Sabina Ritterbach

das goldene Haus


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mich auch nur mit einer Frage erschreckt. Ich wusste nichts von ihm und wollte auch nichts wissen.

      Die Zigarette war schon eine Weile verglüht, der Tee getrunken, ich fühlte mich wieder nüchtern, es war Zeit fürs morgige Programm.

      "Wann öffnet die Werkstatt, wann müssen wir aufstehen?"

      "Vor halb zehn geht hier nichts, es hat also keine Eile."

      "Sie werden es doch fertigbekommen?"

      "Keine Ahnung, kannst du mir das Buch leihen?"

      Ich nickte, er nahm das Buch, reckte sich, gähnte herzhaft ungeniert und meinte, er wäre müde wie Baum. "Wie was?"

      "Wie ein Baum, gute Nacht", und fort war er. Ich räumte noch die Tassen in den Spülstein, wischte den Tisch ab und zog mich in die Sicherheit meines Bettes zurück.

      Kapitel - Irland3

      Als ich ein kleines Mädchen war und Angst hatte, wenn draußen ein Gewitter tobte, wenn ich mich zu meiner Mutter hin flüchtete, dann sagte sie zu uns: "Kinder, wenn es so blitzt und donnert, dann geht man am besten ins Federbett, dort ist man sicher. Es hat nämlich noch nie in ein Huhn eingeschlagen, oder?" Das hat uns Kindern eingeleuchtet, wir zogen uns unsere Federbetten über die Köpfe und hielten uns für gerettet. Einen ebenso komischen Spruch hatte sie, wenn wir uns an einem verregneten Ferienmorgen zu ihr ins Bett kuschelten: "Findet ihr nicht, dass man dem Bettchen-Erfinder endlich einmal ein Denkmal setzen sollte?"

      Ich liebte mein Bett, es roch nach mir, ich baute mir schützende Höhlen und igelte mich ein. Als Kind liebte ich es, ein wenig krank zu sein und dadurch auch tagsüber im Bett bleiben zu dürfen.

      Erst liebte ich mein Bett, dann viele Jahre unser Bett. Damals wusste ich es noch nicht, als Manfred sich in unserem Bett von mir abwandte und seine Decke um sich zog, da verlor ich unser Bett.

      Ich träumte von Autos, die mich von der Straße abdrängten, über Äcker jagten und mir unter Brücken auflauerten. In mein Kopfkissen verkrallt erwachte ich, und mir fiel sofort ein, heut' wird der Wagen abgeschleppt. Ich fühlte mich durch die Mangel gedreht, aber eine heiße Dusche würde mich wieder entknoten und entspannen.

      Die Dusche war nicht heiß, nur lauwarm, der Alptraum war auch nur ein wenig schrecklich gewesen, und so trat ich dem Tag jeansbekleidet, ganz auf Abschleppen und Montieren eingestellt entgegen. Auch er hatte seine Arbeitskleidung an, ein Unterhemd und die Jogginghose.

      Ich hörte die Stimme meiner Mutter: "Männer, die sich tagsüber im Unterhemd zeigen, sind Proleten!"

      Der Prolet saß beim Frühstück und aß manierlich mit Messer und Gabel. Als ich den Speckrand von meinem Schinken schnitt und auf den Tellerrand schob, griff er mit den Fingern herüber und aß ihn auf.

      Da ich langsamer aß als er und morgens immer einen gesegneten Appetit hatte, fühlte ich mich ein wenig gehetzt, außerdem hatte ich die Art, wie er seinen Stuhl zurückschob und mich mit fast lidschlaglosen Augen ansah, sehr, sehr ungern. Ich fing dann an zu kleckern. Die Orangenmarmelade machte sich auf dem Toast selbständig, und der Schinken widersetzte sich meinem Messer solange, bis er mit einem befreienden Hopser auf meinem Schoß landete. Dann zuckte es um seine Mundwinkel, und er gab trockene Bemerkungen von sich wie: "Heute morgen besonders sportlich", wenn ich unterm Tisch verschwand, um ein Stück Brot oder sonst etwas aufzuheben. Also, ich beeilte mich, um den Anschluss nicht zu verpassen. Auf gings.

      Hinein in den Bus, und ab zu meinem Auto. Das Wetter hatte sich verändert, es schien nicht mehr pausenlos die Sonne, dafür gab es phantastische Wolkengebirge, aber es regnete nicht, und zwischen den dicken Wolken schaute immer wieder blauer Himmel hervor. Er koppelte mein Auto an den Bully, und langsam ging es in den nächsten Ort. Nun hatten die Hunde leichtes Spiel mit mir, kläffend rannten sie hinter und neben meinem Auto her. Ein Wunder, dass nicht die ganze Straße mit toten Hunden gepflastert war. Sechs bis sieben Meilen zockelten wir so dahin, dann parkten wir vor zwei Tanksäulen und einem garagenähnlichen Anbau, der Werkstatt.

      Der Monteur kam, und beide verschwanden unter der Motorhaube, anschließend wurde debattiert. Nur so viel verstand ich, Ersatzteile wurden benötigt, aber alles wäre machbar. Er brauchte die Unterlagen der Verleihfirma der Rechnung wegen. Es schien so, als hätte der Himmel jemanden geschickt, der sich um mich kümmerte. Lieber wäre mir gewesen, der Himmel hätte erst gar nicht die Autopanne zugelassen, dann hätte sich auch der bärbeißige Retter erübrigt.

      "Wann wird es fertig sein, noch heute?"

      "Wenn Gott will, vielleicht."

      Meine Autopanne schien tatsächlich eine Angelegenheit des Himmels zu sein.

      "Hoffentlich", sagte ich, und zu ihm, ich wolle ihm keinesfalls mehr lästigfallen, es sei mir so unangenehm usw.

      "Bist du bald fertig, damit wir fahren können?"

      Bei der Telefonzelle machte er halt, schnappte sich meine Wagenunterlagen, und durch die Scheibe sah ich ihn heftig kurbeln und faustschlagen.

      Alles war mit der Verleihfirma geregelt, mir blieb nichts anderes übrig, als dankbar zu gucken. Weil es nötig war und zwecks Abarbeitung ging ich in die Küche. Wusch ab, reinigte den Herd, die Arbeitsplatte, lief in den Essraum, um den Tisch zu putzen.

      Wie ein Arbeiterdenkmal stand er hinter der Scheibe, lackierte die Fensterrahmen und trat einen Schritt zurück auf die Kante seines Werkzeugkastens. Schrauben, Drähte, Zangen und unendlicher Kleinkram ergossen sich auf den Rasen. Als er sich ziemlich unfein fluchend bückte, rief ich diesmal:

      "Ziemlich sportlich heut' morgen."

      Kurze Verblüffung, und dann schallte sein tiefes Gelächter zu mir ins Haus.

      Dies wäre die richtige Aufgabe für mich, nun würde ich weiterstreichen, das hätte ich gelernt, ich könne mit dem Pinsel sicherer umgehen als mit Messer und Gabel. Ohne an meinem Worten zu zweifeln überließ er mir den Pinsel, und kurze Zeit später hörte ich ihn im oberen Teil des Hauses rumoren, er riss die Zwischenwände raus.

      Kinderstimmen erschallten auf der Straße, sie riefen einer weiter entfernten Frau etwas zu. Und dann standen sie hinter dem roten Gartentörchen. Vor mir entwickelte sich eine irische Postkarte. Zwei kleine rothaarige Jungs, sie trugen bunte T-Shirts und abgeschnittene Jeans, der kleine ging barfuß, der große trug löchrige Turnschuhe. Eingerahmt wurde das Bild durch die grüne Hecke. Sie sagten nichts, schauten nur zu mir hinüber. Ich zeigte mit dem Finger auf die offene Haustür die Treppe hoch. Sie knallten das Törchen auf und rannten an mir vorbei ins Haus nach oben. Kurze Zeit später hörte man sie alle drei lachen und johlen.

      Ich stand im Vorgarten eines fremden Mannes, strich seine Fenster und hört ihn und zwei Kinder lachen. Wie oft hatte ich das gehört, es war nicht zu verhindern, mir liefen die Tränen übers Gesicht.

      "Hallo, hallo", die Stimme musste schon öfter gerufen haben, ich schaute nur kurz in ihre Richtung und zeigte wieder mit dem Finger zur offenen Haustür. So sah ich Anne das erste Mal, durch einen Tränenschleier sah ich eine junge, sehr schlanke, blasse Frau.

      In der Küche hielt ich mein Gesicht unter den kalten Wasserstrahl, und ich strich das letzte Fenster, als der Lärm verebbte und sie mit einem kurzen "Bye" das Haus verließen.

      "Fleißig", sagte er, ich mach' was zu essen." Er schaute mich prüfend an, sie hatte es ihm also erzählt.

      Nach dem Essen, er schob wieder seinen Stuhl zurück, sagte er nicht irgendetwas, nein, er fing an zu erzählen. Er erzählte mir von seinen Nachbarn, die dort oben hinter der Wegbiegung wohnten. Von den vier kleinen Kindern und von den Eltern. Wie schwer es für sie wäre, eine Arbeit zu finden, hier, so weit weg, ohne Auto. Er beschrieb mir das Haus, er beschrieb mir noch andere Häuser, die weit vom Wege ab im Moor standen. Außen sehen sie ja noch meist recht putzig aus, wenn sie weiß getüncht sind mit ihren bunten Fensterrahmen und Türen. Aber wohn‘ mal da drin, du bekommst Rheuma, Bronchitis und tausend andere böse Krankheiten. Fast jede Familie hat hier ein schweres Schicksal zu tragen. Die Männer kommen ja noch ab und zu aus dem