Ana Marna

Seelenmalerin


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Krallen.

      Ollie umklammerte das Gewehr und überlegte krampfhaft, wie er die Waffe schnell genug in Anschlag bringen sollte.

      Er brauchte Abstand. Vorsichtig machte er einen Schritt nach hinten. Das Vorderbein des Wolfes schlug so schnell nach vorne, dass Ollie keine Zeit fand, zu reagieren. Die Krallen erwischten seinen Arm mit solcher Kraft, dass das Gewehr weit zur Seite flog. Ollie brüllte vor Schmerz auf und stürzte zu Boden. Mit schmerzverzerrtem Gesicht umfasste er seinen Arm. Entsetzt sah er die vier tiefen Furchen im Oberarm, aus denen rotes Blut hervorquoll. Panisch sah er zu dem Wolf, der immer noch an seinem Platz stand und ihn unverwandt ansah. Stöhnend raffte Ollie sich auf und griff nach der Pistole.

      Mit einem Riesensatz sprang der Wolf vor und landete mit den Vorderpfoten auf seinem Oberkörper. Ollie wurde in den Waldboden gedrückt und stieß erneut einen Schrei aus. Immer noch zerrte er an der Pistole, aber ein plötzlicher Schmerz in der Hand ließ ihn aufbrüllen.

      Entsetzt sah er in das Gesicht eines weiteren Wolfes. Dieser war deutlich kleiner als der schwarze Riesenwolf, aber seine Augen glommen genauso grün und entschlossen.

      Tiefes Knurren ließ ihn wieder hochblicken, direkt in das aufgerissene Maul des Riesenwolfs.

      „Heilige Mutter Gottes“, krächzte er.

       *

      Joe und Sean sahen sich kreidebleich an, als die Schreie zu ihnen herüberdrangen.

      „Scheiße, Scheiße, Scheiße“, murmelte Sean. „Was passiert da gerade? Dieser Idiot, warum läuft er auch alleine los?“

      „Du musst ihm helfen!“ Joe umklammerte sein Gewehr. „Na los, verdammt. Such ihn! Ich komme schon klar.“

      Sean schluckte. Er verspürte nicht die geringste Neigung, allein loszugehen, aber er hatte wohl keine Wahl. Joe war nicht in der Lage zu laufen. - Aber diese Schreie!

      Seine Hände umkrallten die Waffe und er ging los. Verdammt, warum meldeten sich Willy und Stan nicht?

      Langsam und vorsichtig pirschte er sich vorwärts. Die Schreie waren inzwischen verstummt und das war nicht gut. Gar nicht gut!

      Nach wenigen Minuten stockte er und rang nach Luft.

      Vor ihm lag Ollie - oder besser gesagt das, was von ihm noch übrig war. Sein Körper war völlig zerrissen. Arme, Beine, Kopf, nichts war mehr am Rumpf zu sehen. Kaltes Grausen erfasste ihn, als er sah, dass die Messer noch in dem Gürtel steckten. Mit einem erstickten Laut drehte er sich um und erbrach sich. Als er sich aufrichtete, fiel sein Blick auf den abgetrennten Kopf. Die toten Augen starrten ihn anklagend an.

      Sean rannte los. Keuchend kam er am Lagerplatz an und blieb nach Atem ringend vor Joe stehen.

      „Shit, Joe“, würgte er hervor. „Ich ...“

      Er brach ab und starrte seinen Freund an. Dieser saß immer noch an den Baum gelehnt, die Augen weit aufgerissen. An seinem Hals klaffte eine riesige Schnittwunde, aus der rotes Blut pulste. Sean torkelte zurück, als er registrierte, dass Joes Hände fehlten. Die Armstümpfe sahen aus, als wären die Hände einfach abgerissen worden. Aus Joes aufgerissenem Mund drang ein gurgelndes Stöhnen.

      „Hallo, mein Freund.“

      Mit einem Schrei wirbelte Sean herum und starrte gegen einen breiten, schwarz belederten Brustkorb. Ehe er reagieren konnte, spürte er, wie ihm das Gewehr aus der Hand gezogen wurde.

      Mit einem weiteren Aufschrei sprang er nach hinten und griff zu seiner Pistole - aber da war nichts mehr. Geschockt starrte er auf den riesigen Mann, der grinsend vor ihm stand und die Waffe hochhielt.

      „Wenn du die hier suchst - ich kann die Dinger nicht leiden. Die machen so unschöne Löcher in hübsche Pelze und Frauen.“

      Sean spürte, wie in ihm die Panik hochstieg. Dieser Kerl sah aus, als wäre er einer Motorradgang entsprungen. Hünenhaft groß, Schultern wie ein Schrank, am Hals tätowiert und komplett in schwarzes Leder gekleidet. In dieser Wildnis wirkte er völlig fehl am Platz.

      Mit einer lässigen Bewegung schleuderte der Hüne die Waffe in den Wald. Dann hob er Seans Gewehr und schlug es mit einer blitzartigen Bewegung gegen einen Felsen. Fassungslos beobachtete Sean, wie es zersprang.

      Der Riese sah wieder zu ihm und grinste.

      „Darf ich dir zwei gute Freunde vorstellen?“

      Ein Knurren ließ Sean herumwirbeln. Vor ihm standen zwei schwarze Wölfe. Der eine war unfassbar groß und der andere zwar deutlich kleiner, aber immer noch weitaus größer und kräftiger als ein normaler Wolf. Beide starrten ihn mit einer solchen Intensität an, dass seine Beine nachgaben. Mit einem Keuchen sackte er auf die Knie. Zwei große Hände legten sich von hinten auf seine Schultern und fixierten ihn.

      „Das sind Tucker und Mort. Mort, der große Zottel rechts, ist per se auf Wilderer nicht gut zu sprechen. Genauso wenig mag er Kerle, die auf wehrlose Frauen schießen. Das Gleiche gilt natürlich auch für Tucker. Aber der ist, gelinde gesagt, richtig sauer. Ihr habt nämlich versucht, zwei von seinen Welpen zu töten, und das kann er überhaupt nicht leiden. Mit anderen Worten, du hast ein echtes Problem. Zumal du die Fallen aufgestellt hast.“

      „Das war ich nicht“, stammelte Sean. „Das war Stans Idee, ich ...“

      Die Hände umklammerten seine Schultern so schmerzhaft, dass er aufstöhnte.

      „Halt‘s Maul“, knurrte der Mann hinter ihm und klang dabei selbst fast wie ein Wolf. „Die Eisen stinken nach dir und die Spuren an den Stellen, wo wir sie gefunden haben, waren auch von dir. - Jetzt würden wir gerne wissen, wie viele du noch ausgelegt hast.“

      Sean flimmerte es vor den Augen vor Schmerz. Die Hände an seinen Schultern hatten nicht einen Deut nachgegeben.

      „Zehn“, stammelte er. „Ich habe zehn verteilt.“

      „Und wo?“

      Der Griff verstärkte sich. Sean heulte auf.

      „In meinem Rucksack ist eine Karte. Da sind sie eingezeichnet. Oh Gott, hör auf! Bitte!“

      Der Griff löste sich und Sean sackte zu Boden. Die Wölfe hatten ihn nicht eine Sekunde lang aus den Augen gelassen. Er sah, wie der Lederkerl zu den Rucksäcken schritt und ohne zu zögern nach seinem Sack griff. Wenige Sekunden später hatte er die Karte gefunden und klappte sie auf. Zufrieden nickte er und sah zu Sean.

      „Du kannst es dir aussuchen: auf die schnelle oder auf die spaßige Art.“

      Sean sah ihn verständnislos an. Der Mann wies mit dem Kinn zu Joe, der inzwischen still und mit starren Augen zur Seite gerutscht war.

      „Das ist die schnelle Art. Aber wenn du willst, kannst du dir auch die Beine vertreten. Immerhin bist du ja ein Jäger.“ Er grinste bösartig. „Und die laufen ja bekanntlich gerne nachts durch die Wälder.“

      Sean war kalkweiß geworden. Entsetzt sah er zwischen Joe und den Wölfen hin und her.

      „Keine Sorge“, meinte der Riese. „Sie lassen dir auch einen Vorsprung.“

      Der Wilderer richtete sich torkelnd auf. Der Hüne grinste ihn spöttisch an. „Viel Spaß.“

      Sean floh. Panisch rannte er in die Nacht. Sofort klang rings um ihn herum Heulen auf. Schatten kamen in Bewegung und trabten hinter ihm her.

      Sie trieben ihn nach Norden, immer weiter, und bescherten ihm die längste und letzte Jagd seines Lebens.

      Nur dass diesmal er selbst die Beute war.

       Tag 20

       Nördliche Wälder, Minnesota

      Als Hannah die Augen aufschlug, dämmerte es bereits. Ächzend richtete sie sich auf und sah sich um.

      Die zwei großen Pelzträger waren verschwunden, nur der Jungwolf lag