Maxi Hill

Zwei Seelen der Tiombe van R.


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fremder Spielregeln. Die Branche duldet keine Nachlässigkeit.

      Das Essen nehmen sie gemeinsam noch drinnen ein. Tiombe erscheint mit strahlendem Gesicht, heller Leinenhose und einem dezent gemusterten Kasak, langärmelig, so wie sich Tiombe stets kleidet.

      Vielleicht, denkt Rita, ist sie aus einem Kulturkreis, wo das Entblößen der Arme als unschicklich gilt?

      Sehr artig begrüßt das Mädchen erst Susan und dann Susans Freund Alexander. Deren Besuch hat Rita angekündigt. Susans Augen sind sofort geblendet vom Antlitz der dunklen Schönheit. Alexander scheint ungerührt. Anders als Jens, der ihr anerkennend zuzwinkert und dabei ebenso strahlt wie Tiombe selbst. Dass der Besuch des Abends die beiden sind, über die Rita das Buch «2 Leben der Susan H.» geschrieben hat, freut Tiombe offenbar. Sie war begeistert von der Geschichte, und sichtlich gerührt.

      Bevor sie sich zu Tisch setzen sagt Rita ganz leise:

      »Es ist warm hier drinnen, und auf Etikette musst du nicht achten. Du darfst ruhig ein kurzes T-Shirt tragen.«

      Tiombe lächelt süß, befreit sich aber keineswegs vom duftigen Stoff, der viele Nuancen ihrer braunen Haut in sich vermischt. Erst als sie gewiss ist, dass ihr alle zuhören, flüstert sie, als sage sie es nur zu Rita:

      »Ich dachte immer, du weißt so viel. Für Menschen dunkler Hautfarbe ist jeder sichtbare Zentimeter Haut ein Stück Minderwertigkeit.«

      Ein Stechen durchzieht Ritas Schädel. Wieder einmal zermartert sie sich ihr Hirn, warum sie so wenig sensibel ist. Und dann fällt er ihr ein, Tiombes Satz vom Bastard, den sie nicht hartnäckig genug hinterfragt hat.

      Von diesem Augenblick an, wo man reihum die Schönheit zu loben beginnt, die hierzulande als rassig gilt, erblüht Tiombes Anmut und Eleganz, und sie wird sehr schnell zum Mittelpunkt des Abends.

      Eifersüchtig verfolgt Rita jedes Lächeln, das dem jungen Mund entflieht. Jeder Blick von Jens ist wie ein scharfer Schnitt, und seine Bereitschaft auf Tiombe einzugehen, ist der schmerzende Dorn im Fleisch ihrer Liebe. Wenn sie bedenkt, wie die Begrüßung am Abend verlaufen ist, kommt sie sich hausbacken vor und überflüssig. Tiombe hat die Gäste herzlich begrüßt, keine Frage, nur ihre Umarmung von Jens dauerte für Ritas Geschmack eine Ewigkeit.

      »Lasst uns noch ein Weilchen nach draußen gehen«, bittet Rita, »so lange uns die lästigen Mücken noch in Ruhe lassen.«

      Für Tiombe sind Mücken ein Graus, das hat sie selbst gesagt, und vielleicht, so hofft Rita, verzichtet sie ab jetzt auf ihr Theater und bleibt der Gesellschaft fern. Ein wenig unschlüssig steht sie auch da, doch dann geht sie nach oben, ohne sich von irgendjemand zu verabschieden.

      Als sie wieder erscheint – in hautengen schwarzen Seidenhosen und einem knallengen Shirt, trägt sie ein Tuch über die Schulter geschlungen, wie Rita es von ihr noch nicht kennt. Sie trägt es mit sehr viel Anmut, mit Würde beinahe, und mit noch mehr Stolz. Den Charme ihres vollkommenen Körpers verbirgt das Tuch nicht. Es umhüllt ihn nur spannend, wie das Papier eines edlen Geschenks. Jetzt trägt sie silberne Ohrringe mit einer winzigen weißen Perle verziert, die ihrer dunklen Haut fantastisch stehen. Rita ist wie gelähmt, während Jens mit leichter Zunge zu plaudern beginnt, als habe er nicht das geringste Gespür für so viel Schönheit so dicht an seiner Seite. Tiombe rückt ganz dich an Jens heran, so dicht, dass noch Rita an seiner Seite ihren Duft aufsaugt.

      Wenn sie mit Jens spricht, muss er sie ansehen, wegdrehen wäre unhöflich.

      Und er will sie ansehen, er ist ein Mann und er scheint gelähmt zu sein von dem Bild, das er sieht. Was Tiombe will, ist Rita klar, nur weiß sie nicht, ob Jens es ebenso klar ist. Er fühlt sich geschmeichelt und ist unfähig, das Kribbeln als Schwäche zu begreifen.

      »Ich meine, wir sollten einmal auf eure Liebe anstoßen«, sagt Rita zu Susan und Alexander; sehr laut, sehr bestimmend. »Passt nur auf, dass sie nicht an Unsinnigkeiten zerbricht.«

      »Wir passen schon auf. Noch ist bei uns nichts zur Gewohnheit geworden«, lächelt Susan, während Alexander sein Glas gerade an Jens’ Glas klirren lässt, meint er wie nebenbei zu Rita:

      »Wenn Du nicht gewesen wärst, wer weiß, wo wir jetzt wären.«

      Tiombes Augen verengen sich, um sofort an Weite zu gewinnen.

      »Ach! Hat sie Euch auch … ich meine … hat sie Sie auch von den süßen Abwegen geholt?«

      »Nein, süß waren sie nicht. Abwege waren es schon«, erwidert Susan. Und dann geschieht etwas, was keiner gewollt hat. Es sollte ein entspannter Abend werden, doch Susan erzählt von ihrer Zeit im Koma und wie sie ihre Wiedergeburt erlebt hat.

      »Wiedergeburt«, lächelt Tiombe, und es sieht aus, als belustige sie die Sichtweise.

      »Es war wohl so, in doppelter Hinsicht. Ich war nicht nur lange Zeit im Schwebezustand zwischen Leben und Tod. Mit dem Erwachen ist ein Bewusstsein in mich gekommen, das ich nie kannte.«

      Das Knistern der Rattanmöbel ist verstummt und Rita bemerkt kleine Pusteln auf Tiombes Wangen. Ungewöhnlich lauscht sie auf jedes Wort, mit dem Susan ihre heikle Lage beschreibt.

      »Es musste da einen Schalter gegeben haben, der umgelegt wird, wenn dein Bewusstsein andere Wege geht. Nicht nur die Regionen des Körpers, auch die Quellen deiner Wünsche, deiner Vorstellungen, deiner Bewertungen lagen im Eis des Lebens. Erst mit der Angst zu sterben, weil keiner mein Wachsein erkannte, sind mir die Fehlstände meines Wesens bewusst geworden.«

      »Fehlstände?«, wirft Tiombe ein, doch es hört sich nicht mehr so beklommen an. Interessiert. Fasziniert.

      Susan macht eine Bewegung, als gebe sie innerlich nach, als wolle sie nicht antworten, aber könne nicht kneifen. Früher hätte sie gekniffen, das weiß Rita.

      »Ich war viele Jahre zu selbstverliebt, um zu erkennen, wer ein guter und wer ein weniger guter Mensch ist. Alles, was besser war als ich, habe ich für unwichtig erklärt und es selbst auch geglaubt. Rita inbegriffen. Aber wenn du auf dem Sterbebett liegst und den letzten Segen erwartest, siehst du dich plötzlich selbst in dem Licht, das du bis dahin geworfen hast. Ich denke, so geht es auch denen, die an Reinkarnation glauben. Sie wollen nicht mehr sie selbst sein …«

      Rita denkt an die Zeit von Susans Schwebezustand zwischen Leben und Tod. Sie selbst hat gekämpft, ohne zu wissen, ob für Susan, ob gegen Mark, oder ob ihr nur das nächste Buch so sehr am Herzen lag, dass sie für eine ungewisse Zeit ihr eigenes Leben völlig auf den Kopf gestellt hat.

      Warum verliert sie sich bisweilen in einer Aufgabe - wie jetzt mit Tiombe …?

      Wie lange war sie jetzt unaufmerksam? Sie hört das Knistern des Korbgeflechts, das letzte Klingen der fast leeren Gläser und die Stimme von Susan, die sagt: »Es war wie immer sehr schön bei euch.«

      Der nächste Morgen in seinen Abläufen gehört nicht zu ihren stillen Übereinkünften, die es seit Langem zwischen Rita und Jens gibt. Dieser Morgen ist sein Ritual. Nach einer Liebesnacht - und wenn sie es will, dann ist Jens nur allzu gerne bereit, bis an seine Grenzen zu gehen - steht er als erster auf. Besonders frohen Mutes versorgt er zuerst den Kleinen, kocht dann Kaffee und holt die Brötchentüte vom Zaun, die inzwischen ein junger Mann aus dem Dorf vom Bäcker aus dem Nachbarort holt – jeden Morgen frisch aus dem Ofen. Das war früher der Service, den Jens für die Alten im Dorf ins Leben gerufen hat, weil die meisten nicht so mobil waren, um sich im Supermarkt der Stadt versorgen zu können. Inzwischen bevorzugen viele junge und hinzugezogene Alt Zechauer nicht nur den bequemen Griff zur Tüte an der Gartenpforte, es ist vor allem die gute Qualität nach altem Rezept, der Duft nach Hefe und Milch. Sogar Tiombe will nur diese Brötchen, sogar jetzt noch, seit sie weiß, dass das Rezept aus dem alten Regime herübergerettet worden ist. Für das, was sie den Osten nennt, kennt sie nichts als Negativworte: Unrechtsstaat. Blinder Gehorsam. Stasi. Parteihörigkeit. Duckmäuserei. Diktatur übelster Sorte.

      Worte wie: Arbeit für jeden, kostenlose Arztbesuche, erschwingliche Kultur, die kennt sie nicht. Nicht einmal das gelebte Ritual, gleich zu sein und zusammen zu gehören, das allgegenwärtig war, bedeutet ihr etwas.