glaubte sie nicht, dass er ein gefährlicher Irrer war. Sie hatte an sich eine recht gute Menschenkenntnis.
Forsythe holte direkt eine weitere Zigarette aus dem Päckchen auf dem Tisch und zündete sie an. Er hielt ihr die Schachtel hin.
»Sie auch?«
Jessie winkte dankend ab. »Ich rauche nicht. Hab nie angefangen.«
Forsythe nickte. »Sieht man Ihnen an. Ganz glatte Haut. Wie ein Babypopo.«
Sie rang sich ein Lächeln ab.
Der Mann hob entschuldigend die Hand. »Oh, das war natürlich nicht gerade die feine Art, Ihnen ein Kompliment zu machen. Ich bin schon lange aus der Übung.«
»Schon gut«, sagte Jessie und lächelte nun unverkrampfter. »Sie leben hier alleine?«
Er nickte. »Ja. Seit, ach Gott, schon seit über zehn Jahren. Nachdem meine Frau gestorben war, fühlte ich mich in der alten Wohnung total verloren. Sie war viel zu groß. Unser jüngster Sohn war ja auch schon längst ausgezogen.«
Jessies Blick fiel auf einen kleinen ovalen Bilderrahmen an der Wand, direkt neben einem Kalender des vorletzten Jahres. In ihm war ein Foto eines Jungen um die zwölf Jahre zu sehen, der einen Fußball hielt. Trikot und Hose waren mit Schlamm bespritzt. Die Farben des Fotos waren ziemlich verblasst; es war wohl eine ältere Aufnahme, die täglich dem Sonnenlicht, das durch das Küchenfenster fiel, ausgesetzt war.
»Ist er das?«, fragte sie und deutete auf das Bild.
Forsythes Blick blieb daran haften. »Ja, das ist Chris«, sagte er und seufzte schwer.
»Was macht Ihr Sohn so?«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Lassen Sie uns nicht über Chris reden! Das macht mich immer nur wütend.«
»Oh, Entschuldigung«, entgegnete Jessie. In welches Fettnäpfchen war sie da reingetreten?
Er betrachtete wehmütig weiter das Foto. »Damals war die Welt noch in Ordnung.«
»Was ist passiert?« Sie biss sich auf die Lippen. »Hast du nicht gehört, was er gesagt hat?«
Forsythe sah Jessie kurz an und dann wieder zum Bild seines Sohnes. »Er ist vom rechten Weg abgekommen, wie man so schön sagt. Der dumme Bengel.«
Jessie erwiderte nichts; noch mehr nachbohren wollte sie nicht. Aber Mister Forsythe fuhr von selbst fort:
»Die ganze Scheiße mit ihm fing an, als meine Colleen, seine Mutter, an Krebs starb. Danach habe ich ihn nicht wiedererkannt. Er wurde aufsässig und unberechenbar. Irgendwann kam er dann mit der Polizei in Konflikt. Mit so was wie Mutproben ging es los. Er ist, als er siebzehn war, mehrfach bei Leuten eingestiegen. Nicht um was zu klauen; einfach so, weil er es wollte. Aus Langeweile, hat er gesagt. Hat sich von seinen so genannten Freunden anstacheln lassen.«
»Oh«, sagte Jessie nur und sah betroffen auf die Tischplatte. »Und ich dachte, ich wäre schlimm gewesen.« Jessies Jugendsünden hatten sich jedoch darauf beschränkt, mit ihrer Clique Alkohol zu trinken und einfachen Unsinn zu treiben. Das ärgste, das sie sich selbst dabei einmal geleistet hatte, war, in der Schultoilette eine Rolle Toilettenpapier anzuzünden.
»Natürlich ist er erwischt worden und musste Sozialstunden leisten«, fuhr der Mann fort und räusperte sich. »Und mit neunzehn hat er dann ein Mädchen vergewaltigt.«
»Oh, Scheiße!« Jessies Augen weiteten sich und sie hielt sich die Hand vor den Mund. »Sorry.«
Doch Forsythe nickte nur zustimmend. »Das war auch das erste, das mir in den Sinn kam, als sie mich damals aufs Polizeirevier bestellt hatten.«
»Sitzt Chris im Gefängnis?«, fragte Jessie vorsichtig.
»Nein, nicht mehr. Er wurde vor zwei Monaten entlassen.« Ein trockenes Lachen entrann seiner Kehle. »Sie können jetzt vielleicht verstehen, dass ich nicht gerade ein Bündel an guter Laune bin, seit ich weiß, dass ich einen Sexualstraftäter zum Sohn habe.«
Jessie starrte betroffen ins Leere. Sie konnte nichts sagen, begriff aber jetzt etwas besser, warum Mister Forsythe war, wie er war.
Die Glut an seiner Zigarette leuchtete, als er einen kräftigen Zug nahm.
»Wo ist ihr Sohn jetzt?«, fragte sie.
»Keine Ahnung.« Forsythe nahm einen erneuten Zug und ließ etwas blauen Qualm aus seinen Nasenlöchern entweichen. »Das macht mich ja eben so nervös.«
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