Sabina Ritterbach

das goldene Haus


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gibt ihren Geist auf. Er stapft durch die Küche, in der einen Hand hat er einen Sack mit bröseligem Torf, in der anderen Latten und Bretter, gespickt mit Nägeln. Seine schmutzigen Gummistiefel hinterlassen schwarze Ränder auf dem Küchen- und Flurboden. Auf dem gemusterten Wohnzimmerteppichboden verliert sich die Spur.

       Er legt die Bretter über die Sessellehnen und sägt sie dort in handliche Stücke. Und während ich die Betten überziehe, füllt sich das Haus mit beißendem Qualm. Ich laufe die Treppe hinunter, aus dem Wohnzimmer dringt Rauch, die Haustür steht sperrangelweit auf, und er steht im Vorgarten und sagt: "Schau, wie schön es aus unserem Kamin raucht."

       Ich sehe ihn an, und nun ist es, als nehme er mich das erste Mal wahr. Ich werden in den Arm genommen und festgehalten, und der "blaue Fuchs" riecht ebenso, wie ein blauer Fuchs riecht.

       Das Haus wird warm, der Kamin brennt, und es ist so, wie es sein soll. Die Betten sind noch ein wenig klamm, und ich bestehe darauf, meine Socken anzubehalten.

       "Pass auf, du wirst alt."

       "Ja, deshalb muss ich sie ja anbehalten!"

       Der wilde Kerl ist todmüde, er schaut mich ganz lieb aus umrandeten Augen an. Die Falten zwischen den Augen sind sehr tief, und trotz des Bartes sieht man die harten Kerben neben dem Mund. Mit dem Zeigefinger streiche ich über die Kerbe auf der Nasenwurzel und sage: "In drei Tagen ist die fort."

       Er lächelt, nimmt meinen freien Arm, schlingt ihn sich um den Nacken, und mit zwei kleinen Bewegungen hat er seine Lieblingsschlafstellung gefunden.

       Ich bin müde, aber ich kann noch nicht einschlafen, ich blicke durch das Fenster in den nachtdunklen Himmel und sehe die noch schwärzeren Äste der Tannen, die vom Wind hin und her bewegt werden. Als ich hier das erste Mal aufgetaucht bin, reichten die Tannenspitzen gerade bis zur unteren Fensterbrüstung, nun sind sie so groß, dass ich ihre Wipfel vom Fenster hier oben aus nicht sehen kann.

       Sein gleichmäßiger Atem und das krampfhafte Zucken in seiner rechten Hand zeigen mir an, dass er schläft. Es wird fast eine Stunde dauern, bis er sich von meinem Arm wälzt. Ich liege gern so, und ich bin froh, dass ich meinen Vorsatz, nie mehr mit ihm hierherzukommen, nicht übers Herz gebracht habe.

      Kapitel - Nachtgedanken

      Ich war eine Spinnerin, und es hat so lange gedauert, bis ich von meinen abenteuerlichen Träumen Abschied genommen habe. Ich habe lernen müssen, dass es - jedenfalls für mich - nicht die ewige, wahnsinnige, leidenschaftliche Liebe gibt. Die Liebe, die alles überdauert, die nie, nie endet. Meine Sehnsucht, dass es einmal jemanden geben würde. für den ich immer das Zentrum für alles sein würde. Diese übersteigerten Erwartungen hegte ich noch bis vor ein paar Jahren, bis mir bewusst wurde, dass ich vielleicht überhaupt nicht zentrumswürdig bin. Das Lächerliche daran ist, dass es Stunden gibt, da glaube ich immer noch daran, dass ich einfach einmalig bin und die anderen zu mickrig sind, um dies zu erkennen. Aber dieser Größenwahn entspringt eben dieser Sehnsucht nach Liebe. Einer dieser Träume fing vor einem Vierteljahrhundert an, denn da bin ich Manfred begegnet, Sonja, meine hübsche, selbstständige Tochter, ist nun fast so alt wie ich damals war. Ich war ein witziges, phantasievolles und begabtes Mädchen. Trotzdem scheu, ängstlich und eine noch immer gehorsame Tochter. Jeden zweiten Tag Telefonanrufe nach Hause, jeden Sonntag pünktlich zum gemeinsamen Mittagessen. Ich lebte selbständig in meiner winzigen Wohnung, hatte meine Arbeit, meine Freunde, und trotzdem war ich eigentlich noch nicht richtig von daheim ausgezogen.

      Meine beste Freundin Lilo hatte Geburtstag, und ich war zur Party geladen mit Freund. Es war da jemand, der sich sehr um mich bemühte, aber ich ging allein, ich wollte Gerd treffen, von dem ich wusste, dass er in Ellen verliebt war. Ich wollte lieber leiden als mit jemandem tanzen, an dem mir nichts lag. Bei einem der damals so üblichen und beliebten Partytänze, dem Schneeballtanz, knallte ich mit Manfred zusammen. Tränen schossen mir in die Augen, die Wimperntusche lief mir übers Gesicht, die Nase wurde rot, ich bekam eine Beule, mir wurde schwindlig. Gerd war vergessen, buchstäblich aus dem Kopf geschlagen. Manfred hatte auch eine Beule, aber er nahm mich Taumelnde in den Arm, besorgte mir einen Waschlappen mit Eis und blieb den ganzen Abend an meiner Seite, und ich lehnte mich an ihn. So blieb es.

      Er machte gerade seinen Doktor und hatte vor, die Universitätslaufbahn einzuschlagen. Ich erzählte ihm von meiner Arbeit in der Werbeagentur. Ein Jahr später waren wir verheiratet.

       Ich liege im Dunkeln in dem Haus in Irland und lächle, ich denke an meine Hochzeitsbilder, ich sehe die strahlende, triumphierende junge Frau vor mir. Mein Gott, wie entrüstet wäre sie gewesen, hätte ihr irgendjemand die heutige Situation orakelt. Ewige, leidenschaftliche Liebe forderte sie vom Leben.

      Manfred machte Karriere, ich bekam die Kinder. Unser Glück war vollkommen, eine Bilderbuchfamilie. Es ging uns wirklich gut. Durch Glück und Zufall bekam ich eine Stellung in einem Kreativzentrum, ich gab Kunst und Werken. Die Arbeit machte mir Freude. Manfred war unglaublich tüchtig, ehrgeizig und intelligent, und er ließ mich nie hängen, wenn ich ihn brauchte. Fürsorglich betreute er die Kinder und nahm mir später fast alle Elternbesprechungen in der Schule ab.

      Warum nur, warum denke ich an diese uralten Geschichten? Warum? Es ist vorbei, schon ewiglange vorbei, und ich war gescheitert. Zwei Jahre dachte ich damals, ich überlebe es nicht, ich konnte nicht begreifen, dass ich verlassen worden bin. Ich habe in mir gewühlt und gestochert, ich wollte meine Schuld finden. Aber wie bin und war ich wirklich? Hat man je die richtige Distanz zu sich selbst? Ich konnte Fakten aufzählen und Listen aufstellen. Und fand, ich stand nicht schlecht da. Ich fand keine Schuld, ich fand eine gut funktionierende Frau.

      Das war damals, und wie ist es heute? Ich lächle in die Dunkelheit. Also, ich finde mich echt gut. Natürlich bin ich älter geworden, und an schlechten Tagen schaut mir schon mein Altersgesicht im Spiegel entgegen, aber ich habe mir auch mein Mädchengesicht bewahrt. Ich bin mir ähnlich geblieben. "Verdammt", sage ich leise, schon wieder bin ich dabei, meine Vorzüge aufzulisten. Und ich weiß genau warum! Ich fürchte mich, weiter zu denken, weil der Boden unter meinen Füßen wankt, weil ich Angst habe, erneut verlassen zu werden. Weil ohne seine Aufmerksamkeit, ohne seinen Blick so wenig von mir übrigbleiben wird. Weil ich alt werde. Ich werden zwar Mutter bleiben und hoffe, irgendwann auch Großmutter zu werden, auch Schwester und Freundin werde ich bleiben, aber ich werde nie wieder eine Geliebte sein. Ich will seinen Kopf auf meiner Schulter spüren. Und im Halbschlaf werde ich wieder das kleine Mädchen, dass die Fugen des Pflasters nicht berühren darf, weil sonst Unglück über es kommt. Und im Traum wandle ich durchs Moor zum EIbenstein und lege vertrauensvoll die Stirn an ihn.

      Kapitel - Irland2

       Beruhigt höre ich am nächsten Morgen gewohnte Geräusche. Erst rasselt und pfeift die Heizung, dann knacken die Heizkörper, und ich weiß, in einer halben Stunde wird es schon recht angenehm im Haus sein. Er rumort in der Küche, es riecht schon nach Eiern und Speck. Ich höre die Kinder auf dem Weg vor dem Haus. Ich höre sie schon aus einiger Entfernung, ihre halblaute Unterhaltung, ich höre, wie sie plötzlich anfangen zu rennen, weil sie das Auto entdeckt haben. Sie stehen einen Augenblick unentschlossen vor dem Gartentörchen, ich spüre, wie ihre Augen die Fenster abtasten, und ich höre, wie sie sich wieder in Bewegung setzen. Sie müssen zur Schule. Am Nachmittag werden sie wieder zurück sein, sie werden ungeduldig den Türklopfer in Bewegung setzen und dann Hand in Hand total schüchtern und ängstlich, aber auch freudig vor der Tür stehen.

       Sie lieben ihn, mich mögen sie. Sie lieben ihn nicht nur, weil er Coca-Cola im Kühlschrank hat. Er hat eine so merkwürdige Art, mit ihnen umzugehen. Er rollt die Augen, macht grässliche Geräusche, pufft sie derb in die Rippen. Die Schuhe werden geklaut, es wird an ihren Haaren gezupft, und mit einem Ruck zieht er ihnen die Mütze über die Augen. Paddy starrt ihn dann wie ein Fabeltier an und vergisst vor Begeisterung, weitere Kekse in seinen Mund zu stopfen. Die Augen niedergeschlagen, den Mund zu einem