Marc F. Bloom

Sustainable Impact


Скачать книгу

blätterte gelangweilt durch Unter­lagen und Ausdrucke, die in einer Ecke am Kontrollpult von Yepun aufgestapelt waren. Dabei kontrollierte er aus den Augenwinkeln immer wieder die Anzeige auf einem der Monitore.

      Dann plötzlich schreckte er von der Lektüre einer wissenschaftlichen Abhandlung durch ein unerwartetes Geräusch hoch. Die vom Sekundenzeiger der Wanduhr in gleiche Intervalle zerschnittene Stille wurde vom dumpfen Läuten des Telefons durchtrennt. Instinktiv nahm der Wissenschaftler seine Brille ab und rollte mit dem Bürostuhl zum Telefon. Die Anzeige blendete keine Nummer ein. Nach einem kurzen Blick auf die Uhr – 15:46 Uhr – nahm der Vierzigjährige den Hörer ab: „Ja bitte?“

      „Spreche ich mit Paul Rodriguez?“, wollte eine verrauschte Männer­stimme am anderen Ende der Interkontinentalverbindung wissen.

      „Nein. Hier ist Ray!“, antwortete der Wissenschaftler. „Sind Sie es Sir?“

      „Ja! Wo ist Paul?“

      „Er ist vor wenigen Minuten mit dem Wagen runter ins Basiscamp gefahren. Er holt einige Unterlagen von dort.“

      „Wann ist er zurück?“, fragte der Anrufer mit kurzen, von der Leitung zerhackten Worten.

      „In einer halben Stunde wollte er wieder zurück sein.“

      „Das ist schlecht“, quittierte der Anrufer die Antwort und machte eine kurze Pause. „Aber Ray, Sie können mir doch bestimmt auch sagen, wie wir im Zeitplan liegen?“

      „Selbstverständlich Sir!“, erklärte der Wissenschaftler mit fester Stimme. „Wir sind gerade noch bei einer letzten Bereinigung der Daten. Danach sind wir durch.“

      „Was ist mit der Veröffentlichung?“, fragte der Anrufer ungeduldig.

      „Paul hat das genau geplant“, erklärte der Wissenschaftler und fuhr sich mit der Hand über die Stirn bis hinein in seinen hohen Haaransatz. „Wir werden das im Detail durchsprechen, sobald er wieder zurück ist.“

      „Und? Kriegen Sie das hin?“

      „Sir, Sie können sich drauf verlassen.“

      „Klären Sie das unbedingt mit Paul ab! Ich melde mich wieder.“ Dann wurde die Verbindung mit einem Knacken unterbrochen.

      25.Dhahran (Saudi Arabien) – 11. Oktober, 22:47 Uhr Ortszeit

      Die große Flügeltür des Haupteingangs öffnete automatisch. Ein korpulenter zweiundfünfzigjähriger Mann mit weit aufgezogener Krawatte und verschwitztem Hemdkragen trat ins Freie. Mit dem rechten Arm umklammerte er eine schmale Aktentasche und bemühte sich, seinen Schritten keine Eile anmerken zu lassen. Auf der Fußgänger­brücke blickte er sich um. Die hell erleuchtete Lobby war menschenleer und die Abendluft war vom warmen Wüstenwind erfüllt. Nach einem kurzen Blick zu den Fensterreihen des sechsstöckigen Gebäudes ging Parker Stapleton weiter auf den Parkplatz, wo er im hinteren Bereich seinen alten Ford-Geländewagen geparkt hatte. Seine Augen mussten sich an die Dunkelheit gewöhnen und das Licht der wenigen Laternen beleuchtete nur Ausschnitte des großen Parkplatzes. Hinter dem Gelände ragte das mit hellem blauen Licht erleuchtete Minarett der Moschee des Saudi Aramco Komplexes in den Nachthimmel.

      „Sir!“, rief eine Stimme aus der Dunkelheit. Stapleton erfasste ein heißer Schauer. Der Schweiß schoss ihm aus allen Poren, als sich sein Herzschlag beschleunigte.

      „Sir, kommen Sie hier herüber.“

      „Wer sind Sie? Was wollen Sie?“ Stapleton umklammerte die Aktentasche mit beiden Händen. Gegen das schwache Licht der hinter dem Parkplatz gelegenen Moschee konnte er einen mittelgroßen, kräftig gebauten Einheimischen erkennen.

      „Später. Kommen Sie. Sie werden bereits erwartet, Mister Stapleton.“ Der stämmige Mann ging langsam voraus zu einer am Rand des großen Parkplatzes abgestellten Limousine. Stapleton sah sich hektisch nach allen Seiten um und suchte nach Anzeichen für die Anwesenheit anderer Menschen. Außer dem kräftigen Saudi und der dunklen Limousine war nichts und niemand zu erkennen. Zögerlich folgte er dem Mann, der inzwischen an der hinteren Tür der S-Klasse angekommen war. Als er den Wagen ebenfalls erreicht hatte, öffnete der Einheimische die Hinter­tür und Stapleton erkannte im Schein der Innenbeleuchtung ein bekanntes Gesicht.

      „Parker, habe ich mir doch gedacht, dass ich Dich hier treffe.“

      Stapleton schnaubte vor Wut, brachte aber kein Wort heraus. Stattdessen beugte er sich in den Innenraum und hievte seine zweihundertfünfzig Pfund mit einem Keuchen in den Wagen. Mit schnaufenden Atemzügen rutscht er auf den Rücksitz der Limousine und schloss die Tür mit dumpfem Klacken. „Mensch Bill. Du hast mir einen Schrecken einge­jagt“, prustete Stapleton und beobachtete das knappe Zeichen, mit dem Brighton den Fahrer zum Losfahren anwies. Als der Wagen angefahren war, schloss Brighton die Scheibe, die die vorderen Sitze vom Fonds der Luxuslimousine abtrennte.

      „Konntest wohl nicht bis morgen warten, Bill?“, brummte Stapleton und sah Brighton durchdringend an.

      „Die Sache ist zu wichtig für mich“, erklärte der Grauhaarige mit vielsagendem Geschichtsausdruck. „Ich habe damit gerechnet, dass Du heute Abend hier sein wirst, um sie Dir zu besorgen.“

      „Das hätte auch schiefgehen können.“

      „Ist es aber nicht. Oder?“

      „Nein, ist es nicht. Du weißt doch, dass Du Dich auf mein Wort verlassen kannst.“

      „Ja, das weiß ich, Parker. Das weiß ich.“

      Stapleton und Brighton blickten sich eine Weile wortlos an während der Wagen die Stadtgrenze hinter sich ließ. Dann griff Stapleton nach seiner schmalen kalbsledernen Aktentasche, die das Firmenlogo von OilTech zierte – eine einprägsam stilisierte Ölförderpumpe über dem Schriftzug der Firma – und holte eine gebundene Unterlage hervor: „Das ist die Studie, Bill. Hab’ dafür einiges an Argumenten gebraucht.“

      Brighton griff ungeduldig nach der einhundertfünfzig Seiten starken, als strictly confidential gekennzeichneten Unterlage und las sekundenlang schweigend den Titel: The Future of Saudi Aramco Oil Supply – Ghawar Enhanced Oil Recovery Potential and Technological Weaknesses.

      „Ich glaube aber nicht, dass Du darin Dinge findest, die Du nicht ohnehin schon weißt oder zumindest ahnst“, erklärte Stapleton und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Oberlippe. „Vielleicht nicht gerade vom Timing. Das ist wirklich ein neuer Aspekt.“

      „Ich weiß, Parker“, antwortete Brighton. Dabei bog der Wagen auf eine Schnellstraße und beschleunigte. Stapleton wartete auf eine Antwort.

      „Mich interessiert auch vielmehr die Schwachstellenanalyse. Gib’ mir ein paar Minuten.“ Dann blätterte Brighton durch die Unterlagen und überflog konzentriert die mit Text, Tabellen und Grafiken gefüllten Seiten.

      „Sehr interessant, Parker“, murmelte er, ohne beim Blättern von den Seiten aufzuschauen. Stapleton trocknete währenddessen mit einem Taschentuch seinen Nacken und sah Brighton erwartungsvoll an.

      Das 1948 entdeckte Ghawar-Feld ist das mit Abstand größte Ölfeld der Welt und liefert mit fünf Millionen Barrel Rohöl am Tag etwa sechs Prozent der weltweiten Produktionsmenge. Trotz Einspeisung unvorstell­barer Mengen von Meerwasser bereits seit 1965 war die Fördermenge seit Jahren rückläufig. Ein Beben ging durch die Fachwelt als Saudi Aramco offiziell eingestand, worüber die Industrie bereits seit langem spekulierte: Die Förderung hatte bereits im Jahr 1981 ihren Höhepunkt überschritten und sank zuletzt jährlich um acht Prozent. Aus diesem Grund forschten die Ingenieure von Saudi Aramco seit Jahrzehnten fieberhaft an der Weiterentwicklung des sogenannten Enhanced Oil Recovery. Sie suchten nach Möglichkeiten, die Hoffnung auf weitere Ausbeute noch eine gewisse Zeit aufrecht zu erhalten. Der Preis dafür waren weitaus aufwendigere und gefährliche Verfahren und eine deutliche Verschlechterung der Gesamtenergiebilanz. Doch der Erfolg einer um Jahre verlängerten Ausbeute und damit die Fortschreibung des arabischen Ölwunders heiligte die Mittel.

      Als