J.P. Conrad

Frischfleisch


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      »Gib den Leuten von Security Master eine Chance, Dad!«, sagte sie.

      Thomas Walsh ging zur Wohnungstür und öffnete sie. Prüfend nahm er Zarge und Türblatt in Augenschein.

      »Hm. Ja, das müsste gehen. Huch.«

      Jessie fuhr herum.

      »Oh, entschuldigen Sie! Ich wollte Sie nicht erschrecken!«

      Eine Frau, Jessie schätzte sie auf Anfang dreißig, stand vor der Tür.

      »Guten Tag, kann ich Ihnen helfen?«, fragte Thomas Walsh.

      Seine Tochter kam näher.

      Die dunkelhaarige, Brille tragende Frau mit auffallend heller Haut lächelte zaghaft. Jessie schätzte sie auf Anfang dreißig.

      »Ich bin Mila Potter, die Nachbarin unter Ihnen«, stellte sie sich vor. Sie war nicht eben hübsch, zumindest nicht nach Jessies Maßstäben, aber ihr Gesicht strahlte etwas sehr sympathisches aus. Ihre Erscheinung wirkte äußerst seriös. Sie trug einen dunkelblauen Hosenanzug, eine weiße Bluse und graue Spangenpumps.

      »Oh, hallo. Kommen Sie doch rein«, bat Jessie freundlich, woraufhin ihr Vater zur Seite trat.

      »Danke.« Mila Potter sah sich sofort im Raum um. »Ach herrje, ich störe Sie ja noch mitten beim Auspacken.«

      Jessie winkte ab. »Das macht doch nichts.« Sie gaben sich die Hand. »Hallo, Jessica Walsh. Freut mich. Und das ist mein Vater.«

      Dieser trat ein Stück vor, nahm das Schloss in die linke Hand, wischte sich die rechte am Hosenbein ab und reichte ihr sie.

      »Hallo. Walsh.«

      »Ich hatte gehört, dass Sie hier einziehen würden. Aber ich dachte, Sie wären schon weiter.« Als Mila Potter ihre eigenen Worte hörte, legte sie sich peinlich berührt die Hand vor den Mund.

      »Oh, Verzeihung«, sagte sie und wurde leicht rot. »So war das natürlich nicht gemeint.«

      Jessica entkräftete die Verlegenheit mit einem Lächeln, als ihr Vater kommentierte:

      »Mehr als arbeiten können wir nicht.«

      »Dad!« Jessie stampfte leicht mit dem Fuß auf und warf ihm einen rügenden Blick zu.

      »Ja, also, jedenfalls wollte ich Sie hier in der Nummer neunundsiebzig herzlich willkommen heißen!«

      »Wo ist denn der Kuchen?«, fragte Thomas Walsh bierernst. »Normalerweise bringen doch die Nachbarn bei solchen Gelegenheiten immer was mit. Meistens einen Kuchen.«

      Jessie schüttelte den Kopf. »Sie müssen meinen Vater entschuldigen. Er hat wohl seine Manieren unten im Auto gelassen.«

      »Hat er nicht. Aber er hat Hunger«, kam seine brummende Antwort.

      Mila schien das alles sehr peinlich zu sein. Sie sah verschämt zu Boden.

      »Naja, ich wollte ja eigentlich auch was vorbei bringen. Aber mit den ganzen Allergien, die die Leute heute haben, weiß man ja nie.«

      »Oh, mein Vater hat so was nicht. Der kann alles essen. Und tut es meistens auch.«

      Angesichts dieser Spitze gegen ihn, streckte Thomas Walsh seiner Tochter die Zunge raus, was die Nachbarin aber nicht sehen konnte.

      »Nur ich darf keine Nüsse essen«, erklärte Jessie dann schulterzuckend. »Sonst kann man mich gleich in die Notaufnahme fahren.«

      »Ah, gut zu wissen. Dann werde ich schon mal keinen Nusskuchen backen«, entgegnete Mila lächelnd.

      »Sie brauchen sich für uns überhaupt keine Mühe zu machen, wirklich nicht.«

      »Ach, ich denke schon, dass ich Ihnen zum Einzug etwas backen werde. Ihr Vater hat da schon recht, das gehört dazu.« Sie sah Thomas Walsh freundlich an; dieser nickte zustimmend.

      »Welches Vögelchen hat Ihnen denn eigentlich gezwitschert, dass meine Tochter hier einzieht?«, wollte er dann wissen. Ein Hauch von Argwohn lag in seiner Stimme.

      Mila verschränkte die Hände vor sich. »Das war Mrs Brixton.«

      Jessie nickte verstehend. »Ah, die Maklerin.«

      »Ja. Wir sind befreundet. Sie glauben gar nicht, was man so alles von ihr erfährt. Die kommt viel rum hier in der Gegend.«

      »Eine Tratschtante, soso«, dachte Jessie.

      Thomas Walsh sah sich um. »Wer hat denn eigentlich vorher hier gewohnt?«

      Mila wurde plötzlich blass. »Ach, das wissen Sie gar nicht?«

      Jessie zuckte mit den Schultern. »Nein. Ich weiß nur von Mrs Brixton, dass das Apartment recht kurzfristig frei geworden ist.«

      Mila Potter verzog das Gesicht. »Das kann man wohl sagen. Ihr Vormieter ist nämlich spurlos verschwunden.«

      Robin

      Robin Gibb war nicht der Robin Gibb, den man sofort mit seinem Namen assoziierte. Er war weder Sänger bei den Bee Gees, noch sonst irgendwie berühmt. Er war Grafikdesigner und betrieb eine kleine Zwei-Mann-Agentur, die er sich gemeinsam mit seinem Kompagnon Dean aufgebaut hatte. Sie hatte ihren Sitz in Robins Apartment im zweiten Stock der Blaneystreet neunundsiebzig, für die Robin das Wohnzimmer zu einem Büro umfunktioniert hatte.

      »Und, wie sieht sie aus?«, fragte Dean Yeun neugierig.

      Robin sah von seinem Mac auf. »Wie sieht wer aus?«

      »Na, die neue aus dem Dachgeschoss?«

      Robin zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, hab sie noch nicht zu Gesicht bekommen.« Ein Gähnen überkam ihn und er hielt sich die Hand vor den Mund.

      »Wieder spät geworden gestern, was?«

      Robin nickte.

      »Mila?«

      Dean Yeun erhielt ein neuerliches Nicken als Antwort und schnalzte mit der Zunge.

      »Dass ihr immer noch so oft zusammen hängt.«

      »Wir verstehen uns eben. Man kann echt gut quatschen mit ihr.«

      Der junge Asiate überlegte kurz und vollführte dann eine schwungvolle Drehung mit seinem Bürostuhl.

      »Vielleicht ist sie ja so ein Modeltyp. Was meinst du?«

      Robin sah ihn spöttisch an. »Mila?«

      Dean lachte. »Quatsch. Die neue.«

      »Keine Ahnung. Vielleicht sieht sie aber auch aus wie du. Die Arme«, entgegnete sein Gegenüber grinsend.

      Dean hob die Hand. »Hey! Ich habe ein klassisches Profil, mein Lieber«, konterte er mit gespielter Verärgerung.

      »Klassisches Pfannkuchengesicht, vielleicht.«

      »Keine Diskriminierung bitte, ja?«

      Robin setzte eine ernste Miene auf. »Können wir vielleicht jetzt weiterarbeiten? Diese Website für Headmans & Sprouse baut sich nicht von alleine.«

      Doch sein Gegenüber ließ nicht locker. Irgendwie war sein Kompagnon Dean an diesem Tag aufgedrehter als sonst. Ob vielleicht ein Mädchen dahinter steckte? Dann fiel es Robin ein:

      »Warum eigentlich dieses Interesse an der Neuen? Hattest du nicht gerade neulich erst angedeutet, da würde was mit einer aus der Nachbarschaft laufen?«

      Dean seufzte. »Das zieht sich wie Kaugummi. Sie sieht im Moment in mir nur den Seelentröster.«

      »Das tut mir ja so leid für dich, ehrlich«, entgegnete Robin sarkastisch.

      Dean stand auf und setzte sich dann auf Robins Schreibtischkante. Dieser bemerkte jetzt erst den strengen Nikotingeruch, den seine Klamotten, wieder einmal, verströmten und verzog das Gesicht.