J.P. Conrad

Frischfleisch


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fassungslos den Kopf.

      »Du hättest es den Bullen sagen müssen!«

      »Was? Dass ich sie mal gevögelt habe?« Hektisch sah Kenny sich um. »Wo sind die scheiß Kippen?« Er schwang seinen Oberkörper zur Seite und griff nach der Packung neben seiner Schlafstätte. »Shit, leer!« Wütend knüllte er die Schachtel zusammen und warf sie Dean an die Brust.

      »Du bist so ein Arschloch«, sagte dieser.

      »Und du benimmst dich wie ein Mädchen.« Kenny lehnte sich mit angewinkelten Beinen an die Wand. »Was geht's dich an, wen ich ficke?«

      »Das ist mir normalerweise ziemlich egal. Aber jetzt ist sie tot.«

      »Tja. Hat es eigentlich nicht besser verdient, die Bitch, so wie sie mich abserviert hat.«

      »Aber warum hast du der Polizei nicht gesagt, dass du sie gekannt hast? Ich weiß, dass du in der Nacht vor ihrem Tod noch bei ihr warst und dass ihr euch gestritten habt.«

      Kenny öffnete den Mund. Er sprang auf und baute sich vor Dean auf. Kenny war einen halben Kopf größer als er und sah mit bedrohlichem Blick auf ihn herab. »Woher weißt du das?«

      Dean verzog keine Miene. »Ich weiß es halt.«

      »Und? Fühlst du dich jetzt toll, oder was? Mann, Alter!«

      Dean fiel jetzt erst die Playstation auf. »Hast du das Ding neu?«, fragte er.

      »Hm.«

      »Haben deine Eltern dein monatliches Budget erweitert? Oder wie kannst du dir so was leisten?« Dean wusste, dass Kenny aktuell, nachdem er den Job in einem Burgerladen hingeschmissen hatte, keiner Arbeit nachging.

      Kennys Ungeduld wuchs sichtbar. »Scheiße, komm zur Sache! Was willst du von mir?«

      »Schon mal was von Massengentests gehört? Im Netz hieß es, die Bullen planen so was hier in der Gegend, weil sie denken, dass der Mörder von hier stammt.«

      Kenny trat zwei Schritte zurück und kratzte sich unterm Arm. »Hey, ich hab Hannah nicht abgemurkst! Oder denkst du das etwa?«

      Dean erwiderte nichts, aber sein Gesicht sprach Bände.

      »Mann, fick dich, Alter!«, entfuhr es Kenny und er zeigte Dean den Mittelfinger. Dann ließ er sich wieder auf seine Matratze fallen und schnappte sich den Controller. Die hektische Musik des Videospiels setzte wieder ein.

      Dean drehte sich um und schaltete den Fernseher aus. Sofort war Kenny wieder auf den Beinen. Er schubste Dean vor die Brust.

      »Was ist los mit dir? Hä? Suchst du Stress?«

      Dean hob entschuldigend die Hände. »Mann, du bist echt krank. Ich wollte dir helfen!«

      »Danke, verzichte. Und jetzt verzieh dich!« Kennys Blick zeigte Entschlossenheit und Wut.

      Dean sagte nichts mehr und ging in Richtung Wohnungstür. Im Flur fiel sein Blick auf die rechte Wand, die Kenny als Pinnwand nutzte. Mit Klebestreifen waren hier auf der alten und teilweise abgelösten Tapete kreuz und quer allerlei Dinge befestigt: Notizen zum Studium, Einkaufszettel, Konzerttickets und ein paar Fotos; überwiegend von irgendwelchen Häusern, was Dean etwas verwunderte. Auf einem anderen war Hannah Wincott zu sehen, die auf einer Mauer hockte und ein Sonnenbad nahm. Über ihr Gesicht war mit einem roten Stift ein ›x‹ gemalt worden. Dean betrachtete es einen kurzen Moment stumm und verließ dann mit einem flauen Gefühl im Magen Kennys Wohnung.

      Zwei Wahrheiten

      Es klopfte an der Tür. Hektisch zog sich Jessie ihr Top über den Sport-BH und öffnete.

      »Hi, Mila«, sagte sie freudig überrascht.

      »Hi. Ich störe doch nicht?«

      »Nein, komm doch rein. Setz dich.«

      Die Nachbarin trug wieder einen recht konservativen Hosenanzug.

      »Machst du gerade Mittag?«, fragte Jessie.

      »Ja«, antwortete Mila. »Und du musst bald los, was?«

      Jessie winkte ab. »Ist noch Zeit. Erst in einer Stunde.« Sie setzte sich neben die Frau aufs Sofa. »Na, was verschafft mir die Ehre?«

      Mila wirkte bedrückt; besorgt. »Ich wollte mit dir über Robin reden.«

      »Über… Robin?«, wiederholte Jessie erstaunt. »Was ist mit ihm?«

      »Du magst ihn, stimmt's?«

      Jessie sah zu Boden. Ein Lächeln wanderte unwillkürlich auf ihren Mund. »Das Haus ist wirklich klein«, sage sie nur.

      »Ich hab doch Augen im Kopf«, entgegnete Mila. »Das war auf der Party schon mehr als deutlich zu erkennen.«

      »So?« Jessie wusste nicht, worauf dieses Gespräch abzielte. Sie sah Mila in die Augen, doch diese wich ihrem Blick sofort aus.

      »He, was ist? Wolltest du mir was über Robin sagen?«

      Die Frau nickte und schürze ihre Lippen.

      »Was schlimmes?« Jessies Puls beschleunigte sich. »Oh mein Gott, er ist doch schwul. Oder verheiratet, oder… ach, quatsch!«

      »Wie man's nimmt.« Mila rutschte etwas näher an sie heran. »Ich war mal mit ihm zusammen.«

      Jessie öffnete den Mund, doch es kam kein Wort heraus.

      Also fuhr Mila fort: »Das war vor etwas über zwei Jahren. Es hielt aber nur ein paar Monate.«

      »Okay…«, sagte Jessie langgezogen.

      »Ich wollte nur von Anfang an ehrlich sein.« Mila legte ihre Hand auf Jessies. Diese ließ es zu. Ihr Gesicht entspannte sich und Mila atmete erleichtert aus.

      »Das ist in Ordnung. Danke für deine Offenheit.« Sie tätschelte mit der anderen Hand die ihrer Nachbarin.

      »Es wäre blöd gewesen, wenn du es nur durch Zufall rausbekommen hättest. Ich denke nicht, dass Robin es dir gesagt hätte.«

      »Wieso nicht?«

      Mila zuckte mit den Schultern. »Er ist kein Typ, der gerne über die Vergangenheit redet. Insbesondere, was Frauen angeht.«

      »So? Und warum seid ihr nicht mehr zusammen?«

      Mila stand auf und drehte den kleinen Anhänger, der um ihren Hals hing, zwischen den Fingern hin und her; sie war sichtlich nervös.

      »Das hat viele Gründe. Du kennst das sicher. Wir haben einfach nicht zueinander gepasst.«

      Jessie kam ein Verdacht. »Hat er mit dir über uns geredet?«

      Mila fuhr herum und lächelte verlegen. »Ja.«

      Das erstaunte Jessie doch sehr. Es war nicht einmal zwölf Stunden her, dass sie miteinander im Bett gelandet waren.

      »Wann?«, fragte sie argwöhnisch.

      »Er hat mich im Laden angerufen.« Mila atmete tief durch. »Er sagte, er hätte sich in dich verliebt.«

      »Oh.« Jessie wurde rot.

      »Ja und er wollte, dass ich mit dir rede und dir von unserer gemeinsamen Vergangenheit erzähle.«

      Jessie stand auf und ging zum Fenster. Aber sie schaute nicht raus in den sonnigen Tag; ihr Blick lief ins Leere.

      »Und das hätte er mir wirklich nicht selbst sagen können?«, fragte sie erregt. »Zumindest, dass er was für mich empfindet?«

      Mila kam etwas näher; Jessie spürte ihren Atem in ihrem Nacken. »Das hätte ich vielleicht nicht erwähnen sollen, sorry. Da war ich wohl wieder mal etwas zu voreilig. Ich sollte dir nur, von Frau zu Frau, von unserer Vergangenheit erzählen.«

      Jessie fuhr herum und sah ihre Nachbarin ausdruckslos an. »Robin ist ein ziemliches Weichei, kann das sein?«, fragte sie