Ana Marna

Seelenmalerin


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ging sie weiter. Wo Schüsse abgefeuert wurden, gab es Jäger, und die waren manchmal kurzsichtig und nicht allzu wählerisch, wenn sie eine Bewegung wahrnahmen.

      Sie war noch keine hundert Meter weit gekommen, als vor ihr eine kleine graue Gestalt auftauchte.

      Hannah blinzelte.

      War das jetzt ein Wolf oder wieder ein Hund?

      Der Vierbeiner winselte und brach vor ihr zusammen. Erschrocken kniete sie sich nieder. Jetzt erst sah sie das riesige Einschussloch in seiner Flanke.

      „Verdammte Jäger“, knirschte sie und legte vorsichtig die Hand auf den Tierhals. Der Puls raste und das Tier hechelte vor Schmerz und Anstrengung. Glasige grüne Augen starrten sie an. Wieder hatte sie ein Jungtier vor sich, und es sah dem Hund von Peter irgendwie ähnlich, auch wenn die Färbung eine völlig andere war.

      Mit einem leisen Fluch schob sie die Arme unter den grauen Körper und richtete sich auf. Er ließ es geschehen. Hund, beschloss Hannah spontan. Sie wandte sich um und schlug den Rückweg ein. Eine raue Stimme ließ sie stoppen.

      „Hallo Lady. Ich schätze, du hast da was, das mir gehört.“

      Langsam drehte sie sich um und betrachtete die fünf Männer, die sich vor ihr aufbauten. Alle hielten Gewehre in der Hand, aber als sie genauer hinsah, erkannte sie, dass sie bis an die Zähne bewaffnet waren. Messer, Pistole, Gewehr, die ganze Palette. Und sie wirkten nicht freundlich.

      Das war eindeutig nicht gut.

      „Hallo“, meinte sie. „Ich glaube, da irren Sie sich. Ich habe hier einen offensichtlich schwerverletzten Hund, der dringend den Tierarzt braucht. Sie sehen mir nicht wie einer aus.“

      Er grinste und trat einen Schritt näher. Das Gewehr bewegte sich in ihre Richtung.

      „Das ist ein Wolf, Lady“, korrigierte er mit mildem Spott. „Und da ich ihn geschossen habe, gehört er mir.“

      „Ach“, Hannah konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme vor Zorn bebte. „Abgesehen davon, dass sich ein Wolf wohl kaum von mir tragen lassen würde, meine ich zu wissen, dass das Jagen hier in dieser Gegend verboten ist. Sie sollten sich also besser verziehen. Hier in der Nähe wohnen nämlich Leute, die gerade stinksauer auf diverse Wilderer sind, die sich hier herumtreiben und Schlagfallen aufstellen. Sie haben diese Mistkerle nicht zufällig getroffen?“

      Seine Miene verzog sich zu einem gehässigen Grinsen.

      „Lady, die Hinterwäldler hier sind mir herzlich egal. Der Pelz da aber nicht.“

      Das Gewehr zielte jetzt genau in ihre Richtung.

      Hannah trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

      „Hören Sie auf mit dem Scheiß“, verlangte sie. „Sie wollen mich doch nicht ernsthaft mit Ihrer Waffe bedrohen?“

      „Schätzchen, wir sind hier mitten im Wald, ganz für uns allein. Niemand wird mitkriegen, wenn wir uns vergnügen. Und ich glaube, ich habe gerade beschlossen, dass wir ein wenig Spaß miteinander haben werden. Was meint ihr, Jungs?“

      Die Männer grinsten sie an. Hannah trat einen weiteren Schritt zurück und drückte den Hund an sich. Die Situation gefiel ihr ganz und gar nicht. Dieser Mann hatte leider recht. Niemand war hier, um ihr zu helfen. Und dummerweise hatten die Kerle jede Menge Gründe, sie nicht einfach gehen zu lassen. Ob mit oder ohne Wolf.

      Wenn das wirklich die Wilderer waren, und daran zweifelte sie keine Sekunde, dann waren sie mit Sicherheit nicht daran interessiert, eine Zeugin am Leben zu lassen, die sie identifizieren konnte.

      Die Männer setzten sich in Bewegung und fingen an, sie einzukreisen. Als Hannah wieder nach hinten trat, richtete der Sprecher das Gewehr direkt auf sie.

      „Bleib stehen“, befahl er. Hannah stockte und schielte zur Seite. Aber die nächsten Büsche waren mindestens drei Meter entfernt. Das würde sie niemals schaffen.

      Der Wolf schnellte so plötzlich aus dem Gebüsch, dass alle reflexartig zurücksprangen. Der Sprecher schrie wütend auf, als die Kiefer sich in seinem Arm verbissen. Von der Wucht des Tieres wurde er zu Boden gerissen und ein Schuss löste sich. Hannah rannte ohne weiter zu zögern los. Den Wolfshund fest an sich gepresst sprang sie ins Unterholz.

      Ein weiteres Mal erklang ein Schuss und Hannah wurde von einem Schlag nach vorne geworfen. Irgendwie gelang es ihr, auf den Beinen zu bleiben, und sie rannte weiter.

      „Verdammt, verdammt“, keuchte sie. Sie spürte, dass sie getroffen war, aber stehenbleiben war keine Option.

      Ihr Wolfshund war Gott sei Dank kleiner und leichter als der letzte, den sie getragen hatte, doch er wog trotzdem zu viel. Sie war nur dankbar, dass er offenbar genauso wenig bestrebt war, sie zu beißen wie Peters Hund.

      Keuchend stürmte sie vorwärts, bis sie keine Kraft mehr in den Beinen hatte und auf die Knie sank. Vorsichtig legte sie das Tier vor sich auf den Boden.

      Der Kleine winselte leise.

      „Schsch, sei still“, murmelte Hannah, „Die Kerle sind mit Sicherheit hinter uns her. Lass mich deine Wunde sehen.“

      Vorsichtig betastete sie seine bebende Flanke. Offenbar steckte die Kugel noch in ihm. Hastig streifte sie den Rucksack ab und keuchte auf. Ihre Schulter brannte vor Schmerz und ihr wurde speiübel.

      Als sie wieder klarsehen konnte, kramte sie im Rucksack herum und zog das Notfallset hervor. Hastig brachte sie einen Druckverband an der Wunde an. Dann versuchte sie herauszufinden, wo und wie sie selbst verletzt war.

      Das war gar nicht so einfach. Immerhin schien die Kugel von dem Rucksack gebremst worden zu sein. Mit etwas Glück war sie nicht sehr tief eingedrungen. Aber es schmerzte höllisch und ihr T-Shirt war im Schulterbereich bedenklich rot gefärbt. Zu längeren Untersuchungen fehlte ihr aber die Zeit. Sie konnte nur hoffen, dass sie nicht allzu stark blutete.

      Schnell stopfte Hannah das Notfallset wieder zurück und zog ihr Messer heraus. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie dem Ranger zutiefst dankbar. Zumindest würde sie bei dem nächsten Zusammentreffen nicht gänzlich unbewaffnet sein.

      Sorgsam befestigte sie die Waffe an ihrem Gürtel. Dann sah sie zu ihrem Schützling.

      „Es hilft nichts, Kleiner. Wir müssen weiter. Tut mir leid, wenn ich dir wieder wehtue. Aber glaube mir, mir geht‘s gerade auch beschissen.“

      Sie raffte sich auf und hob den Vierbeiner mit einem Schmerzlaut auf die Arme. Langsam stapfte sie weiter. Dabei versuchte sie, auf Geräusche und Bewegungen zu achten. Diesmal bemerkte sie keinen Begleiter und fühlte sich zum ersten Mal unwohl, allein zu sein. Hoffentlich hatten diese Mistkerle den Wolf nicht erwischt. Sie biss die Zähne zusammen und verdrängte die unschönen Vorstellungen. Auch die Frage, warum das Raubtier die Männer angegriffen hatte, drängte sie zur Seite. Darüber konnte sie spekulieren, wenn sie in Sicherheit war.

      Kurz blieb sie stehen und warf einen Blick auf den Kompass an ihrem Arm, um sich zu orientieren. Verflixt. Sie war viel zu weit nach Norden gekommen. Besser sie floh nach Süden. Aber da war die Gefahr größer, auf die Wilderer zu treffen. Mit einem leisen Fluch änderte sie ein wenig die Richtung. Vielleicht konnte sie einen großen Bogen schlagen.

      Sie kam nicht allzu weit, bis sie merkte, dass der Richtungswechsel keine gute Idee gewesen war.

      Knapp neben ihrem Kopf schlug eine Kugel in den Baum. Sofort ließ sie sich fallen. Der Wolf jaulte auf.

      Hannah robbte hinter den Baum und zerrte ihn mit sich.

      „Scheiße, scheiße“, murmelte sie.

      „Hey Süße“, brüllte eine Männerstimme. „Mach schon mal die Beine breit. Wir sind gleich bei dir.“

      Ein anderer Mann lachte. Er befand sich ein ganzes Stück von dem Rufer entfernt. Anscheinend hatten sie sich getrennt und eine Suchkette gebildet.

      Hannah presste die Lippen aufeinander. Sie musste hier dringend weg. Also doch nach Norden. Vorsichtig erhob sie sich