Sabina Ritterbach

das goldene Haus


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bist du begeistert von dem, was du siehst?"

      Gott, war mir das peinlich, ich hätte in den Boden sinken können. Er aber lachte, er lachte voller Schadenfreude, aber auch so herzlich, dass ich nicht anders konnte, ich musste mitlachen.

      Das war die Gelegenheit, ich fragte nach einem Hotel, und meine Schulden wollte ich auch am liebsten sofort begleichen. Natürlich, in der nächsten Stadt gäbe es ein Hotel, aber wie ich das mit dem Auto machen wollte, das wäre doch von dort aus, ein ziemlicher Umstand. Er jedenfalls hätte nichts dagegen, wenn ich bis Montag bliebe. Er hätte zu tun, abends ginge er fort und käme erst gegen Morgen zurück, das sage er nur, damit ich nicht vom Haustürgeräusch erschrecke. Eine lange Rede für seine Verhältnisse.

      "Und was bin ich schuldig?" Noch immer vermied ich jegliche Anrede.

      "Abarbeiten."

      Er war unkompliziert, freundlich und bissig.

      "Schau dir mal das Haus an, warte, ich komme mit."

      Das Wohnzimmer mit der verglasten vorgebauten Essecke kannte ich schon. Es gefiel mir. Die Möblierung war einfach, am Kamin ein Sofa und ein typisch irischer, großblumig gemusterter Teppichboden. Vom Wohnzimmer gings direkt in meine Schlafkoje, über den Flur zu seinem Zimmer. Wir ließen es geschlossen, hinten die Küche, oben die Baustelle und das Bad.

      "Schön", sagte ich.

      "Schön? Das soll erst schön werden, aber ich lasse mir Zeit, es hat keine Eile. Die Lage ist gut, das Haus liegt geschützt, das Meer ist ganz nah."

      "Wo", rief ich, "wo ist es?"

      "Gleich da drüben, du kannst es nicht sehen, da oben", und er zeigte mit dem Arm zur Straße, "es liegen die Felsen davor."

      "Mein See hinterm Haus mündet ins Meer, er hat Ebbe und Flut. Eine Rarität! Also, dir gefällt das Quartier, du bleibst."

      "Danke, sehr gern, was kann ich tun?"

      "Also, heute nichts, und morgen ist der Tag des Herrn, lass uns am Montag darüber reden. Ich muss was tun, schau dir die Umgebung an. Bis später."

      Ich fing mit der Erkundung gleich hinterm Haus an, ich wollte durchs Wäldchen zum See. Hilflos in Brombeerranken verfangen, die Füße im Matsch, war ich froh, ohne größere Schrammen da wieder herausgekommen zu sein. Ein neuer Versuch wurde gestartet, recht uncharmant überwand ich einen Graben, kämpfte mich durch hohen Farn, glitschte über feuchte Steine und Moos und stand dann zwischen Heidekraut und großen Steinen am Ufer. Ich drehte mich um, das Haus war ganz nahe, mit seinen vielen verschiedenen Anbauten glich es einem Schlösschen. Am gegenüberliegenden Ufer lag das Dorf und rechts von mir die Felsenstraße, die mir die Sicht aufs Meer nahm.

      Der See war braun und leicht gekräuselt, das hellgrüne Schilf bewegte sich und rauschte, und zu allem Überfluss glitten zwei Schwäne übers Wasser. Ein Motor brüllte auf, und als ich mich umdrehte, sah ich noch gerade den Herren des kleinen Schlösschens mit seinem Höllengefährt um die Ecke sausen.

      Ich machte mir Gedanken über meinen Wirt, versuchte vergeblich, sein Alter zu schätzen, stellte mir sein Gesicht vor, die merkwürdig intensiven Augen, die schweren Augenlider, die steile Falte zwischen den Brauen, der Mund, zu viel Bart, aber beim Lachen die fehlende Ecke am vorderen Schneidezahn. Er redete mit den Händen, große Gesten, auf dem Handrücken und sogar auf den Fingern braunes Fell.

      Was macht er hier, ob er wohl immer hier wohnt? Plötzlich war es mir gleichgültig, in eineinhalb Tagen bin ich fort, sagte ich mir.

      Die Strecke, die ich mir hierher so mühselig gebahnt hatte, musste ich nun wieder zurück. Ein Sprung über den Graben, ich war auf dem Weg. Ich ging die Felsenstraße zum Dorf, bog in eine schmale Nebenstraße, kleine Häuser, Kinder spielten auf der Straße, und die Hunde. Vor jedem Haus, in jedem Vorgarten lauerten sie auf mich. Mit lautem Gekläff rannten sie in den Gärten, bis sie von einer Mauer oder einem Zaun gestoppt wurden. Die anderen, die auf der Straße lagen oder saßen, beäugten mich schon von weitem, und wenn ich mich dann ihrem Territorium näherte, gings los. Mit wüstem Gebell sausten sie um mich herum, es dauerte eine Weile, bis ich merkte: laut aber harmlos.

      Vor den Häusern wurden Boote repariert, und einige Male musste ich bestätigen, dass das Wetter herrlich war und Donegal auch. Ziemlich unerwartet bogen zwei riesige Kühlwagen um die Ecke, sie nahmen die ganze Straße ein, ich dachte an die Kinder und Hunde auf dem Weg und warf mich nicht ins Gebüsch. Als Bojen, Reusen, Netze und eine Fischwolke mich umschlossen, ahnte ich den Hafen. Mehrere große Hallen. Ich sah durch die geöffneten Tore Männer, die Container voller Fische schoben. Auch auf dem Vorplatz standen Metallbehälter, darin glänzten Fische zwischen Eisbrocken. Nur zwei kleine Boote dümpelten im dunklen Wasser. Ich lief die Mole entlang, sie machte einen scharfen Bogen um einen Felsen, und wie durch Zauberhand waren die Hallen, die Container und auch der Geruch verschwunden. Schönheit und Stille umgaben mich.

      Durch die inselreiche, enge Hafeneinfahrt rollten die Wellen in sanften Bögen und klatschten sacht an die hohe Mauer. Blauer Himmel, blaues Meer, weiße Wolken, weiße Möwen. Versunken lehnte ich mich an die warmen Steine, ich dachte an nichts, ich fühlte nur. Dieser Weg und dieser Platz am Hafen wurde für alle Jahre unser "Schlechtwetterspaziergang".

      Vor einem Jahr, wir hatten schon die Koffer gepackt, das Haus war aufgeräumt, wir waren zur Abfahrt bereit, da hörte der Regen, der den ganzen Tag angehalten hatte, plötzlich auf. Wir schauten uns an, denn gleichzeitig hatten wir den Wunsch, lass uns zum Hafen gehen. Auf der Mole zerrte ein heftiger Wind an uns. Die Wolken jagten und türmten sich übereinander, düster, wild und grau.

      "Ich brauche einen kleinen blauen Fleck, etwas Helles, etwas, was mir Mut macht".

      Ich schwang mich auf die hohe Mauer, er stand leicht frierend vor mir. Da geschah es, ein gelber Streifen müder Wintersonne sandte seine Strahlen durch eine Wolkenritze und verwandelte alles in ein Caspar-David-Friedrich-Licht.

      "Sag etwas, was mir das Herz erwärmt", dachte ich, und er sagte: "Du bekommst einen nassen Hintern."

      Unser letzter Spaziergang in diesem Jahr, ich dachte an die vielen einsamen Stunden, die ich in diesem Urlaub neben ihm hergetrabt war. An Stunden, in denen er stumm, ohne sich nach mir umzuwenden, vor mir hergewandert war. Ich hatte den hellen Schein, das gute Omen bitter nötig.

      Ich zog ihn an den Schultern zu mir, legte meine Hand in die Wärme seines Nackens, er legte seine Stirn an meinen Anorak. Meine Finger streichelten die kleinen Locken an seinem Haaransatz, und ich versuchte, mir einzureden, dass alles gut wie immer sei.

      Irgendwann habe ich die Mole und das blauweiße Märchen verlassen. Im Dorf gab es einen Laden, in dem es Alles und Nichts gab. Ich fand Brot, Butter, Käse, Obst und Eier fürs Abendessen, ich dachte an den leeren Kühlschrank und kaufte noch einige Dinge. Schwer bepackt lief ich über die Felsenstraße bis zum Haus.

      Der Bus stand in der Einfahrt, er war da. Die Hintertür zur Küche stand offen, auf dem Herd kochte etwas gut Duftendes vor sich hin. Kein Geräusch. Ich öffnete den Kühlschrank, vollgestopft, als ob eine Jugendherberge verpflegt sein wollte. Die Küche sah aus, als wäre eine Bombe eingeschlagen, es gab keinen Zentimeter freien Platz, Überall türmte sich Geschirr, Pfannen und Töpfe. Ich schaffte mir eine Ecke für meine Einkäufe, da hörte ich Plätschern aus der Badestube über mir, und gleichzeitig schoss das Badewasser übers Küchendach am Fenster vorbei in den Garten.

      In Land- und Wanderkarten lese ich wie in einem Prospekt. Wo immer ich auch hinfahre, ich besorge mir eine gute Karte, und es macht mir Vergnügen, mir anhand der Karte eine Vorstellung von der dortigen Landschaft zu machen. Eine große Straßenkarte hatte ich mir schon zu Hause besorgt, aber die Wanderkarten von Donegal lagen noch ganz neu in meinem Rucksack. Die Karte bedeckte den Wohnzimmertisch, ich beugte mich über sie und fand den Ort, den Hafen. Ich fuhr mit dem Finger die Felsenstraße entlang, er betrat das Zimmer, und auch er beugte sich über die Karte und kam mir verdammt nahe, so nahe, dass ich seine Badelotion riechen konnte. Ich war befangen, umrundete mit dem Finger den See, und gleichzeitig trafen sich unsere Zeigefinger auf einem kleinen schwarzen Punkt.

      "Mein Haus", rief er, und ich zog meinen Finger