Stefan G. Rohr

Das Kontingent


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      5

      An diesem Tag werde ich nicht zu einem Einsatz gerufen. Es wird häufiger, dass man mich nicht benötigt. Insgeheim bin ich aber auch ganz froh darüber, denn wir haben uns verabredet, nochmals über unseren Fund zu sprechen. Als ich mit meinem spärlichen Abwasch fertig bin, sehe ich durchs Fenster nach unten in den Hof. Da sitzt Julius auf der Bank. Es ist früher Nachmittag und so wundere ich mich, ihn schon hier zu sehen.

      Ich öffne das Fenster und rufe besorgt hinaus: „Julius! Alles in Ordnung? Hast Du heute frei?“

      Julius schaut zu mir herauf und schüttelt traurig den Kopf.

      Ich zögere nicht: „Komm herauf zu mir, mein Junge. Ich mache Dir einen Kaffee.“ Dann schließe ich das Fenster wieder und kurz darauf erscheint ein leichenblasser junger Mann in meiner Wohnung.

      „Bin gefeuert!“ sagt er nur kurz und setzt sich hin.

      „Waaas!?“ ich traue meinen Ohren nicht. „Wieso, wann, warum …?“

      „Schlechte Zahlen, Zeitungskrise. Jetzt hagelt es Stellenkürzungen!“ antwortet Julius kurz.

      „Ja, aber … das ist doch eine Sauerei!“ stammele ich und erinnere mich daran, dass ich das ja auch schon einmal am eigenen Leib erfahren habe.

      Julius ist niedergeschlagen: „Ich bin am untersten Ende der Sozialauswahl, wie man sagte. Nicht verheiratet, habe keine Kinder, bin erst kurze Zeit in der Firma und jung genug, um am Arbeitsmarkt noch alle Chancen der Welt zu haben.“

      Die Begründung bei mir damals lautete anders. Das war dann aber auch das Einzige. Der Rest scheint gleich. Doch daran möchte ich jetzt nicht denken und ich trinke meinen Kaffee, den Blick auf meinen jungen Gast gerichtet, der sich wie ein Häuflein Elend an meinen Tisch gesetzt hat. Einen blöderen Zeitpunkt hätten die sich auch nicht aussuchen können, schießt mir durch den Kopf. Julius ist unruhig, er will das alles jetzt auch gleich Marta berichten. So macht er sich auf den Weg zu den Treppen hinauf zu ihrer Wohnung.

      Kurz darauf klopfen die anderen an meiner Wohnungstür und ich mache mich zum Gehen bereit. Wir wollen in unsere Stammkneipe `Bei Erwin´. In der kleinen Wirtschaft, die nur wenige Straßen von uns entfernt ist, darf tatsächlich noch geraucht werden. Der Wirt hat sich mit nobelpreisverdächtiger Logik dafür entschieden, das Wenige, was seine Gäste bisher in seinem Etablissement gegessen haben, zu Gunsten eines Zugewinnes an Alkoholabsatz zu opfern. Er kam in seiner Berechnung dabei auf deutlich mehr Geschäft für sich, schloss seine Küche und ließ sich seine Gäste fortan nicht nur dem Nikotin, sondern vor allem nun dem Suff hingeben.

      Wir haben uns an den Tisch am Fenster in der Ecke gesetzt und bestellen jeder einen Humpen voll `Holsten´. Der Wirt knallt die Gläser auf den Tisch und diese sind im Nu geleert. Fredo ordert gleich eine zweite Runde. Wir sind durstig – und nervös.

      Fredo schaut in die Runde. „Und? – Wie habt Ihr alle Eure letzte Nacht verbracht?“

      Ruprecht jault auf: „Mensch, Fredo. Mach doch nicht solch einen Umweg. Ich wusste genau, dass Du damit anfangen wirst …“

      „Womit denn?“ Fredo gibt sich als Unschuldslamm. „Sprechen ist kein Verbrechen, oder?“ Er strotzt nur so vor Tatendrang.

      Ruprecht gibt aber nicht auf: „Ihr seid doch bekloppt, wenn Ihr glaub, Ihr könnt …“ dann räuspert er sich und fährt leiser fort, „ … na, mit dem, was wir da gefunden haben, … na ihr wisst schon!“

      „Wir wissen im Moment noch gar nichts.“ sage ich ruhig. „Aber zu Deiner Frage, wie ich die letzte Nacht geschlafen habe: schlecht.“

      Fredo beugt sich über den Tisch und wir anderen rücken automatisch näher: „Freunde, überlegt doch einmal, was uns der Herr in seiner großen Güte da ins Nest gelegt hat.“ Fredo rückt noch näher. „Wir alle haben Ebbe in der Kasse. Das Pech, das allein an diesem Tisch sitzt, könnte für hundert unglückliche Leben reichen.“ Er schaut in die Runde. „Keiner von uns kann behaupten, dass das Schicksal es wirklich gut mit ihm gemeint hat. Und es gibt immer noch mal einen oben drauf. Für jeden von uns, sogar Julius bleibt nicht davon verschont.“

      Das nächste Bier kommt. Wir rücken schnell wieder auseinander und schauen, wie der Wirt die Humpen auf die Bierdeckel absetzt. „Na, plant Ihr einen Bankraub …?“ der Wirt grinst und geht wieder.

      Fredo schaut ihm hinterher und flüstert weiter. „Der hat keine Ahnung und bringt nur dumme Sprüche.“ Dann rückt er wieder näher an uns heran. „Stellt Euch doch nur einmal vor, wir machen einfach erst einmal nur ein paar Versuche. Nur um zu sehen, ob wir was hinbekommen und wie das dann aussieht.“ Er macht eine Pause und schaut uns kurz reihum an. „Ich meine, wir wissen ja gar nicht, wie man Farbe auf Papier bekommt, so, dass es echt wirkt. Aber Versuch macht klug – oder? Wir hängen ein paar Zeitungen vor die Fenster und werkeln ein bisschen vor uns hin. Und wahrscheinlich bekommen wir auch gar nichts hin. Wir können ja noch nicht einmal die Maschinen bedienen. Aber den Spaß können wir uns doch wenigstens machen.“

      Wie immer hat Fredo mit seiner Logik etwas Bestechenden. Wir sind zwar nicht überzeugt, aber so Recht haben wir dem auch nichts entgegenzusetzen.

      Nur Ruprecht kann erwidern: „So lange wir im Keller ein paar Kartoffelstempel schnitzen, um mit unserem Tuschkasten kleine Bilder auf den Zeichenblock zu drucken, wird uns niemand etwas anhaben können.“ Er schaut ruhig in alle Gesichter. „Hier aber sprechen wir gerade über etwas anderes. Im Strafgesetzbuch gibt es dafür Paragraphen, nach denen wir künftig allesamt schwarz-weiß-gestreifte Kluft tragen. Das ist kein Spielchen, meine Herren. Worüber wir hier gerade reden, ist ein Kapitalverbrechen.“

      „Vier Wodka, Herr Wirt!“ Fredo ist rot im Gesicht. „Die gehen natürlich auf mich!“

      „Uns besoffen zu machen, macht das auch nicht besser!“ kontert Ruprecht.

      „Besser nicht, aber lockerer …!“ sagt Fredo grinsend. „Und ich denke, dass wir gerade ein recht schönes Spielchen begonnen haben. So richtig ernst wird das doch niemand von uns nehmen, oder? Ein wenig für unsere Fantasie, meine Lieben. Einfach, um sich ausdenken zu können, was man mit ein paar Millionen bester Blüten auf originalem Banknotenpapier anfangen könnte. Macht doch riesigen Spaß.“

      Und nach einer kurzen Pause fährt Fredo fort. Zuvor hat er uns allen aber eindringlich in die Augen geschaut. „Nehmen wir das alles doch mal so: Bevor nicht ein Tropfen Farbe auf irgendein Papier kommt, ist nichts geschehen.“

      Ich beginne mich mit diesem Gedanken anzufreunden: „Ein paar lustige Überlegungen anzustellen kann doch wirklich weder verboten, noch falsch sein.“

      Fritz scheint das ähnlich zu sehen: „Ja, fassen wir das alles Mal als Gedankenspiel auf, als Übung für unsere müde gewordenen Gehirne. Lasst uns doch ein paar kitzelnde und freche Gedanken träumen. Das kann doch keiner ernst nehmen. Und bestraft werden kann man dafür doch nun wirklich nicht.“

      Wir schauen uns in der Runde gegenseitig an. Ruprecht hat sich mit dem Rücken in die Lehne gepresst und hält die Arme verschränkt vor die Brust. Er schüttelt leicht den Kopf und schaut aus den Augenwinkeln auf das Geschehen. Fredos Augen flackern, leuchten. Er strahlt das pure Glück aus und bestellt deshalb auch gleich noch die dritte Runde.

      Nach einer mehrminütigen Pause und abermals gefüllten Gläsern, fangen wir wieder zu sprechen an. Wir müssen dabei aufpassen, dass wir nicht allzu laut werden und uns so ausdrücken, dass selbst neugierige Ohren nicht kapieren, worüber wir hier reden.

      Überraschender Weise ist es jetzt Ruprecht, der scheinbar auch Geschmack an unserem Gedankenspielt gewonnen hat: „Zugegeben, das vorhandene Material ist verlockend. Da ließe sich Einiges mit anstellen.“ sagt er fast mit sich selbst redend. „Fest aber steht, dass hier niemand am Tisch sitzt, der Verbindungen zum organisierten Verbrechen hat, wahrscheinlich auch nicht haben möchte. Eine solche aber ist von Nöten, denn einen großen Haufen Blüten werden wir nicht so ohne mir-nichts-dir-nichts absetzen können.“

      Das leuchtet uns ein.

      Und