Sabina Ritterbach

das goldene Haus


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Auto, da sind die Dünen, die schrägen Striche das sind die Klippen, und die Sommersprossen überall das ist Moor, ich falle um vor Hunger!"

      Für mich begann der Kampf mit der Karte mit all ihren Falten und Knicken, er kam mit einem Topf und Brot herein, sah mein Unvermögen, nahm mir die Karte ab, und ich konnte gar nicht so schnell gucken, schon lag sie hübsch ordentlich auf dem Sofa.

      Die Suppe schmeckte wunderbar, und ich sagte es auch.

      "Ich koche gern. Was machst du eigentlich in Irland, was hast du für Pläne?"

      Dieser Themenwechsel verwirrte mich, ich genoss noch die Suppe und hatte gerade ins Brot gebissen. Mit vollem Mund spricht man nicht, ich kaute langsam, ich brauchte Zeit für die nicht sehr erschöpfende Antwort.

      "Ich mache hier Ferien, ich wollte überall ein wenig bleiben und langsam die Küste runterfahren."

      "Warum bist du allein unterwegs?"

      Wäre ich auf diesen direkten Satz vorbereitet gewesen, wäre ich sehr kühl und reserviert geworden. So aber war es wie ein Schlag, und ich hatte das Gefühl, als entgleisten mir meine Gesichtszüge. "Entschuldigung."

      Ein betretenes Schweigen herrschte zwischen uns, es war mir peinlich, und mit leiser, zugeschnürter Stimme sagte ich: "Ich bin seit zwei Monaten geschieden."

      Es war das erste Mal, dass ich dies laut aussprach, und wie ein Echo schallte es in meinem Kopf, geschieden, geschieden.

      "Sorry."

      Ich lächelte matt. "Ich muss mich erst noch daran gewöhnen." Er stand auf, holte zwei Gläser und seine Whiskyflasche, schüttete in beide Gläser einen tüchtigen Schluck. "Da, du, manchmal hilfts. Spülen wir‘s runter."

      Es tat wirklich gut. Es war Dämmerung, er zündete sich eine Zigarette an, und im Aufflammen des Feuerzeugs sah ich, dass sein Haar frisch gewaschen in prächtiger Mähne um den Kopf stand. Keiner sprach, ich hielt mich am Glas fest und nahm ab und zu einen kleinen Schluck. Nichts war peinlich, nichts bedrückend, es ging mir gut.

      Er wollte den Tisch abräumen, aber ich bat: "Bitte nicht, ich muss endlich mit dem Abarbeiten beginnen, ich bin schon weit im Hintertreffen."

      "Ok"

      Er berührte leicht meine Schulter, wünschte mir noch einen schönen Abend und gute Nacht und verließ das Haus. Wie getreten brüllte der Bus. Eine Weile blieb ich noch ruhig sitzen, dann machte ich mich auf ins Schlachtfeld Küche. Ich hatte zu tun, ich hatte echt zu tun, und es dauerte lange, bis ich alle Töpfe, Teller, Bestecke und Pfannen in den Schränken hatte. Selbst nach der Säuberung blieb die Küche hässlich.

      Ich war müde, und im Bett dachte ich, dass ich morgen Vormittag die Kinder anrufen durfte. So war es verabredet, ich hatte große Sehnsucht nach ihnen, und mit den Gedanken an sie schlief ich ein.

      Sonntagmorgenstille, ich nahm mir Zeit im Bad, und als ich fertig angezogen in den Flur trat, stand die rote Haustür auf, und im Vorgarten wartete der Frühstückstisch auf mich.

      Er war hinter meiner Wanderkarte versteckt.

      "Guten Morgen, schönes Wetter, man kann baden, ich zeigt dir die schönste Bucht."

      "Sehr schön, aber erst möchte ich dringend telefonieren, wo kann ich das?"

      "Gleich oben im Dorf neben dem Laden, du warst schon dort, dort steht die Telefonzelle, kommst du zurecht? Du musst das Gespräch anmelden, es gibt keine Wählscheibe, dreh an der Kurbel, meldet sich das Amt, sag deine Nummer, und wenn der Teilnehmer sich meldet, musst du anfangen, das Geld hineinzuwerfen. Kapiert?", und dann wie mein Vater, "hast du genug Münzen, und mach dir Brote für den Strand." Er redete mit mir wie mit einem Kind, und es amüsierte mich, gleichzeitig war ich froh über alle Informationen. Ich packte Picknick, Badesachen, Buch, eine Strohmatte bekam ich auch, und zog ab.

      Auf dem Weg dachte ich an meine Beiden, ich hoffte so sehr, dass es ihnen gut ginge, dass sie glücklich wären. Da stand das Telefonhäuschen, schief nach vorn gekippt, im Boden eingesunken. Sprossenfenster, hellblau-weiß, und über der Tür auf gälisch "Telefon".

      Unzählige Male war dieses Telefonhäuschen mein Ziel, unzählige Male hörte ich dort ihr "Hallo Mama". Ich liebte dieses kleine blauweiße Häuschen, Jahre später bekam es eine ordentliche Wählscheibe, die Kurbel war verschwunden.

      Seit dem letzten Jahr hasse ich dieses Häuschen, und ich habe allen Grund dazu.

      Und schon wieder kehrten meine Gedanken zum vergangenen Jahr zurück, zu diesem einsamen Urlaub, ich sehe uns von unserem "Schlechtwetterspaziergang" zurückkehren. Im Pub an der Kreuzung sollte das letzte Guinness getrunken werden. Es waren mehrere Männer an der Theke. Der Wirt mit seinem mönchisch-asketischen Aussehen war erfreut, uns zu sehen. "Ein Pint, ein Glas." Er wusste Bescheid. Es kostete mich Überwindung, dieses kalte Zeug am späten Nachmittag in mich hineinzuschütten. Aber, was sein muss, muss sein. Die Unterhaltung war allgemein und munter, und nach dem zweiten Glas war ich froh, hier gelandet zu sein. Das dritte Glas wurde mir von einem Gast spendiert, ich flüsterte: "Oh Graus", und er sagte: "Sei tapfer, heb es hoch und lächle." Ich bekam einen Schwips. Ich wollte, dass er mich ansah, ich wollte ihn an diesem letzten Abend für mich gewinnen, mir fiel in diesem Augenblick nicht auf, dass ich diese Situation schon einmal durchlebt hatte.

      Die Konturen verwischten sich, meine Hemmungen und meine gute Erziehung schrumpften zu einem Nichts, ich rutschte mit meinem Barhocker näher an ihn heran, lehnte meinen Kopf an seine Schulter und machte in aller Öffentlichkeit aus meiner Zuneigung zu ihm keinen Hehl. Noch mehr, ich machte ihm eindeutige Angebote. Ich nahm seine Hand und sagte zärtlich: "Komm, lass uns gehen." Er schob meine Hand fort und sagte: "Geh schon mal vor, ich trinkt noch eins, und dann muss ich noch telefonieren."

      Ich rutschte vom Hocker, winkte und verließ den Raum. Es war dunkel, über mir funkelten ein paar Sterne, und vor mir stand die erleuchtete Telefonzelle. Noch ein Pint, dann würde er in seiner typisch gebückten Haltung dort drinstehen und mir ihr sprechen und lachen. Ich lief die dunkle Felsenstraße entlang, bog in unseren Weg und sang, sang, bis ich unsere Haustür erreichte.

      Ich stand ratlos in der Zelle. Schon mehrere Male hatte ich die Kurbel betätigt, ein durchdringendes Pfeifen, manchmal Sprachfetzen, mehr hatte ich nicht zustande gebracht. Ich versuchte es immer wieder, denn ganz weit weg in Italien warteten zwei Kinder auf meinen Anruf. Ich stand in der schiefen Zelle und war traurig.

      Oh, ein wohlbekanntes Geräusch, der Bully stoppte, er sprang heraus und riss die Tür auf.

      "Klappt nicht, was?"

      Er nahm mir den Zettel mit der Nummer aus der Hand und fing an zu kurbeln, gleichzeitig traktierte er den Apparat mit einigen Faustschlägen. "Na, wer sagts denn!" Er gab die Nummer durch und wartete. Die Kabine war eng und niedrig, und er musste sich ein wenig bücken. Es wurde mir bewusst, wie eng wir zusammenstanden. Sein Haar roch nach Kneipe und abgestandenem Rauch. Er lauschte aufmerksam, drückte mir den Hörer in die Hand, gleichzeitig verließ er die Kabine.

      Das Hotel meldete sich, und vor meinem geistigen Auge sah ich, wie Sonja dem Mann an der Rezeption den Hörer aus der Hand riss.

      "Mama", hörte ich sie so entsetzlich weit fort von mir. "Ja, der Stefan steht neben mir, es geht uns gut, und dir, Mama? Der Stefan hat gekotzt, nein, wirklich nicht schlimm.

      Das Wetter wäre schön, sie hätten schon Freunde, es ginge ihnen gut.

      "Rufst du uns in drei Tagen wieder an? Prima!"

      Ich hielt den Hörer noch an mein Ohr gepresst, als das Gespräch schon beendet war, ich blickte durch die Scheibe auf das Stück Meer, das zwischen Felswand und Haus sichtbar war. Ich hatte so viel an sie gedacht, ich hatte Sehnsucht nach ihnen, und was sagt man: "Das Wetter ist schön", aber es zählt nur ein Satz: "Es geht uns gut."

      Er lehnte lässig am Bus.

      "Vielen, vielen Dank für die Rettung." Ich hoffte, er würde meine Dankbarkeit spüren.

      "Steig ein, ich fahr dich zum Strand."

      Wir fuhren durch die Dünen,