Daimon Legion

Mit schwarzen Flügeln


Скачать книгу

wegen Gardeführer, Seraph, Kriegsheld und Gottes geliebter Engel. Alles mehr Schein als Sein.

      Er war niemand.

      Er hatte nur das Glück, begünstigt zu sein.

      Jahwe spürte seine Enttäuschung und setzte kalt nach: „Und im Übrigen, dummer kleiner Luzifel: Du bist mein Spielzeug. Wenn ich dir wegen deines neuartigen Starrsinns überdrüssig werde, werfe ich dich fort, und nehme mir einen neuen Liebhaber.

      Keiner wird meine Entscheidung infrage stellen, weil ich Gott bin. Und du bist mein Diener.“

      Das war zu viel. Er musste hier weg.

      „Bleib sitzen!“, befahl Gott. „Wage es nicht, mich lächerlich zu machen!“

      Seine Glieder gehorchten ihr nicht. Sie zitterten, statt still zu stehen.

       Raus. Raus!

      „Luzifel!“

       RAUS!

      Bevor er sein Handeln begreifen konnte, rannte er aus der Loge, unkoordiniert, doch er rannte. Ohne zu beachten, dass einige sein Gehen interessiert verfolgten.

      Der Schmerz seiner Wut drohte ihn zu zerreißen. Tränen stahlen sich aus seinen Augen und verschleierten ihm die Sicht auf die Straßen. Ein paar Mal stieß er mit jemanden zusammen, aber er rannte weiter.

      Er war ihr nichts wert. War entbehrlich, austauschbar. Sie schlug ihm die Wahrheit hart ins Gesicht. Alles, was er besaß, waren diese unzähligen Ketten, die ihn an eine Lüge fesselten. Sein ganzes Leben stützte sich bloß auf ihre Gunst und Grausamkeit. Auf ein Sklavendasein. Stets zu Diensten.

      Ja, er war ihr meistgeliebter Engel. Doch nur, solange er mitspielte. Solange er alles tat, was sie wollte, war er dieses Trugbild aus falschem Glanz und gekauftem Ruhm. Wenn sie seiner dann müde wurde, verlor sie das Interesse und er sein Selbst.

      Ein Gott besaß kein Herz. Denn das machte verletzlich und fehlbar. Und Gott ist ohne Fehler.

      Wer war er?

      Was war er?

      Wem machte er hier etwas vor?

      Seine Existenz war ein albtraumhafter Versuch. Ein undurchdachtes Experiment. Der Erste seiner Art. Belastet mit allen Komplikationen. Mit einem schwachen, brechenden Herzen. In der traurigen Gewissheit, weggeworfen zu werden und namenlos zu vergehen.

      Wäre er frei ... freien Willens ... könnte er entfliehen ...

      Abrupt blieb er stehen.

       Frei?

      Es dämmerte ihm.

       Ich habe mich ihr widersetzt.

      Sie hatte ihm befohlen zu bleiben und er war gegangen.

      In der leeren Gasse stehend, wurde ihm heiß und kalt. Die Tränen trockneten auf seiner Haut.

       Was habe ich getan?

       Ich habe ihr nicht gehorcht.

       Wie ist das möglich?

       Und was soll ich jetzt tun?

       Wohin jetzt?

      Seine Hände zitterten noch immer.

      Zu Ramuel? Nein, sein Wein würde ihn weder heilen noch stärken können, auch wenn er ihm das Lager leertrank. Außerdem wollte er den Grigori nicht in seine brodelnde Fehde hineinziehen. Jahwe war garantiert wütend wegen seinem Bruch.

      In sein heimisches Gefängnis wollte er auch nicht flüchten.

      Die Lösung war erschreckend einfach. Was er brauchte, um dieses verwirrte Chaos in sich zu richten, war das geradlinige, klare Gemetzel einer Schlacht. Ja, genau. Der Todesstern wollte Blut sehen. Schreien, zerstören und töten. Was er halt am besten konnte.

      Eine merkwürdige Ernüchterung breitete sich in ihm aus.

      Luzifel rannte weiter. Bald blieben Aziluts Stadttore hinter ihm zurück und er hechtete durch weiße Wiesen und vorbei an Bäumen aus Glas und Kristall. Erschöpfung nahm er gar nicht wahr, sein Verlangen nach dem Tod anderer trieb ihn voran.

      Endlich erreichte er einen klaren See, der im Sonnenlicht wie Silber glänzte. Ein heller Steg aus Elfenbein führte vom kreideweißen Kiesstrand in die Mitte des Gewässers und Luzifels Stiefel donnerten über die Planken.

      Am Ende der Anlegerbrücke läutete er stürmisch eine goldene Glocke, dass diese beinahe aus der Halterung brach, und wartete, während sich seine Brust vor Anstrengung bebend hob und senkte.

      Nebelschwaden zogen über dem Wasser auf und wurden dichter. Ein Horn tönte mystisch.

      Unruhig ging Luzifel hin und her. Der Typ soll schneller machen und aufhören, den Unheimlichen zu spielen, fluchte er in Gedanken.

      Aus dem Dunst trat der Bug eines hölzernen Bootes hervor. Die Barke hatte bereits bessere Tage gesehen, wirkte morsch und roch schimmlig. Der Kapitän war auch nicht mehr taufrisch und wüsste Luzifel nicht, wer Charon war, hätte er den Rotbärtigen für eine zerlumpte, unwichtige Vogelscheuche gehalten.

      „Sieh an, sieh an, wer mich da ruft“, neckte der Fährmann mit einer Stimme jenseits vom Diesseits. „Ist dieser Hitzkopf nicht der sonst so erhabene Engelsfürst Morgenstern? Was kann ich für dich tun?“

      „Bring mich nach Hades!“, befahl Luzifel ihm.

      „Sind deine Flügel lahm, dass du den Flusslauf als Reisemöglichkeit wählst?“, lachte Charon rau. „Ich werde mich nicht beschweren, so hab ich wenigstens mal etwas zu tun. Aber du weißt, mein Dienst kostet.“

      Luzifel zog aus seinem Jackett einen Beutel und warf ihn zu Charon ins Boot. Der Inhalt klimperte.

      Der Fährmann hob die buschigen Brauen. „Oh, das klingt nach vielen Münzen.“

      „Ich weiß, dein Sold ist mies und deine Aufträge gering. Nimm von mir aus alles, doch ich fordere dein Schweigen ein. Verrate niemanden, dass ich nach unten fahre. Besonders deiner Herrin nicht.“

      Sein Geschäftspartner zuckte die Schultern. „Wie du willst, ich kann schweigen. Und der Hades ist neutral, du kannst dort Urlaub machen, wie du willst.“

      Von Urlaub war keine Rede, jedoch würde Luzifel ihm sein Reiseziel nicht erklären. Dem seltsamen Kauz ging sein persönliches Problem mit Jahwe nichts an. Er betrat die Barke und setzte sich in den Kielraum nieder, die geballten Fäuste jetzt unruhig vor Tatendrang.

      Schwankend lenkte Charon die kleine Nussschale hinaus aus Araboth.

      5

      So langsam war Samael beunruhigt. Sein verehrter Engelsfürst hatte sich seit einiger Zeit wie in Luft aufgelöst und niemand vermochte zu sagen, wo er zu finden war. Den Hohen Rat informierte er nicht, die Garde wusste von nichts und Gott war wütend, weil er grundlos ihre Feier verlassen hatte, ohne um Erlaubnis zu fragen.

      Stocksauer hatte Metatron den kleinen Sekretär unmissverständlich erklärt, was zu tun wäre, wenn sein Herr sich wieder blicken ließe. Nur war vor ihm erst einmal Gott dran, Luzifel die Leviten zu lesen.

      Auf ihr Rufen im ganzen Himmelreich reagiere er ja nicht.

      Der Einzige, den das Verschwinden des Morgensterns nicht bestürzte oder erregte, war wohl Richter Kamael. Der schien sogar höchst zufrieden und schilderte jedem, der es hören wollte, wie seine Theorie zum Fall lautete: Luzifel habe endgültig seinen Verstand verloren und sich in den Fluss Lethe gestürzt, um zu ersaufen oder auch nur, um sein Gedächtnis zu löschen.

      „Totgesagte leben länger“, hatte Samael erbost auf die Verleumdung geantwortet. Er vertraute darauf, dass sein Herr Fürst wieder aufsteigen würde, egal, wo er gerade war.

      Er