Sabina Ritterbach

das goldene Haus


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irischer Regen, dies war ein Unwetter. Als es nach Ewigkeiten anfing, normal zu schütten, startete ich den Wagen, schob mich vom weichen Straßenrand auf die Fahrbahn und fuhr im Schritttempo, das Gesicht ganz nah an der Windschutzscheibe, durch den Straßenfluss. Ich erahnte einen Wald und eine Kreuzung, Wegweiser waren nicht erkennbar, und ich entschloss mich, in die nächstgrößere Straße einzubiegen. Als nach einigen Meilen schemenhaft Häuser in meinem Scheinwerferlicht auftauchten, gaben die Scheibenwischer mit einem langgezogenen Quietschen ihren Geist auf. Idiotisch drehte ich am Schalter, klopfte an die Scheibe, keine Wirkung. Nach kurzer Überlegung verließ ich das Auto und versuchte nun, von außen durch Hin- und Herschieben die Sache wieder in Gang zu bringen. Mittlerweile war ich klatschnass. Das Wasser lief mir den Rücken hinunter, mein Baumwollkleid klebte an meinem Körper, die Haare hingen mir in die Augen. Natürlich tat sich nichts, die Scheibenwischer rührten sich nicht. Ich war ganz schön verzweifelt und fing an zu frieren, aber auf dem Rücksitz lag eine trockene Strickjacke, ich zog sie an, fuhr im Schritttempo durch den Ort und sah voller Freude die Guinness-Reklame. Durch den Regen lief ich auf den erleuchteten Eingang zu, schlüpfte durch die Tür und befand mich in einer lärmerfüllten Geisterhöhle. Neben der Tür stand der einzige freie Barhocker, ich setzte mich und versuchte, meine Augen an den Rauch und die trübe Beleuchtung zu gewöhnen. Kein Mensch nahm Notiz von mir, alle redeten miteinander. Die Sicht auf das Geschehen in der Bar wurde mir durch den breiten Rücken eines knochigen Mannes genommen. Der Wirt war sehr beschäftigt, aber ein junges Mädchen brachte den von mir bestellten Whisky.

      Da hörte ich leise angezupfte Gitarrenklänge, das Lied schien sehr bekannt, denn es ging ein zufriedenes Raunen durch den Raum; der Geräuschpegel sackte ab, noch ein paar Akkorde und dann sang eine mehlige, tiefe Frauenstimme ein Lied. den Refrain konnten alle. Strophe um Strophe sang die Frau, die letzte wurde von allen mitgesungen. Der Mann mit dem breiten Rücken drehte sich mir zu und lächelte, laut rief er nach einem neuen Pint, und als der Wirt es ihm brachte, wollte ich schnell die Gelegenheit nutzen und ihn nach einer Übernachtungsmöglichkeit fragen. Nach dem Gesang war es laut wie zuvor, und ich musste meine Bitte ziemlich brüllen. Der Wirt bekam ein halbes Dutzend Bestellungen gleichzeitig, er rief: "Einen Moment!" und verschwand hinter dem Bierhahn.

      Mein Nachbar wandte sich mir wieder zu, und es ging das ewig gleiche Spiel der Fragen los, ob ich aus Deutschland käme, ob ich holidays machen würde und ob mir Irland gefallen würde, und, und, und ... Ich gab auf alle Fragen Antwort, und weil ich so freundlich war oder nur so mitgenommen aussah, sagte er fast geheimnisvoll, hier im Pub wäre ein Deutscher, der könne mir vielleicht helfen. Der Mann verließ seinen Platz, schob sich durch die Menge ins Zentrum des Gesangs und des Lärms. Nun hatte ich freie Sicht auf ein tolles Menschengemisch, viele junge und alte Männer, aber auch Frauen und Mädchen, sie taten alle etwas gemeinsam, sie rauchten um die Wette. Ich hörte wieder die Gitarre, erst leise, dann lauter, einige Melodien wurden angespielt, bei einer ging Begeisterung und Zustimmung durch den Raum. Es wurde fast still, und die Frau sang wieder. Der große Mann kehrte zurück und drängte sich wieder an seinen Platz.

      "Warte, er kommt gleich." Das Gleich dauerte etwas länger, dann kämpfte sich ein Mann durch die Menschen, sie hielten ihn fest, redeten mit ihm und klopften ihm auf Schulter und Rücken. Mein Nachbar zeigte mit dem Daumen auf mich, und er kam zu mir. Während er sich den Weg bahnte, hatte ich ihn mir schon angeschaut: Schulterlanges, dunkles Haar, ein kurzer, struppiger Bart, sehr kühle blaue Augen.

      "Was ist los?", das kam kurz und ungehalten. Ich fing sofort mit stotternden Entschuldigungen an, der Regen, das Unwetter, die Dunkelheit.

      "Na und", kam es ungeduldig, da hatte ich nur noch den Wunsch, den Kopf auf die Theke zu legen und zu weinen, ich sah den Raum durch Tränen und konnte nicht mehr reden. Da hörte ich ganz freundlich seine tiefe Stimme: "Trink einen Schluck, und dann der Reihe nach."

      Er muss wohl gemerkt haben, wie sehr ich am Ende war. Später allerdings sagte er, er hätte Angst vor einem Schreikrampf gehabt, ich hätte übel ausgesehen.

      Ich bemühte mich, kurz meine Lage zu schildern, er unterbrach mich und sagte: "Die Karre ist verreckt, und zu pennen hast du auch nichts."

      Ich nickte, so wars. "Also hier im Ort gibts weder ein Hotel noch eine Werkstatt, aber ...", er zögerte einen Lidschlag, "ich habt ein Haus, mehr eine Baustelle, Matratzen und Zimmer sind genug vorhanden, um das Auto kümmern wir uns morgen. Das Problem, der Laden macht frühestens in einer halben Stunde dicht, anschließend muss ich die Bande nach Hause fahren. Du musst also eine Zeit hier und später in Deinem Auto auf mich warten. OK?"

      In dem Laden war meiner Ansicht nach kaum einer mehr nüchtern, und hinten, wo ich keine Einsicht hatte, war der Teufel los. Ein richtiger Gesang kam nicht mehr zustande, eine dunkle Männerstimme sang einige Liedfetzen, wurde aber ständig unterbrochen. Die Gitarre jedoch war leise zu hören.

      Es war so, wie er gesagt hatte, irgendwann verließen alle den Pub, und ich setzte mich wartend ins Auto. Ich zog meinen Rock über die kalten Füße, steckte meine Hände in die Jackenärmel und döste vor mich hin. "Ein merkwürdiger Typ", dachte ich. Hauptsache ist, er hat ein Bett für mich. Ich legte den Kopf nach hinten und schloss die Augen.

      "Come on, gib den Koffer, die Tasche, auf gehts."

      Ich kletterte neben ihn in den weißen VW-Bully. Der Wagen sauste los, ein Geschoss, ich suchte Halt in der Schlaufe neben der Tür.

      "Angst? Entspannt dich, wir sind gleich da."

      In einer scharfen Kurve dachte ich, mein letztes Stündlein hätte geschlagen, wir kippten, aber der Wagen fing sich, schwebte nach einer Bodenwelle in der Luft, kam auf alle vier Räder, sauste noch ein paar Meter und stand mit einem Ruck. Das Lenkrad wurde heftig gedreht, und ab gings rückwärts in die Einfahrt. Nun standen wir endgültig, denn der Schlüssel wurde mit einem Ruck aus dem Lenkradschloss gerissen. Mit ebensolcher Heftigkeit riss er die Gepäckstücke an sich und trabte auf die erleuchtete Haustür zu. Ich raffte nur meinen kleinen Rucksack und hielt mich dicht hinter ihm. Die Haustür wurde aufgeschlossen und mit einem Fußtritt weit geöffnet. Dann ging alles ziemlich flott. Ein winziges Zimmer, ein großes Bett. Er half mir beim Bettenbeziehen. Eine Minute im Bad, ich fühlte mich schon geduscht, ich hörte von irgendwoher ein tiefes "Gute Nacht" und fiel ins Bett.

      In dieser Nacht bin ich kein einziges Mal aufgewacht, und als ich durch ein Geräusch geweckt wurde, kam ich wie aus tiefster Bewusstlosigkeit zu mir.

      "Frühstück!" wurde gerufen.

      Schnell anziehen, hinterher Toilette. In meinem schwarzen Fransenrock und meiner naturfarbenen Lieblingsbluse hoffte ich Sicherheit auszustrahlen. Meinen Haaren hatte der Regen gutgetan, sie sahen hübsch aus, und so sah ich dem Frühstück einigermaßen gelassen entgegen.

      Er stand mitten im Wohnzimmer und wartete auf mich. Der Hausherr trug eine Jogginghose und ein Unterhemd. Die Haare struppig, die Augen blitzten.

      "Aha, so also siehst Du aus, das konnte man gestern Abend nicht ahnen", und zack saß er am Frühstückstisch und fiel über das Essen her. Nichts konnte ihn ablenken. Er aß wie er Auto fuhr. Verrückt!

       So, nun noch die eine Kurve, die beiden Bodenwellen, stopp, in den Rückwärtsgang hinein, dann Millimeterarbeit in völliger Dunkelheit, wir stehen in der Einfahrt, wir sind daheim. Kein Rauch aus dem Schornstein, kein Flur-, kein Türlicht. Der Schlüssel knackt im Schloss, die Tür schabt über den Boden, das Haus ist kalt. Anne ist nicht mehr da. So gibt es keine Umarmung, wir haben zu tun! Sonst betraten wir das erleuchtete Haus, die Heizung war in Betrieb, im Kamin flackerte ein Feuer, wir ließen unsere Sachen fallen und fielen uns in die Arme.

       Wir bringen die Verpflegungskisten in die Küche und stellen den Schalter der Zentralheizung an. Sie nimmt ihre Arbeit mit den schrecklich rasselnden Geräuschen eines Bronchitikers auf. Wir hieven die Koffer die Treppe hoch, und er hat schon seinen "blauen Fuchs" an, diesen dunkelfarbenen Parka mit dem orangen Innenfutter und dem falschen Pelz um die Kapuze. Immer wenn er um das Haus herum werkelt, hat er dieses Kleidungsstück an. Der "blaue Fuchs" hängt neben der Treppe und ist seine irische Haut.

       Der Kamin ist wichtig, erst wenn das Feuer in ihm brennt, der Tee auf dem kleinen Kacheltisch steht,