Daimon Legion

Mit schwarzen Flügeln


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Lücke ausfüllt, ist unser Credo, ihr Knecht zu sein. Nicht mal seine Meinung kann man hier frei äußern ...“

      „Natürlich nicht.“ Raziel hob mit einem vielsagenden Blick die weißen Brauen und führte ihn ein paar Schritte über den Platz.

      „Ich verstehe deinen Zorn. Doch wenn du fluchst, wird sie das auch bald zu hören kriegen. Der Rat hat überall seine Spitzel und du stehst ganz oben auf der Überwachungsliste. Mir blieb dieses Prozedere in letzter Zeit erspart – weil ich meinen Mund nicht so weit aufreiße. Behalte deinen Spott an Gott lieber für dich, Luzifel. Sie kann wie du andauernde Kritik nicht leiden.“

      „Und was rätst du mir stattdessen?“

      „Deinen Unmut sein zu lassen und dich auf die Arbeit zu konzentrieren. Du kannst eh nichts machen. Der Himmel ist Gottes Refugium und du bist bloß ein Engel. Sie hat Gewalt über dich. Beweg dich in deinen Kreisen und lass das Große Ganze Gottes Angelegenheit sein.“

      „Hast du denn keine Zweifel?“

      „Oh doch, aber die sag ich ihr nicht auch noch ins Gesicht, mein Freund. Was ich dir schon als meinen Leidensgenossen anvertraue, ist riskant genug. Du trägst leider dein Herz auf der Zunge. Denk dir in Zukunft deinen Teil – bisher sind unsere Gedanken frei.“

      „Ja, bis sie die löscht!“, ermahnte ihn Luzifel.

      Schmunzelnd deutete der Richter den Spott: „Du warst immer der schwierigste Charakter von uns, Luzifel. Kamael meint gern, dass das viele Dämonenblut, was du vergossen hast, dich selbst verunreinigt hat. Du hast beunruhigende Züge an dir, dieses trotzige, halsstarrige Handeln. Das wird dir noch eines Tages den ganzen Kopf kosten, nicht nur ein paar Erinnerungen.“

      „Kamael ist auch nur ein Idiot von vielen. Warum bist du eigentlich nicht der Oberste im Hohen Gericht? Du bist wesentlich mächtiger als er.“

      „Auf die Verantwortung hatte ich keine Lust“, meinte sein Freund entschieden.

      „Aha ...“, kaufte er ihm das nicht ab.

      Ihren zweisamen Spaziergang unterbrach ein Kadett, der salutierend vor Luzifel auftauchte.

      „Gardeführer, verzeiht die Störung, ich habe eine Frage!“

      „Na, dann frag doch“, sagte er ungezwungen locker.

      „Ich habe über den Großen Krieg nachgedacht, Herr. An all die Toten damals. Wir kämpfen noch heute gegen die Brut Satans, die unsere Vorväter vernichtete.“

      Luzifel nickte. „Und?“

      „Aber auch die Dämonen kämpfen gegen uns, weil Engel viele von ihnen töteten. Das Töten bringt Hass hervor, der sich nicht auslöschen lässt. Ich sehe es kommen, dass unser Zwist Äonen währt, es sei denn eine Seite unterliegt. Dieser Streit wird noch viel mehr Leben kosten. Sollte man nicht etwas dagegen tun?“

      „Und was, Kadett? Hast du eine Idee? Zum Beispiel mit Satan reden und Frieden stiften?“

      „Ähm ... Nein, das ist doch utopisch, Herr. Mit diesem Wilden kann man kein klares Gespräch führen. Aber vielleicht kann man all die Dämonen ... einfangen. Und wegsperren.“

      Sarkastisches Lachen erfüllte den Kampfplatz und Luzifel hielt sich die Rippen. „Als wenn das ginge! Wir können allein unsere Sünder kaum in den Kerkern fassen, geschweige denn ein ganzes Volk von Dämonen! Da brauchen wir einen echt großen Käfig, Kleiner! Selbst der Frieden zwischen uns ist realistischer als das!“

      Raziel und der Kadett blickten einander an, verwundert über den lachenden Gardeführer hinweg, und nach einer Weile sagte der Richter ernst: „Das ist nicht so lustig, wie du denkst, Luzifel. Ich finde es sogar höchst erschreckend. Unsere Zukunft erscheint mir deprimierend und vom Kampf beherrscht.“

      Unbekümmert zuckte der die Schultern. „Und wenn schon, diese Aussichten sind wie geschaffen für mich. So werde ich ewig weiter morden, im Auftrag unserer glorreichen Herrin! Ist das nicht perfekt?

      Ach, und übrigens: Gott hat sowieso den Sinn für Humor bei mir vergessen.“

      „Ja“, bestätigte Raziel zerknirscht, „ebenso deiner Zunge einen Zaum zu verpassen.“

      „Wer mich zum Schweigen bringen will, muss mich schon töten“, winkte der Schwarzhaarige entschlossen ab.

      Es eilte nicht, nach Azilut zurückzukehren.

      Keiner ließ nach ihm schicken und mit kleineren Anliegen käme Samael zurecht, dass es sich Luzifel leisten konnte, nach der Visite der Kasernen einen Gang durch die Straßen Beriahs zu machen. Ein wenig durch den Anblick des bürgerlichen Lebens den Frust vertreiben, den er noch immer wegen seiner Gedächtnislücke verspürte.

      Gemütlich ging er die Handelsmeile entlang. Beschaute einige der ausgelegten Waren, ohne jedoch übermäßiges Interesse zu zeigen. Dem mit Orden bestickten Jackett des Gardeführers hatte er sich entledigt, um ungestört mit der breiten Masse zu verschmelzen, aber sein Gesicht war in den oberen Himmelssphären zu bekannt.

      Alle paar Schritte hielt ihn ein Engel auf, begrüße, beglückwünschte und umschwärmte ihn mit Lob, küsste ihm die bleichen Finger. Und solche Tölpel lockten noch mehr an, dass er zeitweise sogar in einer Traube gefangen war. Gerade viele der unteren Triade achteten ihn aufrichtig und verloren kein schlechtes Wort über die Schattenbereiche seiner Karriere. Ihre glänzenden Augen beschämten ihn und er versuchte hastig, die jeweiligen Bewunderer schnell hinter sich zu lassen.

      Er war nicht das, wofür sie ihn hielten. Er war nur ein Schlächter. Müde vom Kampf, doch unfähig, diesem zu entfliehen. So oft konnte er sich die Hände waschen – das Blut, was an ihnen klebte, würde er stets mit sich herumtragen. Der Gestank des Todes würde ihn ewig begleiten.

       Bis in alle Ewigkeit.

       Ich will das nicht mehr hören!

      Eine Schülergruppe aus einem Hain kreuzte seinen Weg. Artig, wie man es ihnen beigebracht hatte, ging ihre Gruppierung in Zweierreihen hintereinander, gekleidet in hellblaue Tuniken, die blonden Köpfchen ordentlich gebürstet und die kleinen Gesichter zeigten immer ein freundliches Lächeln. Selbst ihm gingen diese frischen Jungengel bloß bis zur Hüfte.

      Ihre Erzieherin, ein Engel in geschlossener weißer Robe und mit Haube, erblickte Luzifel mit einem tiefen Atemstoß der Überraschung und Ehrerbietung.

      „Seht, Kinder, welch Glück wir haben“, tönte sie freudig und wies auf ihn, „dies ist der Gardeführer persönlich, Luzifel Morgenstern, Gottes bester Krieger und der schönste aller Engelsfürsten!“

      Sie erwähnte weitere Übelkeit erregende Huldigungen auf seine Person, die Luzifel aber nicht mehr wahrnahm. Sein Bauchgefühl drängte ihm zur Flucht, doch schon war er wieder von allen Gaffern umringt. Die blauen Augen der Küken betrachteten ihn von oben bis unten.

      „Der ist aber klein“, hörte er sie wispern.

      „Ist das wirklich der Morgenstern? Hab ihn mir irgendwie anders vorgestellt.“

      „Ja, wie Herrn Michael ...“

      „Ob er so stark ist, wie alle sagen?“

      Luzifel verkniff sich einen bissigen Kommentar.

      Plötzlich bemerkte er, wie die Erzieherin ihn streng musterte. Seine laxe Haltung, seine störrischen Locken, die weiße Uniform zerknittert über die Schulter gelegt ... Sie wollte ihren kleinen Schülern ein makelloses Bild liefern, doch er spielte nicht mit.

      „Also, mein Herr -“, setzte sie zu einer Rüge an, jedoch war seine Zunge wiedermal schneller.

      „Schwester, ich bin nicht im Dienst.“

      Ja, alles musste im Reich Gottes sauber sein. Alles sollte passen. Und was nicht ganz passte, wurde so lange manipuliert und rundgeschliffen, bis es die lästigen Ecken und Kanten verlor, die es in seiner Vollkommenheit störten. Wer sich dennoch wehrte, war verloren.

      Sollte er es diesen