer Seufzer kam aus meinem Mund. Dieser starke Krieger, dieser anbetungswürdige Ehrenmann, Sohn eines Herrschers, reich und berühmt. Er war so stattlich, männlich, verwegen, gutaussehend, prächtig und attraktiv. Eine kleine nichtssagende graue Maus, wie ich eine war, würde er auf jeden Fall übersehen. Und doch gefiel mir die Vorstellung, dass ich an seiner Seite schritt. Ich mit meiner armseligen saloppen Kleidung und er mit seiner eindrucksvollen eleganten schwarzen Uniform. Wie grotesk! Ich sah sein Gesicht, seine makellose Schönheit und dann sah ich mich. Nein, es war unmöglich, dass er sich je für mich interessieren könnte.

      Außerdem war er vergeben. Ich durfte nicht darüber nachdenken. Was für einen Sinn hatte es eigentlich, dass ich in meinen Träumen zu ihm geführt worden war? Wollten die Götter mir einen Streich spielen oder gab es noch eine höhere Aufgabe, als sich zu verlieben?

      Trotz dieses Widerspruchs sehnte sich mein ganzer Körper, diesen Mann zu berühren und zu küssen. Ich war ihm verfallen. Ich begehrte ihn so sehr, dass es schmerzte, als würde meine Seele ihm gehören und ich wäre nur noch eine leere Hülle.

      Erschöpft durch das Tragen der Strohballen, setzte ich mich einen Moment auf das ausgebreitete Stroh. Es piekste auf meiner Haut. Trotz allem machte ich es mir so bequem wie möglich. Ich legte mich hin, verschränkte die Arme hinter meinem Kopf und wollte einfach nur nachdenken. Ich, eine Seelenwanderin!

      Das veränderte alles. Dank meines Großvaters hatte ich nicht nur Schreiben und Lesen gelernt, sondern auch ein umfangreiches Wissen von ihm gelehrt bekommen. Diese Möglichkeit blieb den einfachen Leuten normalerweise verwehrt. Zusätzlich wusste ich jetzt, dass ich außerdem die besondere Gabe einer Seelenwanderin besaß. Es öffnete sich mir eine neue Welt. Ich war jetzt etwas ganz Besonderes.

      Vielleicht hatte ich eine göttliche Aufgabe zu erfüllen? Dies gab mir neuen Mut. Uns würden schwere Zeiten bevorstehen, aber ich würde mich dagegen wappnen und meinen Platz in dieser Geschichte finden.

      Ich durfte Jeremia nur als Krieger sehen, und die Gefühle, die ich für ihn empfand, musste ich ausblenden. Ich war stark, ich musste stark sein. Und das würde ich auch sein. Entschlossen stand ich auf und ging Richtung Wohngebäude. Als ich ins Freie trat, fuhr mir der kalte Wind ins Gesicht. Instinktiv schloss ich meine Arme um meinen Körper, um die Wärme unter meinem Mantel zu halten.

      Schnelle Hufschläge näherten sich unserem Hof und ließen mich aufblicken. Ich erspähte auf dem Hügel ein galoppierendes Pferd mit meinen Bruder Jazem als Reiter. Er kam von seiner Geschäftsreise zurück. Zwei Tage war er weg gewesen und nichts war mehr so wie vorher. Ich hatte mich verändert. Freudig erregt lief ich ihm entgegen, froh, ihn heil wiederzusehen.

      Als ich ihn erreichte, schwang er sich graziös von seinem Pferd und umarmte mich stürmisch. „Am Schönsten ist es doch immer zu Hause“ sagte er mehr zu sich selber als zu mir. „Ich bin so froh, dich zu sehen. Es waren zwei harte Tage und es gibt Neuigkeiten. Ich habe euch so viel zu berichten, aber lass uns warten, bis wir alle beisammen sind“, keuchte er aufgeregt. Er führte das Pferd am Zügel zum Stall, wo er es absattelte und in seine Box entließ.

      Ich schlenderte neben ihm her, um dann gemeinsam mit ihm die Türschwelle des Wohngebäudes zu übertreten.

      Prompt kam Mutter uns freudestrahlend entgegen gelaufen. Sie umarmte meinen Bruder auf Herzlichste und zog ihn mit sich in die Küche.

      Wie ein drittes Rad am Wagen trottete ich hinterher. Aus dem Ofen kam uns warme Luft entgegen, so dass wir uns eiligst unserer Mäntel entledigten. Es duftete lecker. Wir setzten uns an den gedeckten Tisch. Mein Magen fing an zu knurren.

      „Wie war es?“, wollte Mutter von Jazem wissen.

      „Die Reise war anstrengend, aber Herr Valisi und ich haben gemeinsam den Vertrag ausgehandelt und er hat unterschrieben“, antwortete Jazem stolz.

      „Da wird sich dein Vater freuen. Aber erzähl mal. Gibt es Neuigkeiten in Kanas?“

      Kanas ist die Hauptstadt von Kalander. In der dicht besiedelten Stadt lebten viele Menschen unterschiedlicher Klassen. Auf den Anhöhen und Hügeln standen die Villen und Prachtbauten der Reichen, in erster Linie waren das Gelehrte, Gesandte und wohlhabende Geschäftsleute. Auf dem höchsten Hügel stand der Palast unseres Herrschers Fisius. Er war ein Mann mittleren Alters, der erst seit kurzem sein Amt als Herrscher angetreten hatte, da sein Vater vor zwei Jahr verstarb. Damals, bei der Amtseinführung und Titelverleihung, wurde ein riesiges Fest gefeiert, zu dem alle Einwohner von Kalander eingeladen wurden. Auch wir waren angereist und besuchten, bei der Gelegenheit, Tante Lana, die Schwester meines Vaters. Fisius galt als gütig und gerecht. Das Volk war ihm sehr zugetan. Dementsprechend groß fiel der Jubel aus, als er die Regentschaft übernahm.

      „Es gibt besorgniserregende Ereignisse, die sich zugetragen haben, aber das erzähle ich euch nach dem Essen. Ich möchte mich kurz etwas frisch machen und bis die anderen da sind, gehe ich hoch, um mich ein wenig auszuruhen“, sagte Jazem zu uns.

      Mutter nickte enttäuscht. Besorgnisfalten zogen sich über ihr Gesicht. Sie ahnte, dass es nicht nur gute Neuigkeiten gab. Wusste er mehr über die Kriegsgerüchte?

      Jazem stand auf und verschwand aus der Küche, während Mutter und ich uns schweigend anschauten. Keiner sprach ein Wort. Was hätten wir auch sagen sollen? Wir wussten beide,