Erich Hübener

Drei Lästerschwestern auf Borkum


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hatte sich jeglichen Kommentars enthalten. Jetzt sagte sie trocken: „Und die Rezeption heißt für mich ab sofort nur noch Krötengrotte.“

      Das setzte dem ganzen die Krone auf. Alle drei begannen so sehr zu lachen, dass sie ihr Gepäck erst einmal abstellen mussten. Dann sagte Frau Schwarz: „Hört auf, ich kann nicht mehr, sonst mach ich mir gleich in die Hose.“

      „Und du hast nur eine mit!“ spottete Frau Stürmer. Woraufhin Frau Schwarz blitzartig in ihrem Zimmer verschwand und die Tür zuschlug.

      „He, Ihr Koffer“ rief Frau Stürmer ihr noch nach. Aber es war schon zu spät, die Tür war zu.

      „Also gut“, sagte Frau Schwarz, „gehen wir. Man sieht sich ja spätestens um 17 Uhr im Speisesaal.“

      „Das wird sich wohl kaum vermeiden lassen“, ergänzte Rebekka.

      Frau Schwarz sah sie verdutzt an. Und dann fingen beide wieder an herzhaft zu lachen.

      Rebekkas Zimmer war das letzte „am Ende des Ganges.“ Sie lachte noch, als sie die Tür aufschloss. Das kann ja heiter werden, dachte sie. Die anderen beiden scheinen ja richtige Ulknudeln zu sein.

      Sie warf ihren Rucksack auf das Bett und sah sich in dem Zimmer um, das nun für sechs Wochen ihr „zu Hause“ sein würde. Und was sie sah gefiel ihr auf den ersten Blick. Es erinnerte tatsächlich an ein schlichtes Einzelzimmer in einem Mittelklassehotel mit einem Bett, einem Kleiderschrank, einem Nachttischchen mit drei Schubladen und einer Lampe, in der Ecke ein kleiner Schreibtisch mit einem Stuhl, ein Bücherregal, zwei Bilder mit Blumenmotiven, in der anderen Ecke die Nasszelle mit WC und Dusche. An der linken Seite eine Glastür, die auf einen Balkon führte. Die Wände waren schlicht weiß, aber die Tagesdecke auf dem Bett, die Auslegware auf dem Fußboden und die Gardinen waren farblich aufeinander abgestimmt, alles in Orangetönen.

      Sie ging auf den Balkon und stellte erfreut fest, dass man von dort aus das Meer sehen konnte. Ihr Balkon war der oberste an der Rückseite des langgezogenen Gebäudes und durch eine Mauer vom Nachbarbalkon getrennt. Rebekka setzte sich in einen der zwei Gartenstühle und genoss die Ruhe. Bis auf das ferne Rauschen des Meeres war es still um sie herum. Dieser Teil der Klinik schloss sich direkt an die Dünen an. Rebekka sah einen kleinen Trampelpfad, der durch die Dünen direkt zum Strand führte. Das ist gut, dachte sie, da ist man in ein paar Minuten direkt an der Nordsee. Es war einfach herrlich. Die Welt war wieder in Ordnung. Auspacken konnte sie später. Sie nahm die Mappe mit der Hausordnung zur Hand und blätterte darin. Es hörte sich alles ganz gut an. Keine größeren Verbote – außer „Alkohol auf dem Zimmer, Rauchverbot im ganzen Haus, Nachtruhe um 22 Uhr“, ansonsten das Übliche.

      Pünktlich um 17 Uhr traf man sich im Speisesaal, 22 Personen, mehrheitlich Frauen unterschiedlichen Alters. Rebekka stellte fest, dass sie mit ihren 28 Jahren wohl die jüngste unter ihnen war. Auf den Tischen standen Namenskärtchen und es sollte wohl so sein, dass Rebekka und ihre Zimmernachbarinnen an einem Tisch saßen.

      „Na, das ist aber nett“, meinte Frau Schwarz, „hoffentlich halten es die anderen Gäste aus.“

      Frau Schwarz aus Kassel war – wie man auf Hessisch sagt - `immer mit der Schnutte vorneweg´.

      „Wenn wir nun wahrscheinlich sechs Wochen mehr oder weniger zusammenleben werden, schlage ich vor, dass wir als Erstes das blöde Sie streichen“, meinte sie. Die anderen nickten sofort. „Also ich heiße Erika“, sagte sie und gab Frau Stürmer die Hand. „Ich heiße Maria“ und Rebekka schloss sich an und sagte : „Ich bin die Rebekka.“

      Es herrschte allgemeines Gemurmel rundum, das aber sofort verstummte, als eine junge, blonde Frau in Jeans und einem weißen T-Shirt den Raum betrat.

      „Moin“, sagte sie, „oder auch guten Tag oder grüß Gott. Ich bin Frau Freese,

      die Chefin von dem ganzen Laden hier, was sich aber hauptsächlich darauf bezieht, dass ich für alles meinen Kopf hinhalten muss, was schiefgeht oder nicht funktioniert.“ Einige der Anwesenden lachten kurz.

      „Also“, fuhr sie fort, „das ist die Truppe, mit der Sie – und auch wir – die nächsten sechs Wochen zusammenleben werden. Es gibt noch mehrere Gäste im Haus, aber die sind schon länger hier und werden deshalb auch früher abreisen. Ich denke, Sie haben alle schon in unsere Infomappe geguckt. Die Hausordnung soll Sie nicht einschränken. Es ist nur einfach sinnvoll, wenn so viele Personen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft und mit unterschiedlichen Erwartungen hier zusammenleben müssen, dass man dann bestimmte Spielregeln einhält, damit man sich nicht gegenseitig ärgert oder verletzt. Einverstanden?“

      Die Allgemeinheit nickte zustimmend.

      „Wegen des generellen Rauchverbots im Haus haben wir dort“ – sie zeigte auf die Eingangstür - „ für die Raucher um die Ecke einen Raucherpavillon eingerichtet.“ Sie machte eine kleine Pause, so, als ob sie darüber nachdachte, was sie noch hätte sagen wollen. Dann fuhr sie fort: „Und nun zum Essen. Morgens und abends gibt es ein Buffet. Mittags wird Ihnen das Essen am Tisch entsprechend Ihrer Vorbestellung serviert. Natürlich sind wir auch auf Vegetarier und Veganer eingestellt, Sie müssen es nur rechtzeitig anmelden. Wir würden Sie trotzdem darum bitten, nach den Malzeiten das Geschirr von den Tischen abzuräumen.“ Sie blätterte ihren Notizblock um. „Auf Ihren Zimmern liegt ein für Sie individuell ausgearbeiteter Therapieplan, der verbindlich ist. Außerdem gibt es Vorträge zu verschiedenen Themen, die Sie mindestens einmal in der Zeit Ihres Aufenthaltes besucht haben sollten. Das jeweilige Tagesprogramm finden Sie am Schwarzen Brett.“ Denkpause. „Es gibt mehrere Freizeitangebote in offenen Gruppen: Kunsthandwerk, Sport und eine Theatergruppe. Sie können sich auch selbst sportlich im Fitnessraum oder in unserem Schwimmbad betätigen oder auch in unsere Sauna gehen.“

      Denkpause. „Die Nordsee ist nicht unbedingt zum Schwimmen geeignet. Sie sollten trotzdem nach Möglichkeit einmal täglich ins Wasser gehen, aber nur an den dafür ausgewiesenen Stellen, hier vorn am Hauptstrand oder weiter hinten im Osten am FKK-Strand.“

      „Da will ich hin“, knurrte Maria aus dem Mundwinkel.

      „Bist du dafür nicht schon zu alt?“, flüsterte Rebekka.

      „Und du zu jung“, antwortete Maria und beide mussten dabei ein Lachen unterdrücken.

      „Das Salzwasser ist gut für die Haut und der Temperaturunterschied zwischen Wasser und Luft regt den Kreislauf an“, setzte Frau Freese ihre Informationen fort, „außerdem tut die Seeluft Ihren Bronchien gut.“

      Langsam wurden die Zuhörer unruhig. Frau Freese bemerkte es und sagte: „Sie haben es gleich geschafft, meine Damen und Herren, aber bei uns sagt man `Wat mutt, dat mutt!´“

      Ein hörbares Raunen ging durch den Raum.

      „Wie Sie wahrscheinlich schon festgestellt haben, gibt es auf den Zimmern weder Telefone noch Fernseher. Das ist durchaus beabsichtigt. Es gibt drei Fernsehräume in denen das Programm allerdings festgelegt ist: Raum eins = Erstes Programm, Raum zwei = zweites Programm und Raum drei = NDR. So ersparen wir uns und Sie sich unnötige Diskussionen und Sie haben drei Programme, zwischen denen Sie sich entscheiden können. Und wir würden Ihnen auch empfehlen, Ihre Handys und Smartphone möglichst wenig zu benutzen, schon gar nicht, um in der Familie oder gar im Betrieb anzurufen und zu fragen, wie es denn ohne Sie so geht. Das führt zu nichts und würde unseren Therapieplan mit Ihnen total durcheinanderbringen. Trennen Sie sich von Ihrem Alltag, machen Sie eine Pause, entschleunigen Sie sich und nehmen Sie sich einfach Zeit.“

      Ein Mann meldete sich und fragte: „Wann hat man denn Zeit, ich meine freie Zeit?“

      „Sehr viel mehr als Sie denken“, antwortete Frau Freese, „es hat schon Gäste gegeben, denen ging die viele Freizeit auf die Nerven. Aber auch daran haben wir gedacht und für Sie unseren Hausbus eingerichtet, der Sie ja schon vom Bahnhof abgeholt hat. Er fährt zu bestimmten Zeiten in den Ort. Aber kleinere Gruppen fährt unser Jochen auch außerhalb der festen Zeiten hin und her. Der letzte Bus abends fährt um 21.45 Uhr vom Bahnhof ab. Sollte eine Veranstaltung länger dauern, dann müssen Sie sich vorher bei Frau Nanninga abmelden.“