J.P. Conrad

Frischfleisch


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Nachbarschaft! Willkommen in der neunundsiebzig!«, sagte Robin. Er war der erste, der mit seinem Wasserglas mit Jessie anstieß.

      Sie wechselten einen intensiven Blick. Anschließend prosteten ihr nacheinander die anderen Anwesenden zu.

      »Ich danke euch. Ist wirklich ein sehr netter Empfang, hätte ich nicht gedacht.«

      »Da fehlen aber noch ein paar Nachbarn, oder?«, fragte Mila.

      »Also der Hausmeister hatte abgesagt. Und er hat mich gebeten, darauf zu achten, dass es heute Abend nicht zu laut wird.«

      Robin verdrehte die Augen. »Ja, das ist Mister Harris, wie er schraubt und klebt!«

      Ein Lachen ging durch die Runde.

      »Forsythe war nicht da. Zum Glück, muss ich ja jetzt wohl sagen«, fuhr Jessie fort. »Dann war da noch dieses Ehepaar. Im dritten Stock, glaube ich.«

      »Mister und Mrs Jeffries«, erklärte Mila. »Wohnen mir direkt gegenüber. Absolute Langweiler.«

      »Kam mir auch so vor. Sie wollten heute Abend lieber fernsehen.«

      »Und das geben die auch noch offen zu«, sagte Kenny verächtlich.

      »Na, dann sind wir wohl komplett, oder?« Jessie sah in die Runde. »Ich muss euch warnen, ich bin eine äußerst schlechte Gastgeberin. Ich kann nicht mal mit Snacks oder Salzstangen dienen.«

      Mila räusperte sich, als wollte sie Jessie damit ein Stichwort geben.

      Da fiel es ihr ein. »Ach ja! Mila war so freundlich, Muffins zu backen.« Sie ging zum Tisch, nahm das Tablett und entfernte die Frischhaltefolie.

      »Von deinen Backkünsten habe ich schon gehört«, sagte Dean, drängte sich nach vorne und nahm sich gleich zwei der kleinen Törtchen.

      Robin schnappte ihm eines davon weg. »Danke, sehr liebenswürdig!« Er strafte Dean mit einem durchdringenden Blick.

      Es läutete erneut an der Tür. Jessies Stirn legte sich in Falten. »Da hat es sich wohl doch einer anders überlegt.«

      »Oder wir waren Harris jetzt schon zu laut!«, sagte Dean erheitert und mit vollem Mund.

      Jessie öffnete. Die Maklerin Mrs Brixton stand vor der Tür; ihr Gesicht zeigte Anspannung.

      »Guten Abend«, sagte sie außer Atem.

      Mila lugte um die Ecke. »Wanda? Was machst du denn hier?«

      »Entschuldigen Sie, wenn ich Ihre Party störe«, sagte die Frau aufgeregt. »Aber Mila sagte mir, dass sie heute Abend hier wäre.«

      Jessie lächelte unsicher und ließ die Maklerin ein. Mila stürzte sofort auf sie zu.

      »Ist was passiert?«

      Dem blassen Gesicht von Mrs Brixton zu urteilen, musste dem wohl so sein.

      »Allerdings«, sagte diese auch prompt. »Er hat wieder zugeschlagen!«

      Der Mann aus Apartment drei

      Der alte, analoge Winnie-Puh-Wecker riss Jessie aus einem unruhigen und kurzen Schlaf. Sie setzte sich benommen auf und spürte zunächst den schalen Geschmack in ihrem Mund. Dann sah sie sich um. Das Sonnenlicht schien freundlich durch die Fenster in ihr neues, kleines Schlafzimmer.

      Sieben Uhr, Zeit aufzustehen. Das war für sie an diesem Morgen leichter gesagt, als getan. Immerhin war es bereits nach drei Uhr gewesen, als sie die letzten Gäste, Robin und Dean, verabschiedet hatte. Insbesondere Dean hatte das Ende der Party immer weiter rausgezögert, was Robin genötigt hatte, ebenfalls zu bleiben, um Jessie nicht mit ihm alleine zu lassen.

      Jessie dachte an die Besorgnis erregende Nachricht, die ebenfalls ein Grund für ihren unruhigen Schlaf gewesen war: Mrs Brixton hatte von einer weiteren jungen Frau berichtet, die gerade einmal vier Häuser entfernt in ihrer Wohnung tot aufgefunden worden war.

      Die Maklerin, ihrem Ruf als Tratschtante der Gegend alle Ehre machend, hatte natürlich direkt alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Einzelheiten zu der grausamen Tat zu erfahren. Demnach musste die Frau bereits seit über vierundzwanzig Stunden tot gewesen sein, ehe ein Arbeitskollege sie gefunden hatte. Jessie bekam ein flaues Gefühl in ihrer Magengegend, als sie sich das Szenario bildlich vorstellte.

      Sie stand auf und schlurfte ins Bad. Das Gesicht, das ihr aus dem Spiegel über dem Waschbecken entgegen schaute, entsetzte sie. Sie sah total übernächtigt aus, hatte dunkle Ringe unter den Augen. Sie würde heute sicher eine halbe Stunde länger brauchen, bis sie sich soweit restauriert hatte, dass man sie als menschliches Wesen erkennen konnte. Während sie sich ihre Zähne putzte, dachte sie wieder an die improvisierte Einweihungsparty. Die Leute, die sie kennengelernt hatte, waren alle sehr nett. Besonders Robin.

      Sie hatte sich noch lange mit ihm über alle möglichen Dinge unterhalten, während Dean bereits durch den Genuss von einigen Bieren zu viel, angeschlagen in der Ecke gesessen hatte.

      Robin war Grafikdesigner, wie sie jetzt wusste. Und Dean war, auch wenn sie das kaum glauben konnte, sein Geschäftspartner. Ihr Büro hatten sie im zweiten Stock der Nummer neunundsiebzig, gegenüber des mysteriösen Mister Forsythe. Dort wohnte Robin auch, während Dean jeden Tag mit dem Fahrrad aus Hounslow herüber kam.

      Robin war ein charmanter Kerl; jemand, mit dem sich Jessie etwas vorstellen konnte - was immer dieses ›Etwas‹ auch sein mochte.

      Es war schon mehr als ein halbes Jahr her, dass sie sich von ihrem letzten Freund getrennt hatte. Aber nachdem sie erfahren hatte, dass er fremdgegangen war, war das die einzige Konsequenz, die sie für angemessen gehalten hatte. Ihre Mutter hatte dem Typen zwar ein bisschen hinterher geweint, da er ja laut ihr ›eine so gute Partie‹ gewesen war. Aber einen teuren Sportwagen zu fahren und ein geregeltes Einkommen zu haben, waren Jessie nicht genug, wenn dabei die Treue auf der Strecke blieb. Wie würde wohl Robin das sehen?

      »Hey, jetzt denk halt mal an was anderes!«, rief sie sich zur Raison.

      Ihr erster Arbeitstag lag vor ihr und es würde sinnvoller sein, sich darauf vorzubereiten. Um vierzehn Uhr würde ihre erste Schicht als Betreuerin im Gym beginnen. Sie war leicht aufgeregt, obwohl der Job ihr sicher nicht mehr und auch nichts Neues abverlangen würde, als das, was sie zuvor schon zwei Jahre lang in Loughton getan hatte: Sportwillige Menschen zu unterstützen, ihnen Tipps im Umgang mit den Fitnessgeräten und zu Gesundheitsfragen zu geben und einen Pilates-Kurs zu leiten. Sie hoffte nur, dass die Kunden und Kollegen hier ebenso unkompliziert und freundlich waren, wie in Loughton.

      Jessie sah auf die Uhr: Sie hatte noch genug Zeit, in Ruhe zu frühstücken.

      »Wo bekomme ich denn hier in der Gegend was zu beißen her? Mann, ich muss unbedingt einkaufen!«

      Gleich um die Ecke der Nummer neunundsiebzig gab es einen Coffeeshop, der auch belegte Bagel anbot, wie Jessie freudig festgestellt hatte. Mit einem Becher Latte Macchiato und einem eingepackten Vollkornbagel betrat sie wieder das Treppenhaus. Dort stieß sie beinahe mit einem Mann zusammen.

      »Oh, tut mir leid«, sagte sie.

      Der Mann, sie schätzte ihn auf Mitte fünfzig, reagierte nicht, verzog keine Miene. Sie gingen aneinander vorbei, aber Jessie drehte sich nochmal zu ihm um.

      »Ich bin Jessica Walsh. Die neue Mieterin«, sagte sie, lächelte und streckte dem Mann die Hand hin, während sie den Bagel zwischen Arm und Körper klemmte.

      Der Mann ging weiter zur Tür, blieb dann aber stehen. Er drehte sich um und musterte sie von oben bis unten. Seine Augenpartie war faltig und die Augen blutunterlaufen. Die Haut in seinem Gesicht wirkte grau. Er kam auf sie zu. Sein dünner, grauschwarz gescheckter Mantel wehte unheilvoll hinter ihm.

      Weiterhin hielt Jessie unbeirrt ihre Hand zum Gruß ausgestreckt. Zögerlich erwiderte der Mann ihre Geste. Sein Händedruck war sehr fest, seine Hände eiskalt.

      »Forsythe«, sagte er monoton