Stefan G. Rohr

Das Kontingent


Скачать книгу

lesen, um was darin stand, aber ich habe eine Vermutung.“

      „Denke bitte laut …“ flehe ich.

      Ruprecht ist hochkonzentriert. „Nun ja, es werden möglicherweise Hinweise zu der Druckweise sein, die er sich da notiert hat. Vielleicht so etwas, wie eine Verfahrensanleitung oder Hinweise, wie er bestimmte Dinge gemacht hat, damit es bei einer Wiederholung gleich wird und er anfängliche Fehler vermeiden kann. So würde ich das jedenfalls gemacht haben. Und das würde ich dann auch in das Schließfach packen.“

      Ich denke weiter: „Vielleicht hat er aber auch notiert, wo er bereits Falschgeld in den Umlauf gebracht hat.“

      Die anderen schauen verdutzt und ich stelle fest, dass meine Vermutung tatsächlich wohl nicht auszuschließen ist. Es ist Zeit für etwas Alkoholisches. Ich stelle Schnapsgläser auf den Tisch und schenke Wodka ein. Wir haben uns jetzt alle einen Schluck verdient. Da sitzen wir nun, vor uns ein Schlüssel und ein paar Geldscheine, die offensichtlich von unserem verstorbenen Freund gefälscht wurden, und zwar so gut, dass es uns schwerfällt, das auch wirklich zu glauben.

      Fredo kippt seinen Schnaps in einem Zuge weg. „Die Dinger sind eine Wucht!“ ruft er fast ein wenig begeistert. „Um nicht zu sagen: eine Riesenwucht!“

      Ruprecht schüttelt den Kopf: „Wer hätte das gedacht? Wie lange hat Kalli wohl schon die gefälschten Scheine in den Umlauf gebracht?“

      Meinen Glauben an das Gute will ich nicht so leicht aufgeben. „Ich denke, nicht lange.“ sage ich schnell. „Ich glaube eher, er hat das ausprobiert und am Ende hat ihn der Mut verlassen.“

      „Oder das schlechte Gewissen hat ihn eingeholt.“ Entgegnet mir Fritz.

      Ruprecht verlangte einen zweiten Wodka. „Wie auch immer. Ich glaube aber auch nicht, dass er – wenn überhaupt – viel davon unter die Leute gebracht hat.“

      Wir denken nach und es ist wieder still unter uns geworden. Wir haben heute etwas Ungeheuerliches entdeckt und dennoch sind wir letztlich nicht so tief bestürzt, wie es anständige Menschen in einer solchen Situation eigentlich sein sollten. Auf die Idee, in diesem Moment zur Polizei zu gehen, ehe es zu spät dafür ist, ist bisher auch niemand gekommen und ich selbst wische diesen Gedankenansatz gerade wieder weg, ohne zu wissen, warum ich das eigentlich tue. Die mangelnde Betroffenheit in Bezug auf unsere scheinbar doch leicht brüchige Moral und Sittlichkeit ist unübersehbar.

      Wir sind zwar irgendwie betroffen, doch es scheint, dass der Grund hierfür darin zu suchen ist, dass wir uns eher mit der Frage zu plagen begonnen haben, was wir nun mit all diesen Erkenntnissen anstellen sollen. Was bedeuten diese jetzt für uns alle, für jeden einzelnen? Ich fühle mich ein wenig hin- und hergerissen. Bin ich denn schon so abgestumpft, dass ich nicht aufspringe und eine Moralpredigt vom Stapel lasse? Bin ich etwa latent kriminell und bereit, das, was Kalli getan hat, gutzuheißen und vielleicht sogar für mich zu verwerten?

      Was ist mit Ruprecht, unserem Erzengel der Gesetzestreue? Er müsste jetzt doch eine flammende Rede über tugendhaftes Bürgertum und gnadenlose Strafjustiz halten, uns alle auffordern, sofort und mit aller Macht dem Unrecht Einhalt zu gebieten. Er ist aber ebenso still, wie wir alle hier. Keiner mag eine Brandrede halten. Aber so richtig bestürzt ist auch keiner von uns. Wir sitzen eher da, mit aufkeimender Faszination, lassen die Scheine immer wieder kreisen und blicken fast ein wenig diebisch lauernd in die Runde. Wer wird wohl als Erster etwas sagen? Wer wird den Mut haben, das auszusprechen, was wir alle denken?

      Wenn Marta jetzt hier säße, dann würde sie uns donnerhaft die Köpfe waschen und uns mit zischenden Stockhieben zur nächsten Polizeistation treiben. Mindestens aber würde sie so lange nicht Ruhe geben, bevor nicht alle Fundstücke, Scheine wie Platten, das noch unbenutzte Papier unwiederbringlich vernichtet wären. Sie würde selbst das Benzin über den Scheiterhaufen schütten und den Streichholz zünden. Ohne eine einzige Millisekunde dabei zu zögern, das vernichtende Feuer höchst persönlich zu entfachen. Sie würde warten, bis alles bis zur Unkenntlichkeit verglüht ist, uns dann zu einem fulminanten Abendessen einladen, um ab diesem Moment nie wieder ein Wort über die ganze Sache zu verlieren.

      Aber wir hier, wir sitzen mit zunehmend aufkommenden Zügen Schwerkrimineller im Gesicht da und warten darauf, dass irgendeiner unter uns den erlösenden Satz bringt. Habe ich gerade erlösend gedacht? Ja, tatsächlich: erlösend. Wir sitzen doch auf einem Schatz, den wir nur noch zu heben brauchen. Ein Virtuose der Druckkunst hat uns diesen hinterlassen. Er hat es uns vorgemacht und wir haben nun die Möglichkeit, es ihm nachzumachen, auszuwerten, auszukosten. Alles, was wir dafür brauchen, ist scheinbar vorhanden. Und wenn man es Recht bedenkt …

      „… dann haben wir eine vollständige, funktionstüchtige und kampferprobte Druckerei.“ sagt Fredo plötzlich in die Stille hinein. „Wir können mehr Geld drucken, als wir jemals ausgeben können. Wir brauchen nur loszulegen.“

      „Du bist völlig durchgeknallt!“ kontert Ruprecht. Aber so richtig ernst klingt das nicht mehr.

      Und dann ist da noch dieses Funkeln, das Blitzen in unseren Augen. Verrät sich so die Versuchung? Haben sich so Adam und Eva angesehen, als sie den Apfel in der Hand hielten? Sehe ich in unseren Blicken die pure Lust zum verbotenen Abenteuer? Das, was Kindern in den Augen steht, wenn sie zur Mutprobe stehlen gehen? Oder sehe ich das Kriminelle in uns, den unbändigen Trieb zu einem Verbrechen? Die perfide Lust an der Illegalität und den kühnen Traum vom perfekten Verbrechen? Sehe ich das, was Bonny und Clyde in den Augen gestanden haben könnte, wenn sie selbst in den Spiegel schauten.

      10

      Zur gleichen Zeit grübelt einige tausend Kilometer entfernt der alte al-Basir und macht sich Sorgen, was zu tun sei. Die Situation in Kobane, auch wenn sie immer noch in dem Stadtteil zugegen sind, der gewisse Sicherheit verspricht, wird die Situation doch zunehmend unüberschaubarer und lebensbedrohlicher. Er wird seine Familie hier nicht schützen können. Er, als alter Mann, schon gar nicht mehr. Und was soll eine alte Frau machen können, eine junge Mutter oder ein kleines Kind? Wenn der Sturm sie erfasst, dann sind sie verloren. Er selbst hat keine Angst um sich, er würde dem Tod ins Auge schauen, erst Recht, wenn er mit diesem seine Lieben schützen oder gar retten könnte. Die Gewalt aber hat zu große Ausmaße angenommen. Ein Flächenbrand, der das ganze Land erfasst hat, weite Regionen über die Grenzen hinaus und niemand ist nirgends mehr wirklich sicher.

      Seine Tochter ist über den sechsten Monat. Seit Monaten sind sie unterwegs und haben keinerlei ärztliche Versorgung erhalten. Die Anstrengungen schaden ihr und er befürchtet, dass sie das Kind verlieren könnte. Und bald wird sie niederkommen. Seine Frau kann helfen, aber wird das reichen? Wie soll es mit einem Neugeborenen auf ihrem beschwerlichen Weg weitergehen? Hat das Kleine überhaupt eine Chance, wenn sie hier bleiben? Und die Gefahr, dass sie bei einem Vorstoß von den Mordtruppen des IS aufgebracht werden, in deren Hände fallen, ist jederzeit gegeben. Zu nah ist die Kampflinie und der Tod wartet jeden Tag aufs neu, holt sich seine Opfer.

      Er weiß, was die Mörderbanden mit gefangenen Frauen machen. Erst Recht mit Christen. Ein schneller Tod wäre in einem solchen Moment eine Gnade für alle. Damit wäre jedoch nicht zu rechnen, im Gegenteil. Die Grausamkeiten, die er gesehen, gehört und die so unfassbar sind, dass jede Beschreibung fehlt, zerbrechen ihm schon beim ersten Gedanken daran sein Herz und es dreht sich ihm fast der Magen um. Sie müssen hier weg, raus, zu einem sicheren Ort. Seine Heimat ist verloren, für lange Zeit, er kann nicht mehr warten und hoffen, dass es bald vorbei und wieder besser ist. Sein Land wird weiterhin von Schurken regiert und die einstige Hoffnung auf eine Demokratie, eine Normalisierung der Bedingungen, sind jäh verflogen.

      Die einzige Möglichkeit, und darüber denkt er in diesen Tagen immer wieder nach, ist der Aufbruch in eines der Flüchtlingslager außerhalb Syriens. Wie er weiß, gibt es zwar einige im eigenen Land, so zum Beispiel nahe der Stadt Aleppo, die sicheren aber liegen in Jordanien, im Libanon oder in der Türkei. Nach Jordanien oder in den Libanon zu gelangen, wird in ihrer Lage kaum noch möglich sein. Den Weg werden sie nicht mehr schaffen. Sie sind aber bereits an der Grenze zur Türkei und dorthin gehen immer mehr seiner Landsleute auf der Flucht vor dem Terror des IS. Die Grenzen sind