Marc F. Bloom

Sustainable Impact


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Auf der Startseite wechselte er in das Teilnehmer­verzeichnis und blätterte in der Liste bis zum Buchstaben P. Nachdem er die gewünschte Gegenstelle gefunden hatte, setzte er noch die Verbin­dungsparameter für Desktop und Kamera auf Nur Empfangen und startete die Verbindungsprozedur. Nach wenigen Sekunden baute sich das Bild der Kamera an der Gegenstelle in einem neuen Fenster auf. Er sah in einen großen Raum mit drei Kontrollpulten. Im Vordergrund saß ein junger Mann mit glattrasiertem Schädel und starrte konzentriert auf den Monitor. Die Übertragung des Desktop zeigte eine wissenschaftliche Abhandlung mit Grafiken spektrografischer Untersuchungen des Very Large Telescope, die Sandish sofort erkannte.

      „Sehr gut“, murmelte er und wechselte das Fenster auf seinem Monitor. Mit einigen Befehlen listete er den Verzeichnisinhalt des Laufwerks, aus dem das angezeigte Dokument stammte. „Sehr, sehr gut. Exzellentes Timing.“

      Dann lehnte er sich zurück und beobachtete weiter die Geschehnisse auf der Südhalbkugel. Währenddessen sprang die Fortschrittsanzeige der Simulationsjobs auf 95%.

      31.Cerro Paranal, Kontrollzentrum (Chile) – 16. Oktober, 19:37 Uhr Ortszeit

      Neben den vielen Verzeichnissen mit wissenschaftlichen Ergebnissen über Exoplaneten-Systeme trug eines die Bezeichnung Yepun. Richard durchsuchte die Unterverzeichnisse. Dort war eine Vielzahl von Mess- und Beobachtungsdaten fein säuberlich abgelegt und dokumentiert. Aber anders als in den anderen Verzeichnissen gab es keine einzige Veröffent­lichung oder den Entwurf einer Publikation. Und das obwohl die Beobachtung eines Kometen so weit draußen und so lange vor seinem Periheldurchgang – dem sonnennächsten Punkt seiner Bahn – eine wirkliche Sensation war.

      Richard knetete sein Kinn und beschloss die Messergebnisse näher zu untersuchen. Als Erstes öffnete er eine Datei mit der Bezeichnung 0914_OrbElem_Yepun.dat. Dem Namen entsprechend musste diese Datei die Bahnelemente enthalten. Das sind nach den Keplerschen Gesetzen sechs Parameter, die sämtliche Informationen über die zukünftige Bahnentwicklung eines Objektes im Gravitationsfeld eines Zentralgestirns beinhalten. Die große Halbachse und die Exzentrizität beschreiben die Größe und Form der elliptischen Bahn. Drei weitere Elemente geben ihre Orientierung im Raum an und das letzte Element legt die Anfangsposition des Kometen auf der Bahn zu einem bestimmten Zeitpunkt fest.

      Yepun hatte demnach eine große Halbachse von über 74 Astronomischen Einheiten und eine Exzentrizität von 0,9898, was bedeutete, dass sich der Komet weit außerhalb der Bahn von Pluto auf einer langgestreckten elliptischen Bahn von der Sonne entfernte und dabei eine Umlaufperiode von mehreren hundert Jahren hatte. Aus den äußerst geringen Residuen der Berechnungen – das sind die bei der Bahnbestimmung aus mehreren Beobachtungspunkten auftretenden Fehlergrößen – folgte, dass die Bahnbestimmung auf einer großen Anzahl von Beobachtungen über einen langen Beobachtungszeitraum beruhte.

      Dann öffnete er die Datei 0914_ObsAll_Yepun_0830-0914.dat. Sie enthielt Daten von mehr als einhundert beobachteten Positionen des Kometen. Die ersten stammten vom 30. August des vergangenen Jahres und die letzten vom 14. September, wurden also vor genau einem Monat gemacht. Der Komet wurde also regelmäßig verfolgt und beobachtet, schlussfolgerte Richard. Aber noch etwas anderes fiel ihm beim Über­fliegen der Zeilen mit den Beobachtungsdaten auf. Beim Observatory Code, der jedem astronomischen Observatorium weltweit eine eindeutige Nummer zuordnet und damit angibt von welchem Beobachtungspunkt eine Messung durchgeführt worden war, fand sich neben der 309 für das Cerro Paranal auch noch die 568. Ein kurzer Blick auf die Website der International Astronomical Union bestätigte Richards Vermutung, dass es sich dabei um das Mauna Kea Observatorium auf Hawaii und dort die beiden Keck-Teleskope handelte.

      Draußen hatte die Dämmerung schon lange eingesetzt. Richard war aber so in die Dateien vertieft, dass er nicht bemerkte, wie sich der Kontroll­raum füllte.

      Richard spürte eine Hand auf seiner Schulter. „Hi, alles klar bei Dir?“, brummte Carl Bacher mit bayerischem Akzent durch seinen dichten Vollbart.

      Richard durchfuhr ein kalter Schauer und er antwortete nur flüchtig und wechselte schnell die Anwendung auf dem Bildschirm, um nicht zu offenbaren, dass er in Pauls Dateien herumschnüffelte. Wenig später saß Carl Bacher an einem der benachbarten Terminals und loggte sich im System ein, um die Instrumente für die anstehende Messreihe vorzu­bereiten. Der Tod von Paul Rodriguez war ein schwerer Schlag für ihn. Seine Erschütterung war ihm noch immer anzumerken. Immer wieder betonte er, dass Paul ein so gewissenhafter Mensch gewesen sei und dass dieser Unfall niemals hätte passieren dürfen. Beide Männer waren seit ihrem ersten Zusammentreffen in den frühen Tagen des Paranal eng befreundet und verstanden sich blind bei der Arbeit an den Instrumenten. Wahrscheinlich hatten sie dabei als Team so gut funktioniert, weil Bachers Ambitionen nicht mit denen von Paul kollidierten.

      „Carl, wir haben doch noch etwas Zeit?“, vergewisserte sich Richard. Er musste sich unbedingt noch mit den entdeckten Daten beschäftigen.

      „Ja klar. Ich bin eigentlich viel zu früh. Lass Dir ruhig Zeit.“ Bacher rieb seinen Bauch und starrte weiter auf den Bildschirm zwei Plätze neben Richard.

      Der Komet Yepun befindet sich noch immer weit außerhalb der Bahn von Saturn. Wenn sie ihn dort entdeckt haben, hat er eine Größe von mehreren Kilometern. Außerdem sollte es sich nach Pauls Vermutung um einen Damokloiden handeln. Durch geringe Oberflächenaktivität wird eine Beobachtung bei der Annäherung an die Sonne nicht einfach. Zurzeit sind also vermutlich nur große Spiegelteleskope – das VLT und die beiden Keck-Teleskope – in der Lage, den Kometen zu beobachten. Für die systematischen Suchprogramme, die den Himmel nach bedrohlichen Objekten durchmusterten, bleibt er noch für lange Zeit unsichtbar.

      Richard tippte die Internet-Adresse des Minor Planet Center (MPC) in den Browser. Eine Einrichtung der International Astronomical Union, die am Smithsonian Astrophysical Observatory in Cambridge, Massachusetts operierte. Das MPC trägt die Verantwortung für Sammlung und Verteilung von Beobachtungsdaten, die Berechnung und Überprüfung der Bahnen von Kleinplaneten, Kometen und natürlichen Satelliten im Sonnensystem sowie die Vergabe von Namen für neu entdeckte Objekte. Mit der Veröffentlichung der monatlichen Minor Planet Circulars sowie den über das Internet abrufbaren tagesaktuellen Beobachtungslisten und Datenbanken ist das MPC der zentrale Informationsbroker für alle Astronomen, die sich mit der Beobachtung und Berechnung von vielen Millionen Begleitern der großen Planeten im Sonnensystem beschäftigen.

      Auf der Website durchsuchte Richard die Bahndatenbank. Kein Ergebnis. Auch die Suche in der Liste neu entdeckter Objekte im Sonnensystem blieb erfolglos. Dann durchsuchte er über seinen Account, den er noch aus den Tagen seiner Hobby-Beobachtungen hatte, die in Frage kommenden täglich erscheinenden Meldungen. Auch hier kein Ergebnis. Was hatte das zu bedeuten. Er hatte hier etwa hundert Beobachtungsdaten von zwei der weltweit bedeutendsten Observatorien. In den offiziellen Datenbanken schien der Komet nicht zu existieren?

      32.JFK Flughafen (New York, USA) – 16. Oktober, 20:03 Uhr Ortszeit

      Die wasserstoffgetriebene Limousine bog vom John F. Kennedy Flughafen auf den Highway Richtung Osten. Der Feierabendverkehr war vorbei und der Fahrer steuerte den Wagen mit der höchstzulässigen Geschwindigkeit nach Long Island. Auf dem Rücksitz saß der fünfund­fünfzigjährige Unternehmer und browste auf dem in der Mittelkonsole integrierten Bildschirm durch die E-Mails in seinem Privataccount. Nachdem er die wichtigsten Nachrichten gesichtet und noch ein weiteres Mal die Synchronisation mit dem Server abgewartet hatte, wechselte er in das elektronische Adressverzeichnis und suchte beim Anfangsbuch­staben S nach einer Telefonnummer.

      Mehr als viertausend Kilometer westlich saß Ray Sandish noch immer im klimatisierten Kontrollraum und beobachtete zurückgelehnt die Videoübertragung. Das Aufleuchten des Displays signalisierte den an­kommenden Anruf. Er erkannte die Nummer sofort und richtete sich auf.

      „Ray, wie kommen Sie voran?“, fragte der Anrufer ohne eine Begrüßung. „Ich habe noch keine Nachricht erhalten.“

      „Es gibt auch noch keine Ergebnisse. Aber ich denke, wir sind auf einem guten Weg“, erklärte Ray