Maxi Hill

Zwei Seelen der Tiombe van R.


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wie gut du aussiehst?«

      »Nein, nicht wirklich.«

      »Das wird auch keiner tun.«

      Nun hat sie so lange in kribbeliger Ungeduld auf diesen Moment gewartet, wo sie mit Tiombe ungestört sprechen kann, dass sie es nicht fertig bringt, sie zurechtzuweisen. Vorerst schaut sie selbst dahin, wohin das Mädchen schaut und muss zugeben: Ihre alten Treter mit den abgewetzten Riemchen geben keinen guten Fuß.

      »Sind Kleider für dich so wichtig? « fragt sie mit scheinbar unbekümmerter Miene. »Sie sind doch beliebig austauschbar.« Rita kann spüren, wie sich die jungen Schultern krümmen, wie die frohmutige Haltung schlaffer wird. Und sie hört, wie die weichen Lippen murmeln: »Ja. Entschuldige.«

      Tiombe ist nicht unsensibel, und wie es nun scheint, sogar traurig, dass sie mal wieder nicht die richtigen Worte gefunden hat. »Es ist nur … es sieht zu komisch aus.«

      Rita hat keine Ahnung, ob Tiombe nur ihre Schuhe belächelt, die sie längst hätte austauschen sollen, oder ob sich bei Tiombe alles um Äußerlichkeit dreht. Was ihre Erscheinung betrifft, ist sie sehr selbstsicher. Und treffsicher in modischen Dingen sie allemal, das muss Rita neidlos zugeben. Weniger sicher steht es wohl um die inneren Werte.

      »Ich hatte vor, mit dir über die Abläufe hier bei uns und über dein Volontariat zu reden.«

      Noch während sie spricht, fällt ihr ein, was Tiombe am Nachmittag gesagt hatte. Irgendetwas über die Achtung, die sie von Menschen erwartet. Aber wie sie es sagte, meinte sie Beachtung.

      Noch darf sie nicht näher nachfragen, die Zeit, wo sie nur Scheu zu spüren glaubte – die wie Abscheu wirkte – ist keine drei Tage her. Sie muss alles unterlassen, was ihrem Verhältnis mehr schadet. Rita deutet auf den Sessel neben ihr. Ob der Versuch gelingt, ihr Gesicht locker zu halten, weiß sie nicht.

      »Wie fühlst du dich?«

      »Wie immer.«

      »Also fühlst du dich immer ungut?« Tiombes Staunen entgeht ihr nicht. Sie ringt mit sich, und spricht doch geradeheraus.

      »Nein. Es ist nur … Es ist alles so weit weg hier.«

      Es sollte wohl beiläufig klingen, aber es klang irgendwie gereizt. Sie hat weit weg ungewöhnlich betont.

      »Was bedeuten schon Entfernungen. Die ganze Welt ist ein Dorf. Heute kommt man doch sehr rasch überall hin.«

      Rita hat das Gefühl, Tiombe geht es, wie es ihr selbst einmal ging. Ihr fehlte die Stadt und ihr fehlten ihre Freunde. Aber sie war freiwillig hierher gekommen. Vielleicht trifft das für Tiombe gar nicht zu. Vielleicht war es eine Flucht vor irgendwem, genau wie damals bei ihr. Und nun, wo die Fremde noch fremder wird, schlägt sie über die Stränge.

      »Ich wollte ja weit weg von zu Hause. Aber …?«

      Und dann erzählt sie stockend, dass es bei Marquardt auch nicht eben schön war. Dass es Spannungen gab, die seine Frau nicht hinnehmen wollte. Deshalb sei sie auf Ritas Angebot eingegangen. Nur deshalb.

      Hat Marquardt Ritas Entscheidung heraufbeschworen, weil er sie kennt?

      Sie sehen sich an und Rita ahnt, da ist noch mehr, als nur Marquardt. Eine Wunde vielleicht, die noch blutet und die so leicht nicht zu heilen sein wird. Sie bedient sich ihrer Stimme, wie sie sich zuweilen ihrer Texte bedient, um sanft nach der Ursache eines Übels zu suchen.

      »Du solltest dir über alles, was man von dir verlangt, vorher klar werden. Du bist erwachsen, soweit ich das beurteilen kann.«

      »Erwachsen heißt noch lange nicht, allem gewachsen zu sein.«

      »Und welchen Namen trägt dieses allem

      Vielleicht ist es nur eine Sekunde, die Tiombe zögert, aber diese Sekunde braucht sie offenbar. Rita ist nicht so vermessen zu glauben, sie wird wirklich ihr Herz ausschütten, aber eine kleine Regung in ihrem Gesicht gibt es und die lässt darauf schließen, dass sie durchaus Momente von Eigenbetrachtung zeigt.

      Rita fällt es schwer, sich zu einem Lächeln durchzuringen. Noch weiß sie nicht, ob die Anstrengung, die sie in Tiombe zu investieren gedenkt, einmal Früchte tragen kann, Früchte, die nicht ihr, die vor allem Tiombe selber schmecken. Der Blick in des Mädchens Augen reicht aus, versöhnlich zu sein. So wie sie Tiombes Hände nimmt, öffnen sich deren Lippen:

      »Ich bin kein Kind mehr … Aber mein Vater bestimmt noch immer über mich. Grundsätzlich.«

      So rasch hat Rita nicht mit Worten gerechnet, dieser Art schon gar nicht.

      »Eltern meinen es meistens gut.«

      »Eltern lieben ihre Kinder auch. Er liebt mich nicht und ich liebe ihn nicht.«

      Es ist, als schlagen Flämmchen aus einer alten Glut. Ähnliche Worte hätte sie früher auch benutzt. Heute weiß sie, sie waren nicht gerecht. Ein Leben in Liebe und Eintracht wünscht sich ein jeder – vielleicht auch Tiombe. Bisweilen hat Rita gespürt, dieses Mädchen, das jedermann Aufmerksamkeit erweckt, braucht selbst sehr viel davon. Ungewöhnlich viel. Es gibt keinen Gang, den sie gehen, wo man dem Mädchen nicht hinterher schaut. Es gibt keinen Mund, der ihre Anmut nicht lobt. Für den Moment kann Rita ein bisschen Neid nicht verwinden. Zu viel an Schönheit in ihrem Haus, die selbst Jens zu ungewohnten Worten verleitet?

       So, wie sie aussieht, stünden ihr ganzandere Wege offen.

      Männergedanken. Aber ein solcher von Jens? Kopf oder Körper?

      Die Köpfe sind jene Teile, die dem männlichen Körper bisweilen im Wege stehen. Das hat sie in einem Roman geschrieben und es war einer bestimmten Erfahrung geschuldet. Aber es war eine Erfahrung mit einem ganz anderen Menschen.

      Tiombes Körper vibriert. Vielleicht begreift sie, wie unklug es war, so mit Rita zu reden. Und was sie dazu bewogen hat, weiß sie vermutlich noch weniger.

      »Es tut mit Leid, Rita.« Das Mädchen schaut zu Boiden, womöglich auf die Galoschen an ihren Füßen. »Ich bin manchmal ungeschickt.«

      Rita hat längst gespürt, wie gut Tiombes Ehrlichkeit über ihr modische Verirrung tat. Die leisen Schwingungen zwischen ihnen setzen in Gang, wofür die Zeit noch gar nicht gekommen ist. Sie drückt das Mädchen behutsam an sich, lässt es aber sofort wieder los.

      »Das ist es nicht. Du warst ehrlich, wenn auch ungeschickt.«

      Tiombe hält Ritas Blick stand. Beinahe aufsässig. Ob sie in ihrer Jugend die Botschaft verstanden hat, bleibt offen. Sie protestiert nicht, das ist ein gutes Zeichen, nur ihre Stimme bebt noch ein kleinwenig:

      »Ist schon okay, Rita. Ich freue mich, erst einmal von Marquardt weg zu sein.«

      Ritas will von Marquardt nichts hören. Längst begreift sie, dass er Tiombe abgeschoben hat, weil sie nervt. Die Pauschalistin weit weg vom Verlag passte ihm gut in den Kram.

      »Erzähl mir lieber von dir«, haucht sie mit großer Vorsicht. Tiombe streicht mit einer Hand ihr Vorderhaar hinter das Ohr und wartet auf irgendeine Eingebung. Sie kommt nicht.

      »Was es von mir zu erzählen gibt, weißt du bereits. Mehr gibt es nicht…«

      »Irgendetwas gibt es immer. Nichts Bestimmtes. Nur, um als Gast auf dem Körberhof nicht ewig fremd zu bleiben.«

      »Ich bin ein Meter fünfundsechzig, achtundvierzig Kilo und seit Geburt weiblich. Ich kann schwimmen, rauche nicht und in punkto Dorfleben bin ich strohdumm.«

      »Und ein Komödiant ist auch an dir verloren gegangen.«

      Rita hat Tiombes Augen lange beobachtet. Da liegt etwas im Argen. Die meisten Menschen wissen nicht genau, was in ihnen steckt – was sie bedrückt. Tiombe kann es ähnlich gehen. Sie wartet, und Tiombe wird unruhig:

      »Ich bin nicht zum Beichten geboren. Wäre ich christlich, würde es mir vielleicht gelingen, aber so …«

      Nach ihrer Konfession zu fragen ziemt sich nicht, Rita bleibt allgemein:

      »Wo