Daimon Legion

Mit schwarzen Flügeln


Скачать книгу

führe Euch, Fürst Morgenstern“, meinte der wachhabende Engel, der ein stattlicher Kerl war. Hochgewachsen und kräftig wie Michael. Vielleicht gehörte er sogar zu den Mächten.

      Sich nicht dagegen sträubend, ging Luzifel mit ihm, durch mehrere Türen und Gänge. Nirgends waren Kerker zu sehen, nur Verwaltungsräume und Unmengen Papierkram. Samael musste hier wohl überaus glücklich sein, liebte er doch diese ganze steife Bürokratie.

      Tatsächlich fanden sie den Malach bis zum Hals begraben unter Aktenordnern, Büchern und Schriftstücken. Der weit offene Blick des Engels hatte etwas euphorisch, war jedoch nichts gegen die überschwängliche Freude, als er seinen alten Chef erkannte. Gleich einer gespannten Metallfeder sprang er auf und schüttelte Luzifels Hand. Redete überschwänglich schnell Floskeln der höchsten Verehrung.

      Dem Wachposten wurde das bald zu viel und er ließ beide allein. Die schlichte Tür wurde nach ihm geschlossen.

      Sofort änderte sich der manische Ton in Samaels Stimme ins ernste Sachliche: „Wir nutzen die Wachablösungen, um in die unteren Kerker zu gelangen. Wenn wir schnell sind, schaffen wir das in einem Ruck. Hinaus kommen wir, indem wir die Patrouillengänge abwarten. Natürlich wäre es besser, wenn wir die so schnell es nur geht überzeugen könnten, sonst machen die sich im dritten Himmel Gedanken, wo du bleibst!“

      „Von mir aus sag ich denen, ich bin mit dir einen Tee trinken gegangen oder so was ...

      Die Kerker sind also unten? Wozu dann dieser Hochbau?“ Er würde nie den Sinn und Nutzen der Justiz und ihrer Bauherren kapieren.

      „Die Räume oberhalb sind für die Bequemlichkeit der Wachposten und anderer Sphärenbewohner. Mein Zimmer ist auch dort, aber das ist jetzt nicht wichtig.

      Unsere neuen Freunde sind jedenfalls ganz tief unten und du solltest all deinen Charme spielen lassen. Doch wenn nur die Hälfte von den Gerüchten stimmt, die man sich von ihnen und ihrer Wut auf unsere derzeitige Führungsspitze erzählt, dann sind wir gut dran.

      Groß vertrauen würde ich denen aber trotz allem nicht.“

      „Und wieso?“

      „Es sind Söldner! Ist dein Angebot weniger wert, werden sie dir in den Rücken fallen!“

      Luzifel klopfte ihm auf die Schulter und seufzte. „Sollten sie das tun, kann ich von Glück reden, wenn ich nachher noch Zeit und Leben habe, um es ihnen heimzuzahlen.

      Jetzt los und lass uns nicht weiter schwatzen.“

      Samael war so klug, dass er die genauen Abläufe des Schichtwechsels schon am ersten Arbeitstag studiert hatte und jetzt jedes Detail aus dem kleinen Zeh heraus wusste. Keiner bekam sie zu Gesicht, als sie einen stillen Korridor passierten, seitlich eine steile Wendeltreppe abgingen und in einen neuen Gang eintraten.

      Der Mauerstein veränderte sich mit jedem Treppenweg, den sie betraten und Luzifel fühlte bald ein gewisses Unwohlsein. Es erinnerte irgendwie an den Hades und seine trübe Stimmung. Obgleich es irgendwie noch kälter, nasser, hässlicher wurde. Das Licht der Fackeln glimmte nur noch spärlich, und als er die Wände entlang tastete, berührte er angewidert feuchtes, nach Schimmel stinkendes Moos.

      Nein, hier wollte man nicht die Unendlichkeit absitzen.

      Wenn ein Gefangener seinen Verstand nicht bereits verloren hatte, würde er sicher hier drinnen wahnsinnig werden. Zusammengekauert würde der abgezehrte Körper in einer Ecke hocken und sich wiegend mit dem letzten Funken Rationalität wünschen, jemand würde ihn töten.

      „Ein guter Beweis dafür, was die liebe Jahwe bereit ist, ihren Engeln anzutun, sobald die anfangen, aus der Reihe zu tanzen. Wie siehst du das, Sam?“, lachte Luzifel kalt und sein Atem stieg in kleinen Dunstwölkchen nach oben. „Und die in Azilut denken weiter, alles ist schön und weiß.“

      „Sie wissen es nicht anders. Auch ich hab es nicht glauben wollen, bevor ich nicht die Zellen sah. Gott schickt die Untauglichen auf einen quälenden Pfad des Leidens. Die Anstaltsleiter sprechen hierbei von ‘Reinigung’ und ‘Maßregelung’. Ich finde das grausam.“

      Samael trat die letzte Stufe hinunter in einen schmalen Flur. Nur eine Fackel brannte hier und die nahm er aus der Halterung, um ihre nächsten Schritte zu beleuchten.

      Im schwachen Feuerschein erkannte Luzifel eiserne Gitterstäbe und roch etwas Süßlich-Herbes. Einen ekelerregenden Geruch, den er sonst nur von alten Schlachtfeldern her kannte: Verwesung. Im Schatten der Löcher mussten unzählige Gebeine verrotten.

      „Wie viele waren hier?“, fragte er seinen Getreuen.

      „Es wurden viele aus dem Register gestrichen. Sehr viele. Sie töten sich oft gegenseitig. Die, die lebenslänglich einsitzen, sehen im Tod die einzige Chance zur Flucht. Je tiefer die Zelle, umso mehr steigt der Todeswahn. Aber erstaunlicherweise sind die sieben noch immer lebendig. Man sagt, sie würden eher den Tod absorbieren, anstatt dass er sie holt.“

      „Ich mag die alle jetzt schon.“

      Langsam gingen sie weiter.

      Der Schlauch endete in einer schaurigen Katakombe, deren Decke kuppelartig, ja porös auf sie herabschaute. Derbe Risse durchzogen den Stein wie fremdartige Schriften, Eiswasser tropfte von den schwarzen Wänden und kreisrund war die Gruft mit noch gespenstischeren Kerkern umsäumt.

      So könnte man sich die Hölle vorstellen, dachte Luzifel und pfiff leise, was in der Leere schallte.

      Hier, am Ende eines Daseins, welches niemals mehr das helle Licht der Sonne sehen würde, erklangen Stimmen in der Dunkelheit. Und die schienen recht amüsiert.

      „Na, na, na ... Wer traut sich denn da zu uns Abschaum hinunter?“, höhnte eine Männerstimme.

      „Wenn das einer mitbekommt, kriegt ihr mächtig Ärger!“, flötete verspielt eine Frau.

      Ein zweiter Weibergesang trällerte süß wie schräg ein Liedchen:

      „Die kleinen Küken scheuen nicht,

      Und zu uns kommen ins Dunkellicht.

      Welch schöner Engel, der Morgenstern,

      Er leuchtet auch für uns so fern.“

      „Danke für diese spontane Einlage“, grinste Luzifel und spähte in den Zellenschatten. „Aber mit kleinen Gedichten verschwendet ihr euer Talent. Hat euch das Gefängnis zu Sängern gemacht oder seid ihr noch immer Krieger?

      Ich würde euch gern einen Vorschlag machen, wenn ihr denn daran interessiert seid, wieder Wind in den Flügeln zu spüren.“

      Vielstimmiges Gelächter antwortete ihm.

      Samael und Luzifel traten näher an die Höhlen heran und der Schein der Fackel erhellte undeutlich die verwahrlosten Gestalten von sieben dreckigen, ausgemergelten Engeln. Ihre Haare wirkten allesamt verfilzt und die Haut zeugte nicht mehr von der göttlichen Makellosigkeit. Die grauen Kleidungsstücke waren armselige Lumpen, welche bloß noch notdürftig zusammenhielten.

      Als das Feuer in ihre empfindlichen Augen fiel, verstummten sie ruckartig und zogen sich in die Finsternis zurück wie lichtscheues Ungeziefer.

      Luzifel kannte die verstoßenen Grigori aber gut genug von früher, um jedes schäbige Antlitz sofort beim Namen zu wissen. Jedenfalls die Namen, die ihnen einst gegeben waren. Nur existierte nicht mehr viel von Veriel, Foziel, Thorael, Kianael, Sharuel, Luriel und Bartonel.

      Die zarte, verführerische Schönheit der schwarz gelockten Venus Lux täuschte über all die Gräuel hinweg, die sie mit ihren Geschwistern zum Vergnügen beging. Dagegen war der sehnige Frozener Ace eher ein Tunichtgut und Faulpelz, der gähnend zusah, während andere arbeiteten. Der Drittjüngste war ein fetter, blondbärtiger Teutone und nannte sich jetzt Tonnar Gul, bekannt für seine Maßlosigkeit. Seine Schwester Kija Su schätze allein die eigene Schönheit, wogegen Chatus Ira, der muskulöse Hüne, den meisten Gefallen an Krieg und Zerstörung fand. Die bleiche Lissa Invi war das zänkischste, neidvollste Weib, was je im Himmel wanderte, und wurde in ihren Taten nur von dem