Ana Marna

Seelenmalerin


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auf und krallte ihre Hand in sein Bein, das er vor ihr aufgestellt hatte. Völlig unbeeindruckt beendete er sein Werk. Dann zog er eine Feldflasche hervor und brachte sie in eine sitzende Position.

      „Trink!“

      Ihre zitternde Hand griff nach der Flasche und sie schluckte gehorsam das Wasser. Ein leises Fiepen ließ sie zur Seite blicken. Der kleine Kerl starrte sie mit langer Zunge an. Sie senkte die Hand und schüttete etwas von dem Wasser in die linke Handfläche, die eher nutzlos auf ihrem Bein ruhte. Seine Zunge schnellte sofort heraus und schleckte es auf. Als der Mann ihr die Flasche aus der Hand zog, schloss sie die Augen und ließ sich von ihm zurück auf den Rücken legen. Er war zwar nicht gerade sanft mit ihr umgegangen, aber immerhin schien er ihr helfen zu wollen, und das war mehr als beruhigend.

      Der schwarze Wolf hatte sich inzwischen hingelegt und beobachtete sie immer noch. Hannah vermied es, ihn direkt anzusehen. Irgendwann hatte sie mal gelesen, dass man Wölfe durch direkten Blickkontakt herausforderte. Das wollte sie lieber nicht riskieren.

      Ihre Augenlider sanken nieder und sie sackte in einen Dämmerschlaf.

      Die Stimme des Mannes ließ sie wieder hochschrecken. Er hockte neben ihr und sprach leise in ein Funkgerät. Alles konnte sie nicht verstehen, nur einige Worte: Wolf, Welpe und - Tucker. Erleichterung durchfloss sie. Wenn dieser Riese Tucker O’Brian kannte, würde alles gut werden.

      „Wir werden die Nacht hier verbringen müssen.“

      Die Stimme des Riesen war immer noch leise. Hannah blinzelte erneut. Redete er mit ihr?

      „Es wird kalt werden.“ Er sah sie jetzt an. „Wenn es wieder hell wird, müssen wir noch ein Stück weiter nach Norden, wo uns ein Hubschrauber abholen kann.“

      Aus dem Tal schallte lautes Wolfsgeheul hoch. Der schwarze Wolf stand auf und lauschte mit erhobenem Kopf.

      Der Mann nickte ihm zu.

      „Geh jagen. Ich passe auf die beiden auf.“

      Der Wolf war so schnell wieder verschwunden, wie er gekommen war.

      Hannah schloss die Augen. Eine feuchte Schnauze drängte sich gegen ihre Hand. Sie lächelte und griff mit der unverletzten Hand nach dem Welpen, um ihn an sich zu ziehen. Er kuschelte sich eng an sie und rollte sich zusammen. Hannah genoss sein warmes Fell. Langsam wurde es dunkel und entsprechend kalt. Gänsehaut bildete sich bereits auf ihren Armen, und immer noch war ihr übel vor Schmerz. Schließlich öffnete sie die Augen und tastete nach ihrem Rucksack. Mit zitternder Hand wühlte sie darin herum, bis sie eine Blisterpackung hervorzog.

      Ihr Beschützer hielt ihre Hand fest und betrachtete stirnrunzelnd die Tabletten. Hannah presste entschlossen die Lippen zusammen und versuchte sich loszureißen, was ihr aber nicht gelang.

      „Verdammt“, keuchte sie. „Du gehörst vielleicht zu der Sorte Mensch, die keinen Schmerz kennt, ich aber nicht.“

      Er grinste schwach.

      „Schmerz belebt und hält einen wach.“

      „Mich bringt er gerade um“, fauchte sie. Zu ihrer Erleichterung ließ er sie los und reichte ihr erneut die Trinkflasche. Es war nicht gerade einfach, mit einer Hand die Schmerztabletten aus der Blisterverpackung zu drücken, und auch ihr Zittern war dabei eher hinderlich, aber schließlich schluckte sie drei hinunter und spülte mit dem Wasser hinterher. Dann sackte sie erschöpft wieder zurück.

      Aus halbgeschlossenen Augen beobachtete sie den Mann. Er wirkte völlig entspannt und unbesorgt.

      Die Dunkelheit senkte sich jetzt schnell über die Wildnis und es wurde unangenehm kalt.

      Hannah rollte sich, so gut es ging, um den Welpen zusammen. Bald zitterte sie am ganzen Körper. Warum hatte sie ausgerechnet dieses Mal keine Decke oder zumindest einen wärmeren Pullover dabei? Nie wieder würde sie so etwas vergessen!

      Wolfsgeheul drang zu ihnen und entfernte Schüsse peitschten durch die Nacht. Hannah zuckte unwillkürlich zusammen, genauso wie der Welpe.

      Als sich ein großer warmer Pelz an ihren Rücken drückte, erstarrte sie. Ein weiterer Körper drängte sich an ihre nackten Beine und nacheinander schoben sich zwei große Köpfe auf ihren Bauch. Hannah hielt vor Schreck erst die Luft an. Doch dann entspannte sie sich. Bisher hatte kein Wolf, den sie hier angetroffen hatte, sie in irgendeiner Form bedroht, und sie war sich sicher, dass dieser unheimliche Mann eingegriffen hätte, wenn sie in Gefahr gewesen wäre.

      Es dauerte nicht lange und die Fellträger übertrugen ihre Wärme auf sie. Völlig erschöpft schob Hannah ihre Hände in den dichten Pelz und schloss die Augen. Dann ließ sie sich von der Wärme und dem fernen Wolfsgeheul in den Schlaf treiben.

       *

      Ollie Nicholson fluchte unterdrückt und senkte das Fernglas. Langsam wurde es dunkel und die Jagd würde schwieriger werden. Er sah zu seinem Freund, doch der schüttelte den Kopf.

      „Stan meldet sich nicht. Und Willy auch nicht. - Glaubst du, dass dieses Miststück die zwei erwischt hat?“

      Ollie lachte verächtlich auf.

      „Wohl kaum. Die blutet wie ein angestochenes Schwein. Ich schätze mal eher, dass die beiden mit ihr ihren Spaß haben.“

      Ein Stöhnen ließ ihn zur Seite blicken.

      Sein Kumpel Joe lehnte an einem Baum und hatte die Hände geballt. Dicke Verbände prangten an seinen Beinen und an seinem Arm. Die rechte Gesichtshälfte war rot und geschwollen.

      „Die sollen mir noch was von ihr übriglassen“, knirschte er.

      Ollie grinste.

      „Keine Sorge, du kennst sie doch. Trotzdem blöd, dass sie sich nicht melden. - Scheiße, was war das?“

      Er sprang auf und richtete sein Gewehr auf das Gebüsch neben ihm. Aber alles blieb still.

      „Sei nicht so nervös“, lachte der mit dem Fernglas. „Hier ist ...“

      Das Heulen klang direkt in der Nähe auf und ließ die drei Männer zusammenzucken.

      „Verdammt, Sean“, fluchte Ollie. „Ich wusste doch, dass ich was gesehen habe. Hier treibt sich mindestens ein Wolf rum. Vielleicht sollten wir ein Feuer machen.“

      „Hast du etwa Schiss vor einem Wolf?“, fragte Sean verächtlich.

      „Nein, du Idiot, aber ich mag es nicht, aus dem Dunkeln heraus angegriffen zu werden.“

      „Das kommt so gut wie nie ...“

      Wieder erklang ein Heulen, dieses Mal von der anderen Seite. Die Männer lauschten.

      „Also mindestens zwei“, knurrte Ollie. Zwei Wölfe heulten gleichzeitig, wieder aus verschiedenen Richtungen. Die Männer sahen sich an. In beiden Gesichtern stand Unbehagen.

      „Shit“, stöhnte Joe. „Haben die uns eingekreist? Was soll denn das? So hungrig können die um diese Jahreszeit doch gar nicht sein.“

      Abermals ertönte ein Heulen, dieses Mal ganz in der Nähe. Ollie wirbelte herum und schoss mehrmals geradewegs in die Richtung. Ein Jaulen erklang.

      Ollie grinste triumphierend.

      „Na also. Wartet einen Moment. Dem Mistvieh gebe ich den Rest. Der kann nicht weit weg sein.“

      Ehe seine Kameraden protestieren konnten, stapfte er los. Sorgsam hielt er nach Spuren und Bewegungen Ausschau, aber in der Dunkelheit konnte er trotz Taschenlampe nichts entdecken.

      Irgendwann blieb er stehen und fluchte leise. Er hätte den Wolf schon längst sehen müssen. Noch einmal ließ er den Blick schweifen, dann drehte er sich um und erstarrte.

      Direkt vor ihm stand ein riesiges schwarzes Ungetüm und starrte ihn aus grünschillernden Augen mit einem leisen Grollen an.

      Ollie war starr vor Angst. Noch nie hatte er einem so großen Wolf gegenübergestanden. Der Kopf dieses Monstrums befand sich beinahe