Ana Marna

Seelenmalerin


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mehr zu sehen, aber die angetrockneten Blutlachen auf dem Boden verrieten, dass der Alptraum Realität war.

      Hannahs Blick fiel auf ihren geheimnisvollen Beschützer und sie erstarrte. Neben ihm saß ein weiterer Kerl. Dieser war noch größer und breiter, allerdings ganz in schwarzes Leder gehüllt, und grinste sie an.

      „Hallo Hannah, ich bin Henry. Wie gehts?“

      Sie räusperte sich und suchte nach einer passenden Antwort.

      „Äh, danke, könnte besser sein. Mir fehlt wohl die Matratze. - Haben Sie sich verlaufen? Irgendwie passen Sie eher in einen Gangsterfilm.“

      Er lachte lauthals, was ihn deutlich ungefährlicher wirken ließ. Aber sie gab sich keinen Illusionen hin. Vor ihr saßen die gefährlichsten Männer, denen sie je begegnet war, da war sie sich absolut sicher.

      „Nein, ich habe mich nicht verlaufen. Ich hatte nur keine Zeit mich umzuziehen. Cathal trägt da eindeutig das passendere Outfit.“

      Er grinste den anderen Mann an. Der verzog nur das Gesicht.

      „Was ... was ist mit den Wilderern?“

      Sein Grinsen verschwand.

      „Keine Sorge. Die werden niemanden mehr jagen. Keine Wölfe mehr und keine Hannahs.“

      Sie schluckte hart. Ihr war durchaus klar, was er damit andeutete. Sie würde noch darüber nachdenken müssen, ob sie das akzeptieren konnte oder nicht. Im Moment war sie jedenfalls erleichtert.

      Sie sah auf ihr blutverschmiertes Bein und versuchte es zu bewegen. Der Schmerz schoss sofort durch sie hindurch und ließ sie die Lippen zusammenpressen. Aber die Schulter schmerzte eindeutig mehr. Es war sehr mühsam, aufrecht sitzen zu bleiben.

      Der kleine Wolf winselte. Hannah lächelte ihn verzerrt an.

      „Keine Sorge, kleiner Mann, das wird schon wieder.“

      Sie langte nach ihrem Rucksack und suchte die Schmerztabletten.

      Cathal reichte ihr wortlos seine Trinkflasche.

      Als sie sich versorgt hatte, hielt der andere ihr einen Schokoladenriegel entgegen.

      „Essen Sie! Wir haben noch ein paar Meilen vor uns.“

      Hannah schlang den Riegel heißhungrig hinunter. Normalerweise hielt sie es problemlos länger ohne Nahrung aus, aber die Verletzungen zehrten eindeutig an ihren Reserven. Kaum hatte sie fertig gegessen, da richteten sich die Männer auch schon auf. Als Hannah es ihnen gleichtun wollte, schüttelte der Mann namens Henry den Kopf.

      „Vergessen Sie’s. Mit den Verletzungen kommen Sie keine zehn Meter weit. Wir werden Sie tragen.“

      Er bückte sich zu ihr hinunter und nahm sie mühelos auf die Arme.

      Hannah keuchte unwillkürlich auf, als die Schmerzen durch ihre Verletzungen jagten, biss sich dann aber auf die Lippen.

      „Geht’s?“

      Sie nickte konzentriert. Um nichts in der Welt wollte sie die Männer mit jammern nerven. Er sah zu dem kleinen Hund (oder doch Wolf?).

      „Du bleibst genau hinter mir! Wag es ja nicht, auch nur eine Pfote danebenzusetzen oder einen Laut von dir zu geben!“

      Der Schwanz des Kleinen war nicht mehr zu sehen. Unter anderen Umständen hätte Hannah über so viel Unterwürfigkeit gelacht, aber im Moment war sie mehr darum bemüht, bei Bewusstsein zu bleiben.

      Als die beiden losliefen, brach ihr der kalte Schweiß aus. Sie waren schnell und zielstrebig. Henry versuchte offensichtlich, sie möglichst vorsichtig zu tragen, aber ihre Schulter und ihr Bein flammten vor Schmerz.

      Hannah verlor jedes Zeitempfinden. Die Qual vernebelte ihr die Sicht und ließ sie immer wieder wegsacken. Die Landschaft zog an ihr vorbei, Bäume, Felsen, Farben, Schatten.

      Vorneweg lief Cathal, das Gewehr in den Händen. Hinter ihnen trabte der kleine Wolf. Nur nebenbei wunderte sie sich, dass er so offensichtlich keine Probleme mehr mit der Schusswunde hatte. Aber ihre Gedanken trieben schnell wieder fort.

      Irgendwann stoppten sie und die Männer wechselten die Position. Cathal hielt sie genau so fest und sicher in den Armen wie Henry. Wieder schwankte sie zwischen Schmerz und Ohnmacht hin und her. Zwischendurch nahm sie Bewegungen neben sich wahr, wusste aber nicht, ob sie sich das einbildete. War es ein Wolf? Er war so groß, nahezu riesig. Ein gigantischer, schwarzer Zottelwolf. Das war unmöglich Realität. Ein Traum. Sie lächelte und driftete wieder in eine Ohnmacht.

      Noch einmal sah sie den Riesenwolf. Diesmal lief er vorne, bei diesem Henry. Zwei Riesen nebeneinander. Ein passendes Pärchen. Der Wolf drehte den Kopf und sah ihr direkt in die Augen. Grün, das hätte sie sich ja denken können. Wieder lächelte sie und sackte weg.

      Sie träumte von grünen Augen und Wölfen, unterbrochen von Schmerz und Wasser auf ihren Lippen.

      „Es geht ihr nicht gut.“

      Die Stimme drang wie von fern an ihr Ohr. Erneut spürte sie Wasser an ihrem Mund und trank.

      „Kein Wunder. Aber wir müssten gleich da sein. Mia ist schon gelandet. Wir können dann also sofort starten. Hast du die Kugeln herausbekommen?“

      „Die aus der Schulter. Sie saß nicht besonders tief. Die Kugel im Bein ist ziemlich nah am Knochen. Der Messerstich ist schlimmer.“

      „Ärgerlich, aber ich glaube, Tucker hat eine gute Ärztin. Komm weiter.“

      Wieder fühlte Hannah, wie sie hochgehoben wurde, und die Zeit verschwamm.

      „Hannah!“

      Sie blinzelte und sah in Henrys grüne Augen.

      „Wir sind da. Bald sind Sie in Sicherheit.“

      Sie schaffte es, zu lächeln.

      „Das bin ich doch schon“, murmelte sie. Er grinste breit.

      „Danke, das werte ich mal als Kompliment. Jetzt werden Sie leider noch einmal etwas durchgeschüttelt. Mia fliegt zwar fantastisch, aber Hubschrauber sind ziemlich ruppig.“

      Hannah sah in die Richtung, in die er zeigte.

      Vor ihnen stand ein großer Helikopter auf einer Lichtung. Cathal trug sie darauf zu. Wieder blinzelte Hannah. In der geöffneten Tür des Hubschraubers hockten zwei Gestalten, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Der Mann war noch riesiger als Henry und genauso in Leder gekleidet wie er. Schwarze Zottelhaare hingen ihm ins Gesicht und er wirkte eher mürrisch.

      Neben ihm saß eine kleine Gestalt mit einer roten Wuschelfrisur. Hannah schätzte das Mädchen auf höchstens Anfang zwanzig. Im Gegensatz zu ihrem Sitznachbarn machte sie einen äußerst gut gelaunten Eindruck und winkte ihnen zu.

      „Fein dass ihr endlich da seid. Ich hocke hier schon über eine Stunde rum.“

      Henry trat auf sie zu und packte sie vorne an ihrem Hemd. Mühelos zog er sie hoch, bis sich ihre Köpfe auf einer Höhe befanden. Dann drückte er ihr einen Kuss auf den Mund. Sie schlang die Arme um den breiten Männernacken und erwiderte ihn. Als sie sich voneinander lösten, ließ er sie los und sie plumpste auf die Füße.

      „Schmeiß die Kiste an, Süße. Die Lady hier braucht dringend einen Arzt.“

      Die junge Frau sah neugierig zu Hannah und riss erschrocken die Augen auf, als sie das bleiche, vom Schmerz gezeichnete Gesicht und die blutigen Verbände sah.

      „Oh Mist, geht klar.“

      Sie sprang in den Hubschrauber. Der schwarze Hüne stand auf und kletterte ihr hinterher. Cathal hob ihm Hannah entgegen. Wieder fühlte sie sich von starken Armen ergriffen und sah in grün irisierende Augen. Sein Blick ging ihr durch und durch. Er war stahlhart und schien sie zu sezieren.

      „Lass sie in Ruhe, Mort“, erklang Henrys Stimme. „Sie hat genug durchgemacht. Cathal, reich mir den Welpen rein.“

      Hannah fühlte den harten