Daimon Legion

Mit schwarzen Flügeln


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Selbst wenn man viel Schlechtes von ihm sagte und seine Flügel mit Blut befleckt waren, ehrte Samael ihn treu ergeben und würde mit ihm seine Feinde vernichten, wenn Luzifel es nur verlangte.

      Der Malach wäre bereit, alles für den Morgenstern zu tun.

      Zum wiederholten Male ordnete Samael Papiere und Dokumente, welche auf einem wachsenden Stapel im Büro auf dem Tisch seines Herrn lagen, als er glaubte, in dem stillen Gebäude Schritte zu hören. Schritte, die seinen Ohren bekannt vorkamen.

      Hoffnungsvoll blickte er auf und wurde nicht enttäuscht: Luzifel marschierte zur Tür herein. Und mit ihm der saure Gestank von Dämonenblut.

      „Mein -“, wollte der Untergebene ihn begrüßen, doch Luzifel blockte mit einer Handbewegung ab, warf sich in seinen Lehnstuhl und schwang die schlanken Beine samt blutverkrusteter Armeestiefel auf die sauber polierte Tischplatte.

      „Spar dir Fragen, auf die du die Antwort erahnen kannst, Sam!“, sprach der Engelsfürst grimmig. „Und wenn du die Antwort kennst, rate ich dir zu schweigen, denn ich würde diese Sache gern für mich behalten.“

      Samael betrachtete ihn analysierend.

      Also, er hatte mit Dämonen gekämpft und nicht wenige getötet. Erster Fakt. Der zweite war, dass man nur im Hades auf sie treffen konnte und einen Befehl von Gott oder dem Rat brauchte, um dort unten zu jagen – er hatte es unerlaubt getan. Folglich hatte er wieder einmal seine Privilegien gedehnt und gesteckt und sich über gottgegebenes Gesetz gestellt. Sollte Gott davon erfahren, würde sie ganz schön ungehalten sein, weswegen er ja den Mund halten sollte.

      Wenn nicht, brachte Luzifel ihn bestimmt zum Schweigen.

      „Ich verstehe, Herr“, neigte er demütigt sein blondes Haupt.

      „Gut. Was habe ich verpasst?“

      Seufzend lockerte Samael seine steife Haltung. „In welcher Reihenfolge soll ich Euch mitteilen, wer wegen Eures Verschwindens ungehalten ist?“

      „Der Wichtigkeit abfolgend“, wedelte Luzifel leichtfertig ab.

      „Gott wünscht Euch zu sprechen, Herr.

      Egal, wann Ihr wieder zugegen seid, Ihr sollt schleunigst zu ihr ins Tribunal kommen und hören, was sie Euch zu sagen hat.“

      „Ich soll mich bei ihr entschuldigen? Wofür, eh? Dafür, dass diese -“, wollte er wettern, aber sein Sekretär schüttelte den Kopf.

      „Nein, sie verlangt keine Entschuldigung. Jedenfalls wurde darüber nichts gesagt, und ich weiß auch gar nicht, worum es in Eurem Streit mit Gott geht ... Allerdings scheint das Thema wichtig zu sein, dass es keinen Aufschub mehr duldet.“

      „Ja, sie ist Gott und Gott lässt man nicht warten“, fauchte Luzifel unwillig. Offenbar war er nach all dem Töten immer noch mit Wut geladen. „Und wer steht sonst noch auf der Abschussliste?“

      „Ratsherr Metatron -“

      „Der kann warten, bis er schwarz wird und verfault“, meinte sein Herr barsch. „Befassen wir uns erst mal mit einem Übel.“

      Sandalphon und sein lästiger Zwillingsbruder waren nicht anwesend, als Luzifel den Ratssaal betrat, und diesen nach kurzer Umsicht durchquerte, um auf die im Schatten der hohen Goldsäulen liegende Tür zuzugehen. Dahinter befand sich ein weiterer pompöser, mit weißem Marmor ausgeschmückter Säulenraum, an dessen Ende, unter reich verzierten Baldachinen, Gottes goldener Thron auf einer erhöhten Plattform stand, zu dem eine Reihe flacher und breiter Treppen führte.

       Wie würde wohl ein Gegenstück dazu aussehen?

      Der Ratssitz seiner obersten Herrin war leer.

      Führte sie ihn hinters Licht? Beobachtete sie ihn heimlich? Er hatte keine Lust auf die kindischen Spielchen einer verzogenen, egoistischen Rotzgöre. Ihn aus Rache unsinnig lange warten zu lassen hielt er extrem kleingeistig für eine sogenannte allmächtige Lebensform.

      Sie war fehlbar. Man musste nur den Willen aufbringen, ihr zu trotzen, und das wusste er. Ihr göttlicher Glanz war nur Zierde für die Dummen. Ihn verblendete sie nicht mehr.

      Gemächlich schritt er auf den Thron zu und betrachtete alles ganz sachlich.

      Von dort sah sie hinab auf ihre Engel, die in respektvollen Abstand vor ihr knien mussten. Vor ihr, dem höheren Wesen, das alles aus dem Nichts heraus geschaffen hatte und alles auch ins Nichts zurückwerfen konnte. Sie, das Alpha und das Omega. Der Anfang und das Ende. Fluch und Segen.

      Jahwe spielte mit der Furcht ihrer Diener.

      Er betrat eine der aufsteigenden Stufen. Erst zögerlich, doch mit einem zweiten Schritt wurde er mutiger. Kein Donner drohte, kein Blitz schlug ihn nieder und er ging nicht in Flammen auf. Noch eine Stufe. Und noch eine.

      Fünf Sprossen weiter stand Luzifel schließlich vor Jahwes Punkt der Macht. Aufrecht.

      Dann wagte er das Undenkbare: Auf ihren Thron ließ er sich nieder. Blickte von ihrer Position aus über den Saal hinweg und es brauchte nicht viel an Vorstellungskraft, um die Niederen dort unten zu erblicken. Wie sie ihre Häupter vor ihm neigten, vor Luzifel Morgenstern – Gott. Ein so viel besserer Gott als dieses unwürdige, überhebliche Kind, das mit Leben wie mit Puppen spielte. Was gäbe es für Möglichkeiten, wenn er an Jahwes Stelle die Autorität besäße?

      In ihm rührte sich ein Verlangen, ein Drang, der nach außen stoßen wollte. War dies sein wahrer Platz, seine Bestimmung? Herrscher eines Volkes zu sein? Und dieser Thron ...

      Luzifel sprang auf und hastete die Treppen hinunter, gerade noch rechtzeitig, denn Jahwe erschien wenige Augenblicke später in der Halle.

      „Da bist du ja wieder“, begrüßte sie ihn erstaunlich kühl mit dünnem Lächeln. „Na, wo sollst du auch anders hin? Hier ist schließlich dein Zuhause!“

      Weil er nichts erwiderte, schritt sie mit erhobenem Kinn an ihm vorbei, die Treppenstufen hinauf und, auf ihrem Sitz Platz nehmend, fuhr sie fort: „Mein kleiner Luzifel, ich will nicht mit dir streiten. Du hast einen törichten Fehler begangen und der sei dir ausnahmsweise vergeben. Ich kenne dich und dein feuriges Temperament zu gut und bin deshalb nicht nachtragend.“

       Klar, ich bin an allem schuld ...

      „Aber besorgt stelle ich fest, dass du dir auffällig viele Gedanken machst. Und diese Gedanken scheinen deinen Starrsinn mit Unzufriedenheit zu paaren. Das gefällt mir nicht. Wenn das so weitergeht, muss ich böse mit dir werden.

      Man erzählt sich Schlechtes von dir. Du verspürst Zweifel an mir, deinem Gott. Erweist mir nicht den gewünschten Respekt. Du widersetzt dich dem Zweck deiner Existenz, folgst nur mäßig meinen direkten Befehlen und begehrst gegen mich auf.

      Deine Position als mein Erster ist kein unantastbares Privileg, Luzifel. Du hast eindeutig zu viele Freiheiten. Vergiss nicht, wo du stehst. Unter mir.

      Ich habe beschlossen, dir eine neue Aufgabe zuzuteilen, weil der Dienst bei der Weißen Garde dich nicht genügend in Anspruch zu nehmen scheint. Diese Aufgabe ist komplex und wird deine ganze Aufmerksamkeit fordern – Schluss mit einfältigen Gedanken.“

      Er hob die feinen Augenbrauen. Das konnte sie zwar so oft sagen, wie sie wollte und noch öfter konnte sie seine Erinnerungen fälschen, jedoch ließe er sich nicht von seinem Begehr abbringen. Seine Meinung zum gegenwärtigen Machtregime stand unveränderlich fest. Und je mehr sie auf ihren Status pochte, umso störrischer würde er werden.

      „Ich habe eine neue Schöpfung kreiert, Luzifel“, redete Jahwe weiter, „und du sollst ihr Diener sein.“

      ... Was? Hatte er sich verhört? Er, Diener einer neuen Perversität Gottes?

      Bevor er den Mund aufmachen konnte, gebot ihn Jahwe zu schweigen, und erklärte: „Ja, du hast richtig gehört.

      Du sollst dieser Schöpfung dienen. Alle Engel Gottes sollen sich vor ihr niederwerfen, denn sie ist mein Meisterwerk. Ich dulde keine Widerworte und werde jeden strafen,