Daimon Legion

Mit schwarzen Flügeln


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wollen wir gegen diesen Menschen vorgehen, uns Gott ins Gedächtnis rufen und ihr zeigen, wer wirklich ihre größte Schöpfung ist? Wie wollen wir den freien Willen erlangen? Gott hat ihn uns nie gegeben.“

      Luzifel führte ihn mit sich und sagte selbstsicher: „Das, mein Freund, besprechen wir gemeinsam.

      Wir werden eine Lösung finden. Was uns nicht gegeben wurde, können wir erlangen. Wenn wir es wollen. Jahwe wird nicht einmal merken, was vor sich geht.

      Wir tun, was sie verlangt. Nur nicht, wie sie es verlangt!“

      Samael grinste breit vor Freude, mit seinem Herrn so vertraut im Bunde zu sein. „Ihr werdet Gottes wahres Gesicht entlarven! Alle Engel werden Euch aus Dank verehren, mein Herr! Ihr bringt den Engeln die Freiheit.“

      „Das ist vielleicht recht hochgegriffen, Kleiner. Ich bin auch nur ein Engel ...

      Und du, als mein Waffenbruder, hör besser auf, mich ‘Herr’ zu nennen.“

      „Jawohl! ... Meister.“

      „Sam ...“

      6

      Das, was sie zur Vorbereitung ihres ausgeklügelten Konzepts brauchten, war Zeit.

      Gegen alle Erwartungen war es sogar Jahwe, die Luzifel diese gewährte, gedacht zur Planung seiner neuen Position. Weil er sein Anwesen in Azilut vorerst räumen musste, um ein bescheidenes Quartier in Sagun zu beziehen, mussten seine Bediensteten versorgt werden, allen voran natürlich Samael.

      Schon bei ihrem Gespräch unter vier Augen fiel Luzifel auf: Der Junge war ein perfekter anonymer Intrigant. Er hatte gute Zeugnisse, galt als loyal und tugendhaft. Wenn er nicht freiwillig in seinen Dienst übergegangen wäre, hätte sich jede Abteilung um einen Musterknaben wie ihn gerissen.

      Mit dem Gewinn an Zeit ordnete Luzifel an, dass Samael versetzt wurde. Von Sandalphon, der gern seinem Wunsch nachkam, in die Verwaltungsabteilung des Engelsgefängnisses der fünften Sphäre Machon.

      Das geschah natürlich nicht ohne Hintergedanken. Alle, die dort einsaßen, hatten einen Groll gegen Gott sowie den Hohen Rat und für seinen Putsch brauchte Luzifel Verbündete.

      Weil es aber unmöglich war, jetzt schon einen Massenausbruch zu organisieren, konzentrierten beide Verschwörer sich auf den schlimmsten Kern an dauerhaften Sträflingen.

      Samael durchforstete rasch die Akten der Insassen und fand die gefürchteten Todsünden, einen Haufen todbringender Söldner, die dem verfallen waren, was Jahwe selbst als „nicht würdig für einen Engel“ bezeichnete. Die sieben nannten einander Geschwister, da sie wie Luzifel und Michael dem Licht eines gemeinsamen Sternes entsprangen, der gemeinhin als Kriegsstern bezeichnet wurde.

      Im Großen Krieg waren sie ganz nützlich gewesen ... Jedenfalls die meisten von ihnen. Man handelte sie als die besten Kämpfer im Diesseits. Nach dem Sieg hatten sie mit ihren Künsten allerdings ausgedient und frönten abartigen Neigungen, jeder auf seine persönliche Art und Weise. Sie entsagten ihren Engelsnamen und wurden von der Weißen Garde gefangen genommen – was nicht ohne Verluste geschah.

      Zu ihrem Glück erfolgte die Festnahme auf Metatrons Befehl, weswegen Luzifel hoffte, nicht ganz bei ihnen in Ungnade zu stürzen und sie für seine Sache zu gewinnen.

      Mit ihnen in Kontakt zu treten, war jedoch nicht einfach.

      Es gab ein kurzes Zeitfenster an dem Tag, wenn Luzifel den siebten Himmel verlassen musste und das würden sie vorsichtig nutzen. Samael würde dafür sorgen, dass niemand ihr Gespräch behelligte.

      Eine erste Hürde wäre geschafft.

      Luzifel hatte nicht erwartet, dass überhaupt jemand seinen Auszug aus Araboth mitbekam. Doch zu seiner Überraschung verabschiedete die Weiße Garde ihren Anführer – bis auf Weiteres – mit Ehrensalut und Zivilisten bejubelten ihn mit Glückwünschen für seine neue Arbeitsstelle. Sie vermuteten, es sei ein würdevolles Amt, das Gott persönlich nur ihm zugesprochen hätte – was deutlich von ihrem blinden Vertrauen zeugte.

      Wenn sie wüssten, dass er zu einer Missgeburt geschickt wurde, die Jahwe ihnen vorzog, wäre es wohl eher zu einem wütenden Mob gekommen, der eine Exekution von ihm verlangte.

      Nun ja, wenn sie bald die Wahrheit erfahren, bekämen sie noch früh genug ihre Chance, dachte er grinsend.

      Von dem Grigori Ramuel verabschiedete er sich freundschaftlich mit Handschlag, was einige gut Betuchte seltsam fanden und verstohlen tuschelten.

      Allerdings waren nicht nur Freunde und Bewunderer anwesend, um Luzifel Glück zu wünschen. Kamael trat ihm entgegen, gerade als er durch die Stadttore Aziluts gehen wollte, und in seiner Begleitung waren Gabriel und Uriel.

      Er erinnerte sich an die kürzliche Heimlichtuerei der beiden Erzengel während der Feierlichkeiten in Jahwes Residenz. Gut möglich, dass sie zu diesem Zeitpunkt schon etwas von seiner neuen Position geahnt hatten. Den Ratsmitgliedern war ja der Mensch bekannt und diese feigen Jasager akzeptierten ihn bedingungslos.

      Und was den Großrichter anbelangte, zog der nur eine so säuerliche Miene, weil Luzifel es wieder mal geschafft hatte, nicht hinter Schloss und Riegel zu landen. Zwar hätte er dann leichter mit den Todsünden kommunizieren können, wenngleich das wenig nützte.

      „Hast du mir etwas zu sagen, oder versuchst du mich so lange angaffen, bis dir die Augen rausfallen?“, spottete der Schwarzkopf über die Silbersträhne.

      „Gott ist viel zu nachsichtig mit dir. Sie lässt sich von deinem hübschen Glanz ebenso blenden, wie du all die anderen Unwissenden um dich herum täuschst. Doch merke dir gut, deine Schönheit ist vergänglich und ist sie fort, wird man dein wahres Wesen erkennen. Niemand wird dich mehr beachten. Du stehst dann allein“, faselte Kamael.

      Luzifel stöhnte gelangweilt auf. „Wenn du je meine Sicht der Dinge verstanden hast, wirst du deine eigene Dummheit begreifen.“

      „Deine Sicht der Dinge!“, höhnte Kamael dreist. „Du bist töricht, Morgenstern!“

      „Nein, ich sehe als einziger Engel klar.“ Damit ließ er die Ratsmitglieder stehen, trat aus der Stadt und spannte seine weißen Flügel auf, um zum Fluss zu fliegen.

      Diesmal würde es für Charon keinen Sold geben.

      Lethe zog sich spiralförmig abwärts durch ein undurchsichtiges weißes Wolkenmeer. Nach einigen Flugminuten erschien der Bootssteg zur sechsten Sphäre blass im dichten Nebel und zog schemenhaft vorbei. Nach etwa der gleichen Zeitspanne tauchte auch der Anlieger zu Machon auf und Luzifel bog ab.

      Er schwebte über eine karge Landschaft aus weißem Sand und silbernem Stein hinweg und erblickte bald am flachen Horizont die hochgezogenen Mauern aus Stahl und Dornendraht, die das Gefängnis der Engel umgaben – neben einem tiefen Graben, der alles verzehrendes Feuer und Rauch spuckte.

      Nah über dem Luftraum der Festungsanlage fliegend, spürte er, dass die weißen Flügel sich gegen seinen Willen zurückziehen wollten, was ihn zur Landung zwang. Es war göttliche Magie, denn man wollte schließlich gewährleisten, dass kein Insasse unbedacht davonflattern konnte.

      Die letzten Meter mussten also zu Fuß gegangen werden. Eine Brücke half bei der Überquerung des fremdartigen Feuergrabens und Luzifel klopfte an das schwere Eisentor.

      „Wer da?“, rief eine Stimme dahinter.

      „Engelsfürst Morgenstern“, stellte er sich ehrlich und gleichmütig vor.

      „Was ist Euer Begehr?“

      „Ich möchte zu Samael, dem Malach. Er stand bis vor Kurzem in meinem Dienst. Ich will sehen, dass es ihm an nichts mangelt.“ Das war nicht gelogen und würde keinen Verdacht erregen – vorausgesetzt die Todsünden würden in Zukunft zu ihrem Abkommen schweigen.

      Dem Torwächter schien die Antwort zu genügen, denn die Barriere schwang laut ächzend zur Seite.

      Luzifel trat ein,