J.P. Conrad

Frischfleisch


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wie das schmale, transparente Plastikgefäß mit einem Schraubdeckel versehen und anschließend in der kleinen Styroporbox verstaut wurde.

      »Heute Abend gibt es dafür eine Scheibe Brot extra.«

      Die Worte klangen in ihrer überschwänglichen Güte wie eine schallende Ohrfeige.

      Mit dem Tablett in der Hand, entfernte sich die durch das Licht scherenschnitthaft wirkende Gestalt wieder und schloss die Tür.

      Männer!

      Was machte sie bloß jedes Mal wieder falsch? Es konnte doch nicht immer nur an den Männern liegen, dass Hannah sich so unzufrieden fühlte und ständig den Wunsch hatte, sich zu verbessern. Waren ihre Ansprüche derart hoch, dass jeder Kerl, der nicht von selbst das Handtuch warf, von ihr in den Wind geschossen wurde?

      Hannah hörte ihm schon seit geraumer Zeit nicht mehr zu, aber Kenny redete weiter auf sie ein. Sein Ton und seine Gesten waren aggressiv. Hatte sie das nötig? Musste sie sich das gefallen lassen? Sie war doch ein freier Mensch, der über sich selbst bestimmen konnte.

      »He, hör mir gefälligst zu!«, fauchte Kenny erregt.

      »Ich habe keine Lust dazu«, entgegnete Hannah mit provozierender Gleichgültigkeit. »Es ist bereits alles gesagt! Also verschwinde endlich!« Sie deutete ein weiteres Mal auf die Wohnungstür.

      Kenny rührte sich nicht vom Fleck. »Du kannst mich nicht einfach rausschmeißen.«

      Sie lachte humorlos. »Oh doch, das kann ich. Jetzt verzieh dich, bevor ich dir in deine kleinen Eier trete!« Sie schrie nun. Er hatte es tatsächlich geschafft, dass sie die Fassung verlor, obwohl sie sich auf das Spiel eigentlich nicht hatte einlassen wollen.

      »Du bist nichts weiter als eine billige Schlampe!«, brüllte er zurück.

      Eine Ohrfeige traf ihn gegen Wange und Nase. Wie aus einem Reflex heraus holte Kenny sofort mit seiner Hand zum Gegenschlag aus, hielt aber inne.

      »Na los, schlag zu! Dann wären wir ganz unten angekommen«, sagte Hannah und beugte sich provokativ nach vorne. »Du bist ein so erbärmlicher Schlappschwanz.«

      Kennys Kopf war feuerrot. »Besser ein Schlappschwanz, als eine quer durch alle Betten vögelnde Bitch! Jetzt sag mir schon seinen Namen!«

      »Das geht dich nichts an. Schon längst nicht mehr. Was genau hast du an ›Es ist aus‹ nicht verstanden?«

      Er erwiderte nichts und begann erneut, aufgebracht vor ihr auf und ab zu laufen.

      »Ich habe mehr als ein halbes Jahr Geduld bewiesen, Kenny, wirklich. Aber ein Mann muss für mich mehr können, als gut im Bett sein.«

      Er blieb stehen und sah sie aus dünnen Augenschlitzen an. »Zum Beispiel?«

      »Er muss verantwortungsbewusst sein. Und eine Familie ernähren können.«

      Kenny lachte verächtlich. »Du klingst, als wärst du schon vierzig oder so!«

      »Besser, als sich mit Mitte zwanzig noch wie ein pubertierendes Kind aufzuführen«, konterte sie und wischte sich eine der blonden Haarsträhnen, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten, aus dem Gesicht.

      »Hör auf, so mit mir zu reden, sonst…«, schrie Kenny und erhob wieder drohend die Hand.

      »Sonst was? Schlägst du mich? Wie meine Vorgängerin?«, fragte sie anstachelnd. »Sind das deine Argumente? Mehr fällt dir nicht ein?«

      »Ich würde an deiner Stelle lieber das Maul halten!«

      »Verpiss dich endlich! Und lass dich nie wieder hier blicken!«, sagte Hannah trocken und mit der größten Entschlossenheit, die sie aufbringen konnte. Dann fiel ihr etwas ein. Sie ging zum Tisch und nahm die kleine Schachtel mit der teuren Markenuhr, die Kenny ihr mitgebracht hatte. Sie drückte sie ihm barsch in die Hand.

      »Da! Die kannst du zurück bringen. Du wirst das Geld sicher brauchen!«

      Noch so eine Dummheit von Kenny. Das Ding hatte sicher an die fünfzig Pfund gekostet und sie hatte sich gefragt, wie er die überhaupt hatte aufbringen können. Ohne Job würde er diese unsinnige Ausgabe so schnell nicht kompensieren können. Aber was kümmerte sie das jetzt überhaupt noch?

      Kenny blieb stumm. Er spuckte ihr vor die nackten Füße auf den Teppich. Dann drehte er sich um und stapfte zur Wohnungstür. Mit einem lauten Knall ließ er sie hinter sich zu fliegen.

      »Gott sei Dank!«, dachte Hannah erleichtert und ließ sich auf ihr Bett sinken. Sie vergrub das Gesicht in den Händen und atmete tief durch. »Nein! Wehe, du weinst jetzt! Nicht wegen diesem Arschloch.«

      Natürlich lag Kenny mit seiner Vermutung richtig, dass sie ihn hintergangen hatte. Sie hatte sich bereits zweimal mit diesem Typen getroffen, den sie auf einer Party kennengelernt hatte. Er war zwar kaum weniger frech und flippig als Kenny, hatte aber zumindest etwas auf dem Kasten und eine feste Arbeitsstelle. Und er war längst nicht so leicht reizbar.

      Hannah war versucht, ihn gleich anzurufen, entschied sich aber dagegen. Noch war der Typ nur ein Flirt und nicht von ihr auf die Stufe gehoben worden, auf der er sich ihre Sorgen und Nöte anhören durfte. Hannah entschied stattdessen, ihre beste Freundin Violet anzurufen. Mit ihr konnte sie über alles sprechen und sie war auch schon über ihren Plan, Kenny in den Wind zu schießen, im Bilde.

      Hannah hielt Ausschau nach ihrem Handy. Sie fand es auf ihrem Schminktisch und wählte Violets Nummer. Doch sie erreichte sie nicht; es ging nur ihre Mailbox dran.

      »Scheiße, sie arbeitet ja noch«, fiel ihr ein, als sie auf die Uhr sah. Es war kurz vor sechs. Noch einmal schaute sie auf das Display und die Liste mit den zuletzt angewählten Nummern. Eine davon war von ihm, dem Flirt.

      »Ach was soll's«, dachte sie sich und rief ihn an.

      Das Gespräch mit ihrem Flirt hatte Hannah überraschenderweise sehr gut getan. Er hatte es geschafft, sie zum Lachen zu bringen. Und das war in ihrer aktuellen Gemütsverfassung gar kein leichtes Unterfangen.

      »Vielleicht ist er der Richtige?«

      Wie oft hatte sie sich diese Frage schon gestellt! Es war naiv, sie immer wieder zu stellen und zu erwarten, sie schon nach ein paar Wochen mit einem eindeutigen ›ja‹ beantworten zu können. Aber was erwartete sie wirklich von einer Beziehung? ›Glücklich bis ans Lebensende‹ klang gleichfalls reizvoll und vollkommen unrealistisch.

      Über ihre Grübelei, den Groll auf Kenny und die Vorfreude auf das nächste Treffen mit ihrem Flirt, war Hannah müde geworden. Sie verbrachte den Rest ihres freien Tages im Bett, sah fern und stopfte ungesundes Essen in sich hinein. Irgendwann schlief sie dann ein.

      Als Hannah aufwachte, fiel ihr erster Blick auf die leuchtend roten Digitalziffern ihres Radioweckers. Sie bildeten drei Nullen und eine vier. Benommen setzte sie sich auf und spürte den Druck auf ihrer Blase. Schwerfällig stieg sie aus dem Bett und ging ins Badezimmer. Dabei bemerkte sie, dass sie es nicht einmal geschafft hatte, ihre Klamotten auszuziehen.

       »Was für ein Leben!«

      Als sie gerade auf der Toilette hockte und drohte, wieder einzuschlafen, durchbrach ein leises Geräusch die Stille. Hannah sah zur geschlossenen Badezimmertür. Sie glaubte, einen elektrischen Bohrer oder etwas Ähnliches zu hören. Der surrende, helle Ton war dumpf und schien seinen Ursprung hinter der Tür zu haben.

       »Quatsch, das muss der Nachbar von gegenüber sein.«

      Hannah beendete ihren Toilettengang. Nachdem sie die Spülung betätigt hatte, betrachtete sie sich kurz im Spiegel.

      »Igitt! Das bis doch nicht du!«, fuhr es ihr angewidert durch den Kopf. Sie stellte auch fest, dass sich noch etwas Schokolade von ihrem Frustgelage in ihrem Mundwinkel befand.

      Als das Rauschen des sich wieder mit Wasser füllenden Spülkastens verstummte, hörte Hannah ein neuerliches Geräusch.