Stefan G. Rohr

Das Kontingent


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Gehwege und des Vorplatzes lassen dem Komplex zudem fast neu erscheinen und der Vorbeigehende wird die dunkle Vergangenheit so kaum noch erahnen können. Das `Haus am Werderschen Platz´, inmitten von Berlin gelegen, trägt dazu einen einfachen Namen und verbirgt auch auf diese Weise sein Gewicht in seiner Bedeutung und Nutzung.

      In einem der eher abgelegenen Seitenflügel befindet sich einer der vielen Konferenzräume. In einem kleineren von diesen steht in der Raummitte ein ovaler Kirschholztisch. Zwölf elegante schwarze Lederstühle, mit fast zierlich wirkenden Chromgestellen, sind ordentlich angereiht und bilden einen förmlichen Ring um den polierten Tisch. Übergroße Ölbilder mit abstrakten Motiven kleiden die Wände und geben dem ganzen Raum eine kühle, moderne Atmosphäre.

      Gerade hatte noch der zuständige Servicemitarbeiter Kaffeekannen, Wasser, Säfte und Geschirr platziert. Süße Kuchen hat er zudem aufgedeckt, dazu Pistazien und einen Teller Datteln. An der Seite steht ein silberner Teewagen, auf dem ein kunstvoll hergestellter, gehämmerter Samowar steht.

      Als die drei Herren den Raum betreten, hat das Wasser die korrekte Temperatur. Sie setzen sich an den großen Tisch und sehen daran fast ein wenig verloren aus. Aber einen kleineren Raum wollte man dann auch nicht wählen. Der Servicemann reicht dem einen von ihnen ein Teeglas und schenkt aus. Danach gießt er den beiden anderen Sitzenden Kaffee in die Tassen, schaut kurz – dann erhält er ein fast unmerkliches Nicken als Zeichen, dass er jetzt gehen kann. Geübt wendet er sich um und verlässt den dezent beleuchteten Raum, der von einer Klimaanlage sanft flüsternd temperiert wird. Hinter sich schließt er die schwere Türe, die federleicht ins Schloss fällt.

      Die Anwesenden sprechen kaum, sie haben jeweils ihr Glas oder ihre Tasse in der Hand und trinken bedächtig deren Inhalt. Einer von Ihnen sitzt auf seiner Tischseite alleine. Seine beiden Gegenüber haben zwischen sich zwei Sessel Platz frei gelassen. Die freundliche Geste eines der beiden in Richtung ihrs Gastes, die diesen auf die bereitgestellten Köstlichkeiten auf dem Tisch hinweisen soll, lehnt dieser jedoch mit einer kurzen Handbewegung freundlich dankend ab.

      Dieses Treffen heute ist nur eine informelle und kurzfristig anberaumte Sitzung, die man außer Protokoll vereinbart hat. Die beiden Gastgeber sind allerdings nicht allzu erfreut, dass sich ihr Vorgesetzter breitschlagen ließ, diesem Gespräch auf die Schnelle zuzustimmen. Die Diplomatie aber verlangt es, dass auch solche Treffen, trotz der Absehbarkeit völliger Ergebnislosigkeit, unter Wahrung der protokollarischen Mindestanforderungen wahrgenommen werden. Alles natürlich in bestem Tone.

      Das ist auch dem einzelnen Herrn klar. Er ist schon zu lange `im Geschäft´ und diese beiden Subalternen, die ihm so freundlich und dennoch offensichtlich desinteressiert gegenüber sitzen, sind eher als Beleidigung zu deuten, denn als ein Akt der offensiven Auslandsdiplomatie seines heutigen Gastgeberlandes.

      Dr. Bashir Faruq hatte Rechtswissenschaften in Cambridge sowie Politikwissenschaften an der Sorbonne in Paris studiert und war früh in den diplomatischen Dienst Algeriens getreten. Als geborener Syrer und Angehöriger einer einflussreichen Assad-nahen Familie, hatte er sich entgegen aller Ratschläge und angedrohten Repressalien entschieden, einen eigenen Weg zu gehen, der in jedem Fall seinen Lebensmittelpunkt nicht in Syrien haben sollte.

      Mit seiner griechischen Frau lebt er seit langer Zeit überwiegend in Kairo und hat sich über die Jahre dort und in der arabischen Welt einen Namen als ausgeglichener Diplomat, Ratgeber und besonnener Interessenvertreter bewiesen. Er war damals noch jung, als er seine Stellung im Generalsekretariat der Arabischen Liga einnahm. Schnell aber konnte er sich mit großer Anerkennung zu einem von denen entwickeln, die man allgemein so gern als „Graue Eminenzen“ bezeichnet. Größen, die nicht im Rampenlicht stehen, sondern vielmehr die Geschicke aus den verdeckten Reihen lenken.

      Sein heutiges Alter von Mitte Fünfzig sieht man dem sportlichen, schlanken Mann nicht an. Sein voller Bart ist zwar fast zur Gänze ergraut, seine schlichte Eleganz, sein agiler, dennoch stets akkurater Gang lassen ihn deutlich jünger wirken. Faruq ist sich dessen durchaus bewusst. Er unterstützt das – nicht ohne Selbstgefallen – durch gedeckt wirkende italienische Maßanzüge und geschneiderte Hemden aus ägyptischer Baumwolle, deren Ärmel er mit immer wechselnden weißgoldenen, nie aber aufdringlichen Manschettenknöpfen zu schließen pflegt. Er ist an seine Wirkung längst gewöhnt, auch, dass sich schnell über ihn unterhalten wird, wenn er den Raum betritt. Vor allem sind es die Damen der Gesellschaft, die nicht selten auch einen zweiten Blick in seine Richtung wagen.

      Dr. Bashir Faruq hat um einen kurzen Abgleich mit dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland gebeten, da es jüngst zu einer massiven Gewaltwelle der Terrorgruppe des sogenannten `Islamischen Staates´ in den besetzten und anreihenden Gebieten – vornehmlich in Syrien – gekommen ist. Er ist sich darüber bewusst, dass er nur die Rolle eines Lageberichterstatters damit erfüllt, denn die Reaktionen der Länder, die er neben der Bundesrepublik Deutschland ebenso besucht und informiert, sind identisch. Es erfolgt ein höflicher Empfang und aufmerksam scheinende Diplomatie Vertreter, die sich nach dem Gesprächsende zurück an ihre Schreibtische setzen und für ihre Chefs, und indirekt vielleicht noch einige drittrangige Gremien, einen kurzen Bericht verfassen.

      Die Gespräche sind somit meist von unbedeutender Länge. So auch heute. Auf dem Dienstplan des für ihn am heutigen Tag zuständigen Fahrdienstes steht deshalb auch: „Warten“. Das bedeutet, dass nach spätestens vierzig Minuten der Gast wieder abfahren wird. Eine knappe halbe Stunde Gespräch, der Rest ist Wegezeit und Abwicklung. Faruq nimmt das schon lange mit der ihm gegebenen Gelassenheit und mit dem schönsten diplomatischen Lächeln, dass man gegenüber den unteren Rängen aufzubringen hat. Seine Zeit in Saudi Arabien, seine orientalischen Wurzeln und seine exzellenten Umgangsformen lassen ihn das in höchster Professionalität erledigen.

      Wie erwartet ist das heutige Zusammentreffen nach kurzer Zeit beendet und Faruq wird zum Ausgang begleitet. Der Fahrer in der schwarzen Limousine hat Anweisung, ihn in den Bereich des Berliner Flughafens zu fahren, in dem das diplomatische Korps gewöhnlich abgefertigt wird. Faruq aber bittet den Fahrer, dass dieser ihn noch kurz zu dem syrischen Restaurant `Saliba´ fährt. Er möge ihm doch die Freundlichkeit erweisen, dort nochmals eine halbe Stunde vor der Tür auf ihn zu warten. Erst dann müsse er zum Flughafen. Faruq hält ihm dazu gleich einen Zettel hin, auf dem die Anschrift des Restaurants geschrieben steht.

      Eine solche Bitte ist nicht abschlagbar, das weiß auch der Diplomat. Und so steuert der Chauffeur mit der Bordnavigation das neue Ziel an. Faruq ist sich darüber im Klaren, dass das Navi gleich bei Rückkehr des Fahrzeugs im Fuhrpark des Auswärtigen Amtes ausgewertet werden würde. Sie werden aber nur denken, dass er einfach Hunger gehabt hätte und eine Küche bevorzugt haben wird, die seinen Gewohnheiten entsprach.

      Im Restaurant wird er bereits erwartet und mit einem kurzen Nicken begrüßt. Man führt den wichtigen Gast ohne zu sprechen unmittelbar in einen der hinteren Räume des Lokals. Es riecht hier nach starkem arabischem Mokka und nach orientalischen Gewürzen. In dem kleinen Raum sitzen vier junge Männer um einen runden Tisch. Als Faruq hereinkommt, springen sie auf und senken in großer Ehrfurcht ihre Köpfe zum Gruß. Faruq spricht sie auf Syrisch an und bittet, fast etwas peinlich berührt, dass sie doch gleich wieder Platz nehmen sollen. Der Mann, der ihn hereingebracht hat, serviert dem neuen Gast einen stark gesüßten Mokka.

      Die jungen Männer sind sichtlich nervös und die Kürze der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit scheint sich auch noch erschwerend auszuwirken. Faruq versucht ein paar wenige Worte zu ihrer Beruhigung zu formulieren, kommt dann aber schnell auf den Punkt. Er berichtet ungeschönt über die massiven Kämpfe und die Massaker des IS an der zivilen Bevölkerung. Er stützt sich dabei auf Berichte und Aussagen, die er so oft wie möglich einfordert und deren Aktualität – es geht nicht besser – eine Zeitverzögerung von mindestens vierundzwanzig Stunden aufweisen. Manchmal leider auch deutlich mehr. Das müsse jeder wissen.

      Er gab den Vieren eine Internet-Adresse bekannt, deren Inhalt von seinen persönlichen Mitarbeitern erstellt und gepflegt wird. Auf diesen Seiten werden die Namen der Toten und Vermissten aktuell aufgeführt. Faruq wisse, dass diese Information in dieser Form eine fast unerträgliche Härte bedeuten würde, aber sie schaffe Klarheit. Er bat die Anwesenden, diesen Link unter keinen Umständen an andere zu geben. Sie sollten sich vielmehr den Freunden und Mitgliedern