J.P. Conrad

Frischfleisch


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ist alles so furchtbar kompliziert.«

      »Was soll denn daran kompliziert sein? Ihr wart ein Paar und seid es jetzt nicht mehr, was er mir offenbar nicht selbst sagen kann. Er ist in mich verliebt und traut sich ebenfalls nicht, es mir zu sagen. Das nenne ich einen Feigling.«

      Mila atmete schwer. »Okay, ich gebe zu, es war nicht seine Schuld.« Sie wandte sich wieder zu Jessie um und sah sie an.

      »Ich habe ihn angerufen, nach der Party. Ihr hattet die ganze Zeit miteinander geflirtet, da war mir unwohl bei dem Gedanken, es könnte sich etwas zwischen euch entwickeln, ohne dass du weißt…«

      »Dass ihr zusammen wart«, ergänze Jessie den Satz. Jetzt lächelte sie. Sie ging zu Mila hinüber und sah ihr tief in die Augen. »Im Lügen bist du echt scheiße!«, sagte sie und beide lachten. Es war ein befreiendes Lachen.

      »Tut mir leid, Kleines«, sagte Mila und sie umarmten sich.

      »Schon gut.« Jessie drückte Mila sanft von sich weg und sah ihr in die Augen. »Aber dann kannst du mir zumindest ein bisschen was über ihn erzählen!«

      Mila seufzte gespielt. »Das hatte ich befürchtet. Nur so viel vorweg: Er ist wirklich in Ordnung. Dass wir nicht mehr zusammen sind, lag wohl eher an mir. Ich kann… sehr schwierig sein, manchmal.«

      »Ach, nein!«, entgegnete Jessie augenzwinkernd. Ihr fiel etwas ein. »Apropos schwierig.« Sie verschränkte die Arme und lief durch das Zimmer. »Dieser Mister Loomis, von dem du mir erzählt hast.«

      »Was ist mit ihm?«

      »Robin sagte, er wäre ausgezogen. Ganz normal.«

      Mila pfiff verächtlich durch die Zähne. »So ein Blödsinn! Ich weiß es genau von Wanda. Er ist einfach verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Kannst ja die anderen hier im Haus fragen, die wissen das auch! Vielleicht hat Robin da einfach was verwechselt.«

      »Hm.« Diese Geschichte um ihrem Vormieter war irgendwie mysteriös. Jessie erinnerte sich wieder an den Zettel an Robins Kühlschrank. »Kannten sie sich? Ich meine Robin und dieser Loomis?«

      »Ja, ich denke schon«, antwortete Mila.

      »So? Waren sie Freunde?«

      Die Nachbarin lachte. »Nein, das sicher nicht. Es war wohl eher was Geschäftliches.« Sie sah auf die Uhr. »Oh, ich muss wieder los! Mein Chef mag es gar nicht, wenn ich den Laden zu spät aufsperre.«

      Jessie hatte das Gefühl, dass Mila eine Ausflucht aus dem Gespräch suchte. Sie versuchte, ihre Enttäuschung zu überspielen und umarmte Mila noch einmal. Sie verabschiedeten sich wie zwei sehr gute Freundinnen.

      Nachdem sie die Tür hinter ihr geschlossen hatte und wieder für sich war, kratzte sich Jessie nachdenklich am Kopf. In der Blaneystreet neunundsiebzig ging alles irgendwie schneller, als woanders. Sie hatte sich innerhalb kürzester Zeit verknallt, mit dem Typen geschlafen und auch noch seine Exfreundin umarmt. Das war ein strammes Tempo.

       »Bin mal gespannt, was noch so alles passiert.«

      Sie bemerkte, dass es Zeit war, sich auf den Weg ins Gym zu machen. Also packte sie ihre Sportsachen zusammen und verließ kurz darauf die Wohnung.

      Auf der Höhe von Apartment drei, dem von Mister Forsythe, blieb sie stehen. Sie hörte einen Fernseher hinter seiner Tür laufen. Er war also Zuhause. Jessie überlegte kurz und fasste dann einen Entschluss.

       »Warum tue ich das?«

      Während sie sich das noch fragte, hatte sie den Klingelknopf schon gedrückt. Kurz darauf hörte sie den Fernsehton verstummen und Schritte auf die Tür zu schlurfen. Ein Schatten legte sich vor den Türspion. Jessies Bauch verkrampfte sich leicht.

      »Was wollen Sie?«, hörte sie Mister Forsythes dumpfe Stimme durch das Holz fragen.

      Jessie räusperte sich. »Ich würde gerne kurz mit Ihnen reden! Über diese Morde.«

      Das Schloss klackerte und die Sicherheitskette wurde abgezogen. Die Tür ging auf. Mister Forsythe trug ein fleckiges, blaues Oberhemd und eine hellbraue Cordhose. Er hatte eine Zigarette in der Hand.

      »Kommen Sie rein«, sagte er monoton und trat beiseite.

      Jessie fühlte sich leicht überrumpelt, denn sie hatte gar nicht damit gerechnet. Ein kurzes Angrunzen durch die Tür war es, was sie erwartet hatte. Zögernd betrat sie Forsythes Wohnung. Im Flur war es ziemlich dunkel und es roch nach Zigaretten. Aber es war alles ordentlich, sauber und aufgeräumt.

      »Kommen Sie in die Küche«, sagte der Mann und deutete auf eine Tür auf der rechten Seite.

      Die Küchenzeile erinnerte Jessie an die siebziger Jahre; und aus dieser Zeit stammte sie wohl auch: Sie war komplett in orange gehalten, mit silbernen, türbreiten Edelstahlleisten als Griffen. Der Raum war freundlich hell erleuchtet; die Sonne schien durch das schmale Fenster herein und bahnte sich ihren Weg vorbei an einer einzelnen Topfpflanze, einem offenbar nur mäßig gegossenen Elefantenfuß.

      Mister Forsythe trat an den kleinen Esstisch an der Wand und deutete ihr, sich zu setzen.

      »Wollen Sie ein Wasser oder so?«, fragte er brummend mit der Zigarette im Mundwinkel.

      Jessie lächelte freundlich, verneinte, stellte ihre Sporttasche auf den Boden und nahm Platz.

      Ihr Nachbar zog es vor, stehen zu bleiben und lehnte sich gegen die Spüle.

      »Habe ich Sie neulich nervös gemacht?«, fragte er und grinste verstohlen.

      Das Ziehen in Jessies Magen wurde intensiver. »Ein wenig«, sagte sie und faltete die Hände in ihrem Schoß.

      »Das tut mir leid. Aber nachdem, was man so liest, wären Sie genau das richtige Opfer für den Ealing Strangler.«

      »Eigentlich bin ich hier, um mit Ihnen über Mister Loomis zu sprechen«, sagte Jessie. Sie spürte, wie rau ihre Stimme klang.

      Forsythe verzog das Gesicht. »Loomis? Ihr Vormieter?«, fragte er und nahm einen tiefen Lungenzug von seiner Zigarette. »Der ist verschwunden.«

      »Ach, wirklich? Ich hatte gehört, er sei ausgezogen?«

      Ihr Gegenüber lachte und bekam einen Hustenanfall. »Klar, ausgezogen. Und lässt sein ganzes Eigentum zurück? Wer hat Ihnen denn so einen Blödsinn erzählt?«

      Jessie schluckte, bevor sie antwortete: »Robin… Mister Gibb.«

      »Gibb aus Nummer vier?« Er hielt den Stummel seiner Zigarette unter den Wasserhahn und drehte ihn für einen kurzen Moment auf. Dabei schüttelte er den Kopf. »Der spinnt wohl? Jeder hier im Haus weiß, dass Loomis von einem Tag auf den anderen verschwunden ist.«

       »Warum sollte Robin mich anlügen? Oder hat er das damals nur nicht mitbekommen? Aber er hat Loomis doch gekannt.«

      »Was interessiert Sie so an diesem Loomis? Seien Sie doch froh, dass er weg ist! Sonst hätten Sie die Wohnung nicht gekriegt.«

      »Hm«, brummte Jessie unzufrieden.

      »Gefällt es Ihnen denn hier im Haus?«, fragte Forsythe dann, erstaunlich freundlich.

      »Ja, eigentlich schon. Die Nachbarn sind sehr nett.«

      »Außer mir, natürlich« grunze er lachend.

      Jessie blieb ernst. »Wieso? Sie sind doch auch okay.«

      Ihr Gegenüber verzog skeptisch das Gesicht. »Ach kommen Sie, ich habe meinen Ruf als Griesgram und Einsiedler weg hier in der neunundsiebzig.«

      »Aber wieso? Ich habe das Gefühl, Sie wollen nur, das alle das über Sie denken.«

      Forsythe nahm am Tisch Platz, gegenüber von Jessie. Er warf den nassen Zigarettenstummel in den Drehaschebecher und drückte den Knopf. Während die Scheibe rotierte, sagte er anerkennend: »

      Sie sind nicht dumm, Kindchen.«

      »Danke.