Stefan G. Rohr

Das Kontingent


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Arm auf den meinen und drückt mich kurz dreimal hintereinander.

      „Wenn Tante Erna gleich kommt, dann siehst Du zu …“ dabei sieht er mir direkt und fest in die Augen, „…, dass Du den Rollstuhl aus dem Waggon bekommst.“ Das Wort `Rollstuhl´ betont er dabei besonders.

      Ich sehe ihn dämlich an. Wer ist Tante Erna? Fritz wird lauter.

      „Und du schaffst das Gepäck von Tante Erna dann auf einen Gepäckwagen, damit wir nicht so viel schleppen müssen.“ Er hat sich an Willi gewendet und der nickt, ohne dass dieser irgendein Wort verstanden hat.

      Die Polizisten sind jetzt auf unserer Höhe und schauen uns an.

      Fritz fährt unbekümmert fort: „Draußen sind ja ausreichend Taxen. Ich denke, da wir auch eine dabei sein, die Tante Ernas Rollstuhl mitbekommt.“ Auch dieses Mal betonte er den Rollstuhl wieder.

      Die Polizisten sind an uns vorbei und haben nun einen der Obdachlosen ins Visier genommen, der an der Ecke gerade lauthals Passanten anpöbelt. Ich danke dem Mann insgeheim für sein Dasein und werde ihm dafür nachher einen Euro in die Hand drücken.

      Da erscheinen Ruprecht und Fredo wieder. Sie kommen um die Ecke der Schließfachanlage und ihren Gesichtern ist rein gar nichts zu entnehmen. Sie sind jetzt bei uns und Fredo raunzt uns an: „Los kommt. Nicht hier. Wir müssen Ruhe haben.“

      Wir ziehen uns gemeinsam zurück und beschließen, dass wir uns in meine Wohnung begeben. Wir gehen besonders schnell. Wir laufen schon fast und Fredo gibt das Tempo vor. Willi stöhnt und schnauft, er ist derlei Bewegung nicht gewohnt und ich habe wieder Angst, dass er den Weg zurück vielleicht nicht übersteht. Ich bin ich Hochspannung, mich fröstelt es leicht und merke, wie meine Hände zittern.

      Die Strecke, so schnell wir sie auch bewältigen, will kein Ende nehmen. Unsere Gedanken kreisen wirr. Weder Fredo noch Ruprecht haben irgendeinen Ton verlauten lassen. Sie gehen beide mit erster Mine voran und wir anderen eilen ihnen wie Lemminge hinterher. Wir erreichen die Straße mit unserem Haus und eilen durch das Tor in den Hinterhof. Mit doppelten Schritten jagen wir die Treppenstufen hinauf zu meiner Wohnung und als wir an meiner Türe ankommen, sind wir völlig außer Atem. Ich nehme meinen Wohnungsschlüssel und zittere so, dass ich ihn fast nicht ins Schloss bekomme. Mein Herz rast und als wir eintreten, schließe ich hinter allen mit Schwung die Eingangstüre. Wir lassen uns in die Sessel fallen. Nur Ruprecht steht mit dem Rücken zu uns am Fenster und schaut hinaus. Die Spannung ist unerträglich und alle warten auf die erlösende Information der beiden.

      Fredo legt den Schließfachschlüssel vor unseren Augen in die Mitte meines Wohnzimmertisches. Ruprecht dreht sich jetzt um, zieht etwas aus der Innentasche seines Sakkos und legt es ebenfalls auf den Tisch, direkt neben den Schlüssel. Es sind mehrere Fünfzig-Euro-Scheine, glatt und schier, als kämen sie gerade aus der Druckerpresse.

      Ich traue meinen Augen nicht und in meinem Kopf kreisen sofort die wildesten Gedanken. Mit offenen Mündern gaffen wir auf die Scheine – keiner von uns wagt etwas zu sagen.

      Ruprecht aber erklärt ganz ruhig: „Davon sind noch ein paar Bündel im Schließfach.“ Er klingt fast so, als rede er von alten Socken, die ein Reisender dort vergessen hat.

      „Wieviel?“ frage ich.

      „Keine Ahnung.“ Antwortet Ruprecht. „Es sind zehn Bündel. Geschätzt vielleicht irgendwas zwischen dreißig- und fünfzigtausend Euro.“

      „Habt ihr das denn nicht gezählt?“ Willi ist leicht entrüstet.

      „Gezählt?“ ruft Fredo. „Ja, wir stellen uns da mitten im Bahnhof hin, und zählen Geld.“ Seine Augen blitzen Willi an. „Mensch, für wie blöd hältst Du uns eigentlich?“

      „In dem Schließfach ist noch was.“ berichtet Ruprecht weiter. Wir halten alle sofort inne und schauen ihn gespannt an.

      „Ein Karton. Und wenn ich mich mein Laienverstand nicht irren lässt, dann sind darin verschiedene Druckplatten.“ Ruprecht schaut wieder aus dem Fenster.

      Uns hat es wieder die Sprache verschlagen. Hat er eben `Druckplatten´ gesagt? Wenn das stimmt, dann können es nur solche sein, mit denen man das Geldpapier bedrucken kann. Das kann der einzige Grund sein, warum Kalli Druckplatten in einem Schließfach versteckt hat.

      Nach kurzer Besinnung greife ich auf den Tisch und nehme die Fünfziger in die Hand. Ich verteile die beiden anderen Scheine an die Runde. Wir alle betasten das Papier und halten die Scheine gegen das Licht. Sie fühlen sich nicht nur echt an, sie sehen auch so aus, zumindest auf den ersten Blick. Ich selbst bin überhaupt nicht in der Lage, etwas Gefälschtes zu entdecken. Diese Scheine könnte man mir ohne weiteres unterjubeln – ich würde nichtsahnend ohne Argwohn bleiben.

      „Ist das denn nun Falschgeld … oder … ?“ fragt Fritz als Erster.

      Fredo ist sich sicher: „Darauf kannst Du einen lassen …“ Er setzt sich auf die Lehne meines Sessels. „Und zwar einen, der richtig stinkt.“

      Ruprecht nimmt seine Geldbörse aus der Tasche und holt einen Fünfziger heraus. Wir alle greifen in unsere Portemonnaies. Nur Willi und ich haben noch Fünfziger. Wir vergleichen unsere mit den Noten aus dem Schließfach. Es dauert einige Minuten, bis wir alle einmal darauf geschaut haben. Dabei fühlen wir jeweils in der einen Hand den Schein von mir, in der anderen den aus dem Schließfach, halten beide nebeneinander gegen das Licht, fahren mit der Fingerspitze über die Scheine, drehen sie um und wiederholen das Gleiche für die andere Seite.

      Willi scheint besorgt: „Wir müssen uns merken, welcher Schein von uns ist.“ gib er zu bedenken.

      Und er hat Recht. Die beiden Scheine ähneln sich nicht nur, wie ein Ei dem anderen, sie sind für uns Laien überhaupt nicht auseinander zu halten. Wir haben kein geschultes Auge für die Echtheitsprüfung von Banknoten und das bisschen Wissen über die Sicherheitsmerkmale reicht nicht, um eine verlässliche Expertise abgeben zu können. Ich habe mir den Silberstreifen angesehen: absolut identisch. Dann das Wasserzeichen: ebenso exakt, wie das auf dem Originalschein. Farben und Druck sind nicht wirklich zu unterscheiden und selbst das Hologramm wirkt auf mich bei beiden nahezu gleich.

      Ich nehme meine Leselupe zur Hand und mache das Oberlicht an. Ich suche mir eine Stelle auf dem Schein von mir, die ich sofort darauf mit der gleichen Stelle des anderen Scheines vergleiche. Ich wechsele dabei schnell hin und her. Ich will mir kleine Details merken, die vielleicht unterschiedlich sind. Ich kann nichts feststellen. Beim Hologramm allerdings fällt mir auf, dass das auf dem Schein aus meinem Portemonnaie in der Vergrößerung anders schimmert, nicht ganz so metallisch, finde ich. Darüber hinaus kann ich nichts Auffälliges entdecken.

      Fredo nimmt die mitgebrachten Scheine nochmals in die Hand und sieht sich diese nacheinander einzeln an. „Sie haben alle unterschiedliche Nummern.“ bemerkt er. „Auch das hat Kalli bedacht.“

      „Moment einmal“, sage ich, „Du sagst also, dass die Scheine aus dem Schließfach Blüten von Kalli sind? Dass er demnach Falschgeld produziert hat?“ Ich bin immer noch entrüstet und will es nicht fassen.

      „Mein Freund“, antwortet Fredo und richtet sich an alle, „ich sage das nicht nur, es ist für mich eine klare Sache. Warum wohl sollte man so viel Geld in ein Bahnhofsschließfach legen? Gleich neben ein paar Druckplatten, die auf den ersten Blick, dann aber auch sehr deutlich zu erkennen, das Muster von einem Fünfziger aufweisen? Und nebenbei liegt im Hofgebäude ein Haufen Banknotenpapier – ebenso Fünfziger?“ Er macht eine rhetorische Pause. „Für mich ist eins und eins gleich zwei. Hat jemand eine andere Erklärung zu bieten?“

      Keiner von uns kann dem etwas entgegen setzen. Fredo hat es auf den Punkt gebracht – auch wenn wir es als schmerzlich empfinden, dass sich unsere Vorahnungen in dieser Sache zu bestätigen scheinen.

      Fritz versucht dennoch eine andere Überlegung zu platzieren: „Geld im Schließfach, aber selbst hohe Schulden?“ Er ist dabei nachdenklich, aber bestimmt. „Das wäre doch irgendwie idiotisch…“

      Ruprecht fährt dazwischen: „Es sei denn, der liebe Kalli hatte einen gewichtigen Grund