Erich Hübener

Drei Lästerschwestern auf Borkum


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die Borkumer selbst ihre Insel den wahrscheinlich schönsten Sandhaufen der Welt. Und ich finde, das stimmt. Weißt du eigentlich, dass auf Borkum Hochseeklima herrscht?", fragte sie unvermittelt.

      "Nein", antwortete Maria, "ist das denn was Besonderes?"

      "Na und ob, deshalb ist die Luft so gesund. Immer tief durchatmen, das ist gut für die Bronchien", riet Stefanie ihr.

      "Und hüte dich vor den Kurschatten", sagte Renate, "die wollen doch alle nur das Eine."

      "Na und?", sagte Maria keck, "hier kann ich mir ja noch nicht einmal einen Hausfreund leisten. Augschburg ist zwar eine große Stadt, aber Gerüchte verbreiten sich hier genau so schnell wie anderswo. Und was dann an der Schule los wäre, könnt ihr euch nicht vorstellen. Da könnte ich gleich meine Koffer packen."

      "Na, muss ja nicht gleich für alle Ewigkeit sein, aber vielleicht ein `Mann für gewisse Stunden´", ergänztre Renate und verursachte damit großes Gelächter.

      "Schaun mir mo, dann seng mir's scho", schloss Maria den Tagespunkt ab.

      Sie war sich längst darüber im Klaren, dass es so nicht weitergehen konnte. Schon allein bei dem Gedanken an Schule und Unterricht lief ihr ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Und wenn sie daran dachte, diesen Job noch einige Jahre machen zu müssen, schlug ihr das Herz bis zum Hals. Sie konnte nicht verstehen, dass andere ältere Arbeitnehmer sich vor dem Rentendasein fürchteten, weil sie dann keine Aufgabe mehr hätten oder nicht wüssten, was sie mit der vielen freien Zeit anfangen sollten. Sie jedenfalls freute sich auf den Tag, an dem sie beim morgendlichen Blick in den Spiegel zu sich selbt sagen konnte: "Dieser Tag gehört dir, Maria, und du kannst damit machen, was du willst. Und morgen ist wieder so ein Tag und übermorgen und überübermorgen..."

      Aber bis dahin könnte es noch ein weiter Weg sein, dachte sie, als sie am Dom vorbei ihrer Wohnung zustrebte.

      Borkum voraus

      Borkumvoraus

      Rebekka war mit der Bahn nach Emden gefahren. Der Zug brachte sie direkt an den Fähranleger zur Insel Borkum. Sie bestieg die Fähre „Ostfriesland“, setzte sich auf das Oberdeck und stellte ihren Rucksack neben sich auf die Bank. Das große Gepäck hatte sie schon ein paar Tage vorher nach Borkum geschickt.

      Es war ein angenehmer warmer Junitag. Die Nordsee war ruhig und zeigte sich von ihrer besten Seite. Der Wind war eher ein laues Lüftchen und auf der Reling saßen schon mehrere Möwen, die darauf warteten von den Fahrgästen gefüttert zu werden.

      Rebekka schloss die Augen und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Im Grunde liebte sie das Meer, die Seeluft, den Geruch von Strand und Tang. Nur Inseln waren ihr irgendwie suspekt. Sie war schon auf mehreren gewesen: Spiekeroog, Langeroog und Baltrum. Aber jedes Mal war sie froh gewesen, wenn sie wieder auf dem Festland angekommen war. Warum, das wusste sie eigentlich auch nicht so genau. Vielleicht war es der Gedanke, dem Meer ausgeliefert zu sein, nicht weglaufen zu können oder überall vom Wasser umzingelt zu sein. Allerdings von Borkum hatte Maren gesagt, sie sei so groß, dass man gar nicht unbedingt das Gefühl habe, auf einer Insel zu sein. Aber das Klima sei sehr gesund und der Himmel besonders blau.

      Bis hierher war doch alles ganz gut verlaufen, dachte sie. Und bei der ruhigen See bestand auch kaum die Gefahr, dass sie seekrank werden würde. Vielleicht hatte sie sich auch zu Unrecht gegen diesen Kuraufenthalt gewehrt. Inzwischen hatte sie sich dazu entschlossen den „kostenlosen Urlaub“ anzunehmen. Sollten die Experten doch von ihr denken, was sie wollten. Sie jedenfalls wusste, was sie von sich selbst zu halten hatte. Und auch zu den Umständen ihrer Trennung von Thomas hatte sie inzwischen einen gewissen Abstand gefunden. Sie wollte nicht mehr darüber nachdenken was gewesen wäre, wenn… Nein, sie lebte jetzt, hier und heute. Und sie war auf dem Weg zu einem Kuraufenthalt, wie immer der sich auch entwickeln würde.

      Als sie die Augen wieder öffnete sah sie, dass ein paar Bänke weiter vorn ein Mann Platz genommen hatte. Er mochte etwa in ihrem Alter sein, vielleicht ein paar Jahre älter. Ein Inselbewohner ist er anscheinend nicht, denn er hatte einen kleinen Koffer bei sich, dachte sie. Vielleicht ein Vertreter oder ein Geschäftsmann auf Reisen. Ein Kurgast schien er auch nicht zu sein, dafür war das Gepäck zu klein. Andererseits – sie selbst hatte ja auch nur einen Rucksack dabei, obgleich sie sechs Wochen auf der Insel bleiben würde.

      Rebekka bestellte bei der Bedienung einen Kaffee und ein Croissant.

      „Hebb wi nich“, sagte die Frau, „wi hebbt bloot Hörnchen.“

      „Gut“, sagte Rebekka, „dann nehm ich einen Pott Kaffee und ein Hörnchen.“

      Die Frau nickte und ging. Rebekka sah abwechselnd auf das Meer und auf den Rücken des Mannes. Als er zur Seite blickte, sah sie sein Profil. Sieht verdammt gut aus, dachte sie. Auch seine Frisur gefiel ihr, blond, nicht zu lang und nicht zu kurz, vom Fahrtwind zerzaust. Ein echter Friese, oder? Fast wie auf dem Traumschiff, dachte sie, nur ein bisschen kleiner. Was hatte Miriam gesagt: Vielleicht findest du ja was für den kleinen Hunger zwischendurch. „Pfui“, sagte sie zu sich selbst und wandte den Blick ab, „du bist noch nicht einmal auf der Insel und hast schon dumme Gedanken.“

      Sie genoss den Kaffe und das Hörnchen, blickte auf das Meer und bemerkte dann erst, dass der gutaussehende junge Mann in der Zwischenzeit fortgegangen war. Sie sah sich um, aber auf dem Oberdeck war er nicht. Sie bemerkte verwundert, dass es sie beunruhigte. Vielleicht war er ja nur zur Toilette gegangen. Aber mit dem Trolley? Und ihr fiel das Lied von Udo Lindenberg ein „Vorbei, verweht, nie wieder.“

      Der Pott Kaffee drückte auf ihre Blase und sie suchte die Toilette auf. Sie ließ ihren Rucksack stehen und sagte im Vorbeigehen zu der Bedienung „Ich komme gleich wieder.“ Die Frau nickte nur. Viele Worte machen die hier nicht, dachte Rebekka, aber sie kannte es ja, sie war ja schließlich auch im Norden aufgewachsen. Sie folgte dem Schild mit dem Hinweis WC und stieg die eiserne Treppe hinunter. Das Damenklo war gerade besetzt. Rebekka stellte sich neben die Tür und wartete. Wenn das noch lange dauert gehe ich gleich auf das Männerklo, dachte sie. Nach einiger Zeit kam ihr der Gedanke, dass das WC vielleicht aus irgendeinem Grunde geschlossen sei. Sie klopfte an die Tür und hörte sogleich von innen eine weibliche Stimme „Einen Moment noch.“ Wenige Augenblicke später öffnete sich die Tür mit einem solchen Ruck, dass Rebekka zur Seite springen musste, um nicht getroffen zu werden. Eine etwas beleibte Frau mit einem weißen Strohhut und einem Trolley kam heraus und sagte: „Entschuldigung, die Tür klemmt.“

      Rebekka verstand nicht, wie die Frau trotz Trolley in dem engen Raum noch ihr „Geschäft“ hatte erledigen können. „ Außerdem ist das Papier alle“, sagte sie noch, „brauchen Sie ein Tempo?“

      „Nein, danke, hab‘ ich selbst“, antwortete Rebekka und dachte, hoffentlich lässt sie mich nun endlich hinein, es wird so langsam dringend.

      „Soll ich der Bedienung Bescheid sagen?“, hörte Rebekka sie noch sagen, als sie die Tür schon geschlossen hatte, aber sie antwortete nicht.

      Eigentlich unhöflich von mir, dachte Rebekka, während sie ihre Jeans wieder hochzog. Die Frau hatte es doch nur gut gemeint. Na, vielleicht sieht man sich ja noch mal wieder. Dann werde ich mich entschuldigen und gleichzeitig bedanken. Aber als Rebekka an ihren Platz zurückkehrte, war von der Frau nichts zu sehen. Stattdessen räumte die Bedienung gerade das Geschirr ab.

      „Wi bünt gliks door“, sagte sie und nickte mit dem Kopf in Fahrtrichtung nach vorn. Während Rebekka bezahlte, sagte sie „Das Klopapier ist alle.“

      „Jo“, antwortete die Frau und besann sich dann, dass sie höchstwahrscheinlich einen Kurgast vor sich hatte, der nicht unbedingt der plattdeutschen Sprache mächtig war und fuhr deshalb hochdeutsch fort, „das ist immer alle. Manchmal denk ich, die Leute nehmen die ganzen Rollen mit. Son Blödsinn, als ob es in den Hotels auf Borkum kein Klopapier gibt.“ Sie schüttelte verständnislos den Kopf.

      Rebekka blickte in die angegebene Richtung und sah tatsächlich Land. Ein langer, flacher, unbewohnter Streifen am Horizont.

      Das