Marc F. Bloom

Sustainable Impact


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und versetzte ihm dabei eine zusätzliche Rotation um die Längsachse. Nach einem zweieinhalbfachen Überschlag landete der rote Wagen 20 Meter unterhalb der Straße auf dem Dach. Die stahlverstärkte Karosserie krächzte unter dem Aufprall. Die Scheiben zerbarsten und der Absturz setzte sich unaufhaltsam den steinigen Abhang hinunter fort.

      Als Richard und Karen die durchbrochene Leitplanke erreicht hatten, zuckten sie zusammen. Der von den schroffen Felsen aufgerissene Treib­stofftank hatte sich in einer Stichflamme entzündet. Sekundenbruchteile später zerfetzte eine laute Explosion die Unterseite des Fahrzeugs. Die Überreste standen sofort in Flammen. Nach mehreren Überschlägen kam das brennende Wrack auf einem flachen Geländestück zum Stehen.

      Paul Rodriguez war tot.

      Karen und Richard standen wie betäubt am Rand der breiten Straße und starrten regungslos auf die brennenden Trümmer.

      Nach einer Ewigkeit, in der sich keiner von beiden gerührt hatte, begann Karen zu weinen und fiel Richard um den Hals. Richard stand unter Schock. Er konnte nicht fassen, was er wenige Augenblicke zuvor gesehen hatte. „Was ist da passiert, Richard?“, schluchzte Karen. „Wir hätten auch da drin sein können.“

      „Ich… ich… ich weiß es nicht.“ Richard bemühte sich, wieder einen klaren Gedanken zu fassen.

      „Richard, das war schrecklich. Wir müssen etwas tun.“

      Richards Gliedmaßen zitterten. Er rang nach Fassung, brachte aber kein Wort heraus. Dann griff er in seinen Rucksack, um das kleine Handfunk­gerät herauszuholen, das er – wie auf dem Paranal für den Fußweg zwischen Plattform und Basiscamp üblich – eingesteckt hatte. Am Ende der nach unten führenden Straße sah er dabei einen Wagen über die Kuppe kommen.

      „Sieh doch, da kommt jemand.“ Auch Karen deutete nach unten.

      „Die haben die Explosion wahrscheinlich unten im Basiscamp gehört.“ Richard schaltete das Funkgerät ein.

      „Richard“, schluchzte Karen, „das sah nicht wie ein Unfall aus.“

      „Was meinst Du damit?“

      „Ich habe irgendwie ein komisches Gefühl.“ Karen zögerte. “Wie lange gibt es das Paranal schon?“

      „Wieso interessiert Dich das jetzt?“ Richard sah sie verwundert an.

      „Nun, überleg‘ doch mal. Die Wagen fahren hier seit Jahren rauf und runter und…“

      „Und jetzt auf einmal ein solcher Unfall?“, ergänzte Richard ihre Gedanken.

      „Genau. Pauls Wagen war doch ziemlich neu. Ich habe beim Hochfahren auf den Kilometerstand gesehen.“

      „Das ist eine gewagte These. Aber ich befürchte, der Wagen…“ Richard deutete auf das Wrack, aus dem noch immer die Flammen heraus loderten. Doch er formulierte seinen Gedanken nicht zu Ende, denn der weiße Toyota mit drei Insassen an Bord hielt mit quietschenden Reifen direkt vor ihnen. Guido Hubner saß am Steuer, daneben Felipe Esteban, auf dem Rücksitz Carlotta Cassini.

      Hubner riss die Tür auf, noch bevor er den Motor abgestellt hatte. „Was ist passiert, Richard? Wir haben eine Explosion gehört.“

      Esteban und Carlotta Cassini waren bis auf wenige Schritte an die durchbrochene Leitplanke gelaufen. Unten am Hang brannte das zerstörte Wrack noch immer.

      Carlotta verbarg ihr Gesicht in den Händen. Tränen rannen über ihre Wangen.

      „Es schien, als ob seine Bremsen versagt haben.“ Richard deutete auf die nach oben führende Straße. „Er hat noch versucht, den Wagen an dem Felsen da vorne abzubremsen.“

      Aus Rücksicht auf Carlotta, die inzwischen laut schluchzte und immer wieder schrie „Nein, Nein, das ist nicht wahr“, unterbrach Richard seine Schilderung. Wenige Augenblicke später sackte Carlotta mit weichen Knien in sich zusammen. Ihr Oberkörper kippte, von den anderen unbemerkt, auf die durchtrennte Leitplanke zu.

      Sie und Paul Rodriguez waren ein Paar gewesen. Nicht im klassischen Sinn. Paul Rodriguez hatte sein Leben nach mehreren Enttäuschungen allein der Wissenschaft verschrieben. Daneben gab es wenig Raum für eine Beziehung. Doch der Bewunderung durch die junge und attraktive Carlotta Cassini hatte er sich nicht entziehen können. Seit einer gemein­samen Auslandsreise vor einem halben Jahr, bei der sie sich näher gekommen waren, pflegten sie eine leidenschaftliche sexuelle Beziehung. Paul hatte von Anfang an versucht, sie nicht im Zweifel darüber zu lassen, dass es zwischen ihnen nicht mehr als die gelegent­lichen Treffen geben konnte, bei denen sie sich voller Verlangen den ganzen Tag hindurch liebten. Doch für Carlotta gehörten die Stunden, die sie mit Paul verbringen konnte, zu ihren geheimen Höhepunkten. Und insgeheim erträumte sie sich mehr von dieser Beziehung.

      Guido Hubner stand abseits der drei und bemerkte als einziger, wie Carlottas Oberkörper in Richtung des Abgrunds sackte. Als sie die Leit­planken gerade berührte, griff er ihren Arm. Erschrocken fuhren Richard und Karen herum und blickten Carlotta bleich an.

      „Das war knapp.“ Karen erholte sich schnell von ihrem Schock und begann sofort, sich um Carlotta zu kümmern.

      „Richard, hast Du schon den Rettungsdienst gerufen“, wollte Hubner wissen.

      „Nein“, er stockte. „Also ich meine, Sie hätten die Explosion sehen müssen, das kann er nicht…“

      „Ja, ich verstehe“, unterbrach Hubner. „Wir müssen trotzdem… Ich werde gleich den Hubschrauber rufen.“ Er verschwand zum Wagen und lehnte sich mit dem Oberköper über den Fahrersitz, um das Funkgerät zu erreichen.

      Nach einer Weile, in der Karen, Richard, Carlotta und Esteban schweigend hinunter zum Wrack gestarrt hatten, kam Hubner zurück.

      „Kommt jetzt, ich habe einen Arzt und die Polizei verständigt. Sie werden in einer Stunde hier sein. Das ist ein schrecklicher, ein uner­messlicher Verlust für uns alle, aber wir können jetzt nichts weiter tun.“

      27.Kontrollraum Paranal Observatorium (Chile) – 11. Oktober, 16:46 Uhr Ortszeit

      Erst nach sekundenlangem Knacken in der Leitung leitete die Vermitt­lungsstelle der Mobilfunkgesellschaft das aus Chile eingehende Tele­fonat an einen Roaming-Partner weiter. Endlich ertönte der Rufton im Hörer und der Anrufer sah sich noch einmal an den Arbeitsplätzen um, bevor er seinen Atem zu beruhigen versuchte und auf den Anruf konzen­trierte. Dann endlich wurde das Gespräch vierzehntausend Kilometer weiter östlich entgegen genommen.

      „Sir? Ray hier. Ich melde mich noch einmal vom Paranal“, keuchte der Wissenschaftler außer Atem in den Hörer.

      „Sind Sie verrückt, Ray“, blies ihm die Stimme durch den Hörer in abgehackten Wortfetzen entgegen. „Ich habe doch gesagt, dass Sie mich auf dieser Nummer nur im äußersten Notfall anrufen sollen.“

      „Aber Sir. Das ist ein Notfall!“

      „Was ist denn passiert? Sie haben mir doch vor einer Stunde noch erklärt, dass Sie die Sache im Griff haben!“, schnaubte der Mann am anderen Ende in die Leitung.

      „Paul ist tot!“, erklärte der Anrufer mit zittriger Stimme.

      „Was sagen Sie da?“ Dann verstummte der Mann und es war für einen Augenblick nur noch das Rauschen der Interkontinentalverbindung zu hören. „Wie um alles in der Welt ist das passiert?“

      „Etwa vor einer dreiviertel Stunde. Er ist mit seinem Wagen von den Teleskopen runtergefahren und durch die Leitplanke gebrochen…“

      „Vermuten Sie eine Fremdeinwirkung, Ray?“, mischte sich der Angerufene in die Schilderung.

      „Im Moment ist noch gar nichts auszuschließen. Wir müssen die offizielle Untersuchung abwarten.“

      „Ray, hören Sie. Ich habe jetzt nicht viel Zeit. Sie müssen sich darum kümmern, dass alles weiterläuft wie geplant. Haben Sie verstanden?“

      Doch der Wissenschaftler