Maxi Hill

Zwei Seelen der Tiombe van R.


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andächtig an. Sie tritt von einem Bein auf das andere, reibt ihre Hände und knetet die Arme bis zu den Ellenbogen. Ein Laut, wie ein kleiner Schrei. Doch sie erklärt ihn nicht, lächelt nur süß: »Die Sonne tut gut.«

      Es ist Rita, als wolle Tiombe einen Schmerz nicht zugeben. Aber sie will sich nicht wundern. Tiombes rasante Art, von einem Zustand in einen anderen zu schlüpfen, wird ihr noch oft begegnen. Die Worte des Westfalen sollten wohl Warnung sein. Wenn Tiombe Vertrauen hätte, würde sie ihren Schmerz erklären.

      Rita breitet die Arme aus, als wolle sie Tiombe umfassen und aufwärmen. Sie nimmt sie blitzschnell wieder zurück, weil Tiombe in kratzigem Ton fragt:

      »Hat es dir gefallen in der Kirche?«

      Was soll sie sagen? Von Andacht und Verehrung würde sie niemals sprechen können, nicht so jedenfalls, wie Tiombe es versteht.

      »Wenn man bedenkt, dass sie von Menschen geschaffen wurde, kann man diese Art Kunst nicht hoch genug verehren. Sie bekehrt die Menschen auf ihre Weise, was man von der modernen Kunst weniger sagen kann.«

      »Du meinst doch nicht, sie bekehrt dich?« prustet Tiombe, während sie den Weg um das alte Gemäuer laufen, dem Parkplatz entgegen.

      »Natürlich meine ich mich. Kirchen öffnen ihre Tore doch nicht nur für die Gläubigen.«

      »Was bewegt dich wirklich in einer Kirche?«

      Das muss sie keinem sagen, auch Tiombe nicht. Sie lässt sich ihre Verwunderung nicht anmerken und wie stets zwingt sie sich zur Sachlichkeit.

      »Tiefer Dank an die Schöpfer.« Obwohl sie das die so deutlich betont, bleibt

      Tiombe stehen. Ihre schönen dunklen Augen verengen sich zu winzigen Schlitzen und die Lippen werden schmal, aber es löst sich ein Satz von den weichen Lippen: »Du Ungläubige. Damit scherzt man nicht.«

      Sie steigen in Ritas Auto.

      »Ich scherze nicht. Ich danke den Schöpfern dieser Kunstwerke, nicht dem allmächtigen Vater«, sagt sie ohne Schärfe. Später sieht sie ihren Fehler ein: »Ich tadele keinen Menschen, nur weil er an etwas glaubt. Die einen glauben an den Herrgott im Himmel, die anderen an den Menschen im Menschen. Entscheidend ist, wie eine Vision den Menschen prägt. Nur eines verzeihe ich der Kirche nicht. Das Versprechen auf ein besseres Leben nach dem Tod? Eine Wiedergeburt? Was soll ein materialistisch aufgeklärter Mensch davon halten?«

      Freilich hätte Rita ihre Meinung klarer sagen können. Aber ist es immer angebracht? Bei dem Westfalen war sie mit ihrer objektiven Betrachtung schließlich in Ungnade gefallen:

       Wer den Ostdeutschen das Recht abspricht, ihre Vision von der Gleichheit der Menschen zu verteidigen, der müsste den Christen den Gang zur Kirche mit gleicher Häme zollen. Die Kirche hat einst die Inquisition hervorgebracht. Verleugnen Christen deshalb ihren Glauben? Hier wie dort waren es Dilettanten, die eine Philosophie mit falschen Mitteln vertraten.

      Tiombe ist die ganze Zeit still. In ihrem Kopf rotiert etwas, was sie nicht zu Ende denken kann. Jetzt räkelt sie sich und scheint endlich befreit vom Eindruck der Andacht zu sein. Beinahe euphorisch klingen ihre Worte:

      »Wiedergeburt! Das wäre toll. Ob man sich aussuchen könnte, wer man im nächsten Leben sein möchte? Vielleicht hat Paul Gerhardt ja das mit seinem Lied gemeint: Ich bin ein Gast auf Erden.«

      Tiombe lächelt, dass ihre Augen blitzen, dass ihr schöner Mund die perlweißen Zähne entblößt, was ihre kupferne Haut noch kupferner macht.

      »Ich sagte es doch«, Ritas Schalk blitzt zu ihr herüber, »an dir ist ein Komödiant verlorengegangen.«

      Der Motor springt an und Rita weiß, ab jetzt werden sie anders miteinander umgehen. Tiombe ist witzig und klug. Wer hat ihren Witz bloß in Ketten gelegt?

      Heimisch?

      Bei dem Interview der jungen Frau, die trotz besseren Verdienstes von Stuttgart zurück in den Spreewald gekommen war, weil sie Heimweh hatte nach der Vertrautheit, nach dem ganz normalem Leben und nach wirklichen Freunden, konnte Rita Tiombes Ungeschicktheit noch abfedern. Nichts als Unkenntnis. Aber welche? Die über das einfachen Leben oder die über wahre Freunde? Das hat sie genau gespürt, irgendwo dazwischen liegt bei Tiombe das Defizit. Vielleicht nur Unverständnis für Probleme, die für Tiombe keine sind?

      Ihr Eingreifen in die Fragetaktik hat bei der jungen Frau nicht den Anschein einer Korrektur erweckt. Später bei Tiombes Artikel wollte Rita gar nicht erst in Versuchung kommen, ihm ihren Stempel aufzudrücken. Nun ist er aber geschrieben und Rita kann nicht zufrieden sein. Zum ersten Mal seit Jahren kommt ihr der erste Redaktionsleiter ihres Lebens in den Sinn, Nils Hegau, und wie der ihre Artikel stets bis zur Unkenntlichkeit redigiert und drastisch gekürzt hat. Ihm hatte sie damals unterstellt, er wolle sie nur klein halten und unbedeutend. Irgendwie spürt sie, Tiombe könne ebensolchen Blödsinn denken. Warum sollte sie Tiombe klein und unbedeutend halten wollen. Vor wem?

      Erst sprechen sie über die zu ungenaue Überschrift und den Vorspann, der kaum Lust zum Weiterlesen macht.

      »Was, wann wo, wer, warum«, wiederholt Rita geduldig. »Das Wer kannst du dann an den Anfang rücken, wenn der Mensch deiner Reportage weithin bekannt ist.«

      »Die Reihenfolge spielt doch wohl keine Rolle«, wehrt sich Tiombe.

      »Nein?« Rita zwingt sich ein Lächeln ab. »Ist es für dich etwa unwichtig, ob «Geld ohne Ende» oder «am Ende ohne Geld»?«

      Heute gleicht Ritas Geduld mit Tiombe einem Ritt durch die Galaxie. Ein solcher allerdings währe erfrischender. Es ist eine Tortur, die Logik und die Kürze in einen Guss zu bringen. Im Moment lässt Rita die Auswahl des Bildes noch völlig außer Acht.

      Inzwischen sprechen sie über einzelne Sätze, und Tiombe stöhnt bei jeder Erklärung, obwohl die das Grundprinzip vom ersten Tage an bis zum Erbrechen durchgekaut haben.

      »Ein guter Artikel soll das Thema erschöpfen, nicht den Leser. Was heißt das?

      Ein Höchstmaß an Informationen mit einem Mindestmaß an Wörtern.«

      Aus dem wundervollen Gesicht spricht nichts als Skepsis und der Wunsch, Rita möge um Gottes Willen nur bald still sein und ihrer Hausarbeit nachgehen.

      Es ist nicht zu übersehen, Tiombe leidet an sich selbst und an dem Gefühl, nicht genug Beachtung zu finden. In diesem Trotz erkennt Rita sie kaum wieder. Sie nimmt bei jedem Hinweis ein bisschen mehr von einem fremden Wesen an, das in sie schlüpft, sobald sie nicht gelobt wird. Dieses Fremde stört ihren Geist, ihren Körper, ja sogar ihre Sprache. Ein kleiner Zorn verfinstert das Gesicht, das nichts als die eigene Ohnmacht spiegelt. Tiombes sichtbare Wandlung ärgert Rita und fasziniert sie zugleich. Sie wird dennoch nicht zulassen, dass ihr Schützling eine Arbeit abliefert, die der Westfale in Grund und Boden schmettern könnte, wenn er wollte.

      Wie konnte sie vermuten, dass ein so junger Mensch sich so rasant ändern kann; dass nach dem amüsanten Geplauder des Tages, schon am Abend ein so übler Zug ihren Blick trübt. Wo ist der Engel geblieben, der in stiller Andacht und Güte in der Kirche eine Kerze anzündete. Wo ist die in sich gekehrte Seele, die duldsam einem Menschen zuhörte, die nun unduldsam an dessen Geschichte arbeitet.

      Rita ist ebenso erschöpft wie Tiombe:

      »Mehr Zeit hab ich jetzt nicht«, Rita hält mit Mühe den Ton zurück, der der Sache angemessen wäre. »Ändere das wie besprochen und dann komm nach unten, wir feiern heute ein wenig. Zwei Freunde kommen zu Besuch und das Wetter ist noch so schön, vielleicht können wir sogar auf der Terrasse sitzen.«

      Tiombe lehnt sich zurück, als wolle sie sagen: du kannst mich mal. Stattdessen sagt sie in merkwürdigen Ton:

      »Ich glaube, ich hätte dir doch mehr von mir erzählen sollen.«

      Die gelangweilt gesprochenen Worte passen nicht zu dem lauernden Blick. Zugleich hält sie es nicht für nötig, Rita auch nur einen Deut ihrer Andeutung