J.P. Conrad

Frischfleisch


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Schulmädchens. Sie war nie kontaktscheu gewesen; sehr zum Leidwesen ihrer Lehrer in der Schule damals.

      »Ja. Und Sie sind in Mister Loomis' Apartment gezogen?«

      »Loomis? Ach ja, so muss mein Vormieter geheißen haben. Stimmt, ich wollte doch auf der Party nochmal die anderen nach ihm fragen. Habe ich total vergessen.« »Ja«, antwortete sie. »In die Dachgeschosswohnung.«

      Mister Forsythe nickte. Dann musterte er Jessie nochmals eindringlich. Sie trug ihren grauen Jogginganzug mit den rosa Nähten und weiße Turnschuhe.

       »Hab ich Scheiße auf der Nase, oder was?«

      »Sie sind jung und hübsch«, sagte der Mann ihr gegenüber zu Jessies Verblüffung. »Passen Sie bloß auf!«

      Jessie sah Mister Forsythe fragend an. »Wie meinen Sie das?«

      »Sie haben wohl nicht mitbekommen, was hier in der Gegend momentan los ist, wie?«

      »Sie meinen diese Morde?«

      Der Mann lachte verächtlich; die erste emotionale Reaktion von ihm. Jessie sah seine gelben Zähne.

      »Diese Morde! Spielen Sie das bloß nicht so herunter!« Er beugte sich vor, bis sein Gesicht ganz nah vor ihrem war.

      Jetzt nahm sie auch den Zigarettengeruch wahr, den er ausströmte.

      »Alle Frauen wurden vergewaltigt, erdrosselt und ihnen wurde die rechte Hand abgesägt.«

      Jessie schluckte. Das letzte Detail war ihr neu. »Die Hand abgesägt?«

      Mister Forsythe nickte und grinste verstohlen. »Die ganze Hand. Einfach ab. Ritsch-ratsch.« Noch einmal wanderte sein Blick an ihr hinunter. »Sie passen genau in sein Beuteschema. Die anderen waren auch alle jung und sportlich.«

      »So?« Jessie tat unbeeindruckt, doch in Wirklichkeit wollte sie nur noch weg von diesem Kerl, in die sicheren vier Wände ihrer Wohnung.

       »Die hatten Recht, der Typ hat nicht alle Tassen im Schrank.«

      »Ich rate Ihnen, aufzupassen! Sonst werden Sie noch sein nächstes Opfer.«

      Mit diesen mahnenden Worten drehte sich der Mann um und verließ das Haus.

      Jessie blieb noch einen Moment verdutzt stehen. Sie hatte Gänsehaut am ganzen Körper; und die rührte sicher nicht von dem Luftzug her, der durch die Haustür herein gekommen war. Dann lief sie die Treppen hoch; etwas schneller, als es normal gewesen wäre, wobei ihr Kaffee wild im Becher hin und her schwappte und an den Deckel klatschte. Jessie betrat ihr Apartment, schloss die Tür und legte die Kette des neuen Sicherheitsschlosses vor.

      Das Gym

      War das nur Zufall? Nein, sicher nicht.

      Robin hatte sie auf ihrer Party gefragt, was sie tat und sie hatte es ihm erzählt. Aber dann hätte er ihr auch sagen können, dass er in demselben Gym trainierte, in dem sie seit heute arbeitete.

      »Hi«, sagte er und lächelte sie an.

      »Hi.« Sie lächelte zurück. »Ist das Zufall?«

      Robin stützte sich an das Trainingsgerät, in dem Jessie gerade einen Kerl mit schmächtigem Körperbau traktierte.

      Auch in seinen Trainingsklamotten und mit einem deutlich sichtbaren Schweißfleck am Halsausschnitt seines Shirts wirkte Robin ziemlich attraktiv. Durch den eng anliegenden Stoff konnte sie jetzt auch seine wohl proportionierten Oberarme und sein Sixpack bewundern.

      Robin schüttelte den Kopf. »Ich bin jeden Dienstag und Freitag hier.«

      »Warum hast du nichts gesagt?«

      »Wie viele muss ich noch?«, warf der hagere Mann auf der Bank keuchend dazwischen.

      »Noch zehn Mal«, entgegnete Jessie, ohne hinzusehen.

      »Sollte eine Überraschung sein«, antwortete Robin und lächelte hintergründig.

      »Ist gelungen!«

      »Sauer?«

      »Nein, wieso?« Jessies Schmunzeln wuchs noch in die Breite. »Wollen wir uns nachher auf einen Eiweißshake an der Bar treffen?«

      »Ich hab eine bessere Idee«, sagte Robin. »Ich lade dich zum Essen ein. Wann hast du Schluss?«

      »Ich kann nicht mehr! Waren das jetzt zehn?«, fragte der völlig fertige Mann auf der Bank, doch Jessie achtete gar nicht auf ihn.

      »Gegen neun«, sagte sie. Sie fühlte dieses besondere Kribbeln in ihrem Bauch. Gerade war alles um sie herum ausgeblendet; der Krach der Trainingsgeräte, das Stöhnen des Mannes, den sie betreute und die Fahrstuhlmusik, die den Raum beschallte. Gerade war da nur noch Robin. Und irgendwie glaubte Jessie jetzt zu wissen, was dieses ›Etwas‹ war, das sie sich mit ihm vorstellen konnte.

      »Okay, dann hole ich dich ab. Ich kenne einen tollen Thai-Laden hier in der Nähe.«

      »Klingt lecker«, sagte sie und für sich dachte sie: »Der ist lecker.«

      »Gut. Dann bis um neun.«

      »Ja, bis dann. Ich freue mich.«

      »Hören Sie, ich bin hier, um zu trainieren und nicht, um mir Ihre Balzrituale mit anzusehen!«, sagte der Mann, den Jessie betreute, leicht erregt und mit vor Anstrengung hochrotem Kopf, während sie Robin nachschaute.

      Sie fuhr herum. »Wie? Oh, Entschuldigung!«

      »Ich habe Sie hier auch noch nie gesehen. Sind Sie neu hier?«

      Jessie nickte gedankenversunken. »Ja, heute ist mein erster Tag.«

      Der Mann schnalzte verächtlich mit der Zunge, während ihm der Schweiß über die Stirn lief.

      »Also bei mir haben Sie sich noch nicht so toll eingeführt, muss ich sagen. Etwas mehr auf den Kunden eingehen und weniger privates Geplänkel würde ich mir wünschen.«

      »Schon gut! Ich habe mich doch entschuldigt!«, entgegnete Jessie und hatte dabei Mühe, den Kerl nicht zu sehr anzupflaumen.

      Der schüttelte den Kopf. »Ich kann diesen Irren schon irgendwie verstehen.«

      »Bitte?« Jessie wusste nicht, was diese Aussage bedeuten sollte.

      »Nichts«, entgegnete der Mann und zog dann wieder ächzend an dem Griff, um die Gewichte hinter seinem Kopf anzuheben.

      Mitternachtskaffee

      »Zu mir oder zu dir?« fragte Robin am Treppenabsatz der Nummer neunundsiebzig und klimperte mit seinem Schlüsselbund.

      Jessie hatte diese Frage erwartet. »Also bei mir sieht's nach wie vor ziemlich chaotisch aus. Keine Verbesserung seit der Party gestern.« Außerdem war sie mehr als neugierig auf Robins Wohnung.

      »Na schön. Dann ein Mitternachtskaffee bei mir.« Er lief voran die Treppe hinauf; sie folgte ihm.

      Jessie lachte. »Mit Kaffee hätte ich sowieso nicht dienen können.«

      Sie sah nochmal auf ihre Armbanduhr: Das mit dem Mitternachtskaffee stimmte; es war bereits zwanzig nach zwölf. Die Zeit in dem kleinen asiatischen Restaurant war wie im Fluge vergangen. Aber zumindest wusste sie nun noch etwas mehr über diesen Mann, der hieß, wie ein bekannter Popsänger. Zum Beispiel, dass seine Eltern große Bee Gees Fans waren und es dadurch natürlich nahe lag, den Sohn Robin zu nennen. Dass er selbst aus eben diesem Grund und durch die vielen dummen Bemerkungen, die er sich früher in der Schule hatte anhören müssen, die Bee Gees hasste. Er hörte am liebsten die Beatles.

      »Da wären wir.« Robin hielt die Tür auf und ließ Jessie eintreten.