Sabina Ritterbach

das goldene Haus


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"Berühre und küsse mich nicht in ihrem Beisein, glaube mir, sie leidet." Einmal als er liebevoll den Arm um mich legte, sah ich, wie sie ihr Gesicht verlegen und schmerzlich verzog. Sie wollte in seine Arme. Sie will in seine Arme und wird nur gezupft, deshalb kann sie mich nur mit Vorbehalt mögen.

       Ich bin die Hüterin der Gummibärchen, ich habe begehrenswerte Dinge in meinem Koffer. Ich besteche also, flechte Zöpfe in die Haare und verziere sie mit Bändern, ich zupfe nicht.

       Paddy ist fünf, Alice zehn oder elf Jahre. Alice ist das Elfenkind mit den vielen Gesichtern. Sie ist dünn, blass, fast durchsichtig. Sie sieht oft krank aus. Ein Reifen hält das lange blonde Haar aus der hohen Stirn, blaue Adern durchziehen die Schläfen, dunkle Schatten unter den großen hellblauen Augen. Der Mund eines Kobolds, ein schmaler Strich, den sie in ungeahnte Längen verziehen kann. Sie war schon oft mein Modell, dann saß sie stolz und verlegen, den Mund fest in den Winkeln eingekniffen, damit das wohlgefällige Grinsen nicht zu breit ausfiel. Aus den Augenwinkeln oft kleine triumphierende Blicke zu ihrem kauenden Bruder. Stolz, dass sie das beachtete Objekt war, nicht er. Anfangs sitzt sie steif und gerade, nie würde sie wagen sich zu entfernen, aber je länger sie sitzt, je entspannter sie wird, desto mehr verändert sich dieses kleine Mädchen. Dann fällt es mir schwer, sie anzusehen. Das letzte Mal, als ich sie zeichnete, war es schon dämmrig, die Schatten verwischten sich, mir gegenüber saß eine fast leere Schuluniform, der helle, zu groß wirkende Kopf, die dunklen Augen und der so trostlos verzogene Mund - ich hätte weinen können, sie war nicht jünger als tausend Jahre.

       Paddy, das Sonnenkind, er ist ein Spaßmacher, nur ruhig, ernst und konzentriert, wenn er Keks isst. Er ist ein Clown, aber kein Kobold, er ist rund, lustig, unkompliziert.

       "Paddy, sing ein Lied", und Paddy singt, und damit es nicht langweilig wird, tanzt er, und damit dies nicht langweilig wird, kugelt er sich über den Boden. Er hat dichte dunkle Locken und mit seinen runden Ärmchen und Beinchen noch ein wenig von einem Baby.

       Heute Nachmittag werden die beiden vor unserer Tür stehen, sie werden uns besuchen, und Anne, ihre Mutter, wird nicht oben in der Küche auf sie warten.

      „Frühstuck!“

       Oh Gott, was für eine Hetze, ich reiße mich von meinen Gedanken los, springe aus dem Bett, ab ins Bad. Ich kann es mir gar nicht mehr leisten, im Rohzustand ans Tageslicht zu kommen also Minimalrestauration. Gesicht waschen, matte Entfaltungscreme, Augentropfen, Haare hochwursteln, ein Griff zur grünen Kette. Ich springe die Treppe hinunter, da sitzt er im Rohzustand. Wie immer reizt mich der Anblick zum Lachen. Kein Kamm hat sein Haar berührt, und sein Gesicht schläft noch. Aber das Frühstück ist perfekt, es gibt alles, was ich sonst nicht essen würde, Spiegeleier, Zwiebelringe, Tomaten, diese widerlichen kleinen Würstchen und zusammengekrunkelten Speck. Natürlich Toast und bernsteinfarbene Orangenmarmelade. Der Tee dampft in meiner Tasse, die Brandenburgischen Konzerte erfüllen den Raum. Ich gehe zu ihm, meine Hände gleiten am Halsausschnitt vorbei auf seine Brust, ich drücke mein Gesicht in sein Haar und berühre sein Gesicht, und während er sich kurz kauend an mich lehnt, sage ich "Guten Morgen."

      Wie oft habe ich hier schon so gesessen? Grob überschlagen vierzehnmal, zehn und ein paar Sommerfrühstücke. Das Lachen über seinen Anblick steckte mir schon beim allerersten Frühstück in der Kehle. Er aß damals wie heute sehr schnell und nicht viel, und ich kannte ihn doch noch nicht und war entsetzt, als er mit einem Ruck den Teller von sich schob, denn ich war grässlich hungrig, und ich musste mich zwingen, ruhig weiter zu essen. Das war nicht einfach, friedlich vor sich hin zu kauen, den Tee anmutig zu trinken, ohne sich ihn über die Bluse zu schütten, während er dasaß und mir bei jeder Bewegung zusah. Ich war noch nie von einem Fremden so ohne Deckung angestarrt worden. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und sagte: "Wenn du fertig bist, schauen wir nach deiner Karre."

      "Ich brauche noch fünf Minuten, bitte!"

      "Mach nur."

      Er stand auf, raffte mit einer schnellen Bewegung den Hauptteil des Frühstücksgeschirrs zusammen und ging nach hinten, wo die Küche zu sein schien.

      "Fertig?" Er war schon an der Haustür. ich ließ alles stehen und liegen und lief ihm nach. Warmer Sonnenschein umfing mich, nur ganz kurz schaute ich mich um und ahnte, es muss wunderbar sein. Da wurde gehupt, und ich kletterte in den Bully.

      "Weißt du eigentlich, wie spät es ist? Mittag!" Ich konnte es kaum glauben, Mittag, die Sonne stand hoch am Himmel.

      Durch seine Gegenwart fühlte ich mich sehr gehemmt, konnte aber Entzückungsrufe beim Anblick des Sees nicht unterdrücken. Er nickte wohlgefällig, gab Gas und augenblicklich befand ich mich auf der Achterbahn, und wieder krallte ich mich am Sitz fest.

      Der Weg zum Pub und somit zu meiner "Karre" war kürzer, als ich es die Nacht zuvor empfunden hatte.

      "Schlüssel!"

      Er hielt mir die geöffnete Hand hin, gehorsam übergab ich ihm das Geforderte. Kaum war ich ausgestiegen, saß er schon in meinem Auto und versuchte, es zu starten. Kein Ton. Er versuchte es aufs Neue.

      "Wie hast du es denn bis hierher geschafft?"

      Ich konnte nur mit den Schultern zucken. Er sprang aus dem Wagen und riss die Motorhaube auf. Auf einem Mauervorsprung am Pub-Eingang genoss ich die Sonne, jetzt konnte ich ihn das erste Mal genauer beobachten, ohne sofort von seinen coolen blauen Augen angegriffen zu werden. Viel war allerdings im Moment nicht sichtbar, da sein Oberkörper fast immer unter der Motorhaube steckte. Ich amüsierte mich, als ich ihn so hin und her wieseln sah, denn ich dachte an mein Schönheitsnotprogramm, und wie sehr ich mich gehetzt hatte, er hatte nur seine zehn Finger nach dem Frühstück betätigt.

      Nun tauchte er in ganzer Größe auf und knallte die Motorhaube zu.

      "Da kann ich nichts machen, bei der Elektrik streike ich, da bin ich nicht gut, sonst schon." Den Nachsatz konnte er sich nicht verkneifen.

      "Es ist Samstag, die Werkstatt hat geschlossen, das kommt davon, wenn man bis mittags schläft."

      Ich war entsetzt, nun saß ich hier fest. Der Himmel war blau, die Sonne schien, aber es interessierte mich nicht. Da schallte es laut aus dem Bully: "Willst du hier Wurzeln schlagen?" Oh Gott, was für ein Typ!

      Er grinste fröhlich, als ich neben ihm im Bus saß. Ich schaute nicht auf den See, ich dachte nach, ich musste ein Hotel finden, und ich wollte ihn fragen, was ich ihm für sein „Bed and Breakfast“ schuldete. Bisher hatte ich ihn noch nie angesprochen, ich hatte Probleme mit dem "Du". Der Wagen hielt vorm Haus, und er sagte gutgelaunt: "Eva, ich mache neuen Tee, willst du auch einen?" Er sagte "Eva", und ich schaute ihn entgeistert an.

      "Ha, ich bin Detektiv, ich habe den Namen schon gestern Abend auf dem Kofferschild gelesen."

      "Also Emil", sagte ich. Er stutzte einen Lidschlag und rief begeistert: "Nicht schlecht, nicht schlecht." Er hielt mir die Hand entgegen, ich ergriff sie, er schüttelte sie fast förmlich und hielt mir dann seine ölverschmierte Handfläche vors Gesicht. Ich sah meine Hand an, und wir lachten, wir standen in der Sonne und lachten, der erste Bann war gebrochen, und dies tat gut. Eigentlich hatte ich keinen anderen Wunsch, ich wollte in der Sonne stehen und lachen.

      Vor der Haustür standen ein kleiner Tisch und zwei Stühle, ich folgte den Geräuschen und fand den Hausherrn in einer selten hässlichen, unordentlichen Küche. Das Teewasser summte. Auf dem Tisch standen schon die Tassen, ich öffnete eine Schublade und fand die Löffel und im Kühlschrank eine einsame Milchflasche. Ich stellte alles aufs Tablett und ging hinaus, und er kam mit dem Tee, Keksen und einer halbvollen Flasche Whisky.

      Er hob die Flasche und sagte: "Das habt ich doch verdient, außerdem ist es schon Nachmittag." Der Sinn dieses Satzes blieb mir verborgen. Er streckte sich, machte die Beine lang, grunzte zufrieden und klappte die Augen zu. Einerseits war ich froh, dass er diese beunruhigenden Dinger geschlossen hatte, andererseits hatte ich doch ernste Probleme, die ich besprochen haben wollte, aber wie spricht man mit jemandem, der die Augen fest zuhält. Jedenfalls konnte ich ihn mir so ein wenig genauer anschauen. Ich war auf der Hut, denn jeden Moment