Sabina Ritterbach

das goldene Haus


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auf die weiße Bucht, das türkisfarbene Meer, die dunklen Felsen. Wir schauten uns an und lächelten.

      Ich lag auf der Strohmatte und hatte die geschützte Bucht für mich allein. Hinter dem Felsen war noch eine Bucht und dahinter noch eine, ich hätte sie alle haben können, niemand war sonst da. Der Sand rieselte durch meine Finger, ich hörte auf das Meer.

      Das Meer, das war so viele Jahre für mich Holland. Der alljährliche Familienurlaub. Sozusagen mit Kind und Kegel, mit meiner Schwester und ihrer Familie. Es war jeden Tag ein Aufstand, bis alle Schwimmflügel, Eimer und Schäufelchen, das Sonnenöl, der Windschutz, die Butterbrote, bis alles beisammen war, und wie Packesel schleppten wir uns dann mühsam durch den Sand. Alle ließen alles gleichzeitig fallen, ich räumte auf, ordnete das Chaos und schwor mir "nie wieder". War die Lage überschaubar, lag ich auf meiner Matte, schloss die Augen, hörte die Menschen lachen und quietschen und hörte die sich vor Freude überschlagenden Kinderstimmen, hörte das Meer, das beruhigende, ununterbrochene Anrauschen der Wellen und ließ den Sand durch meine Finger rieseln.

      Es gab keine Unordnung um mich, keine Sonnenölflecken, keine sandverklebten Sonnenbrillen, keine Federballschläger, keine Bälle, kein Lachen. Ich lag auf meiner Matte, der Wind war zart, die Sonne angenehm, ich ließ den Sand durch meine Finger rieseln und war unglücklich.

      Noch vor zwei Jahren schien die Welt für mich in Ordnung gewesen zu sein. Wir hatten ein Haus in Holland gemietet und bewohnten es mit dem ganzen Clan. Die Kinder waren zusammen untergebracht und hatten den größten Spaß miteinander. Gab es auch abends keine Ruhe und wurde der Krach zu penetrant, meinte Man­fred, dass es die reinste Erholung wohl diesmal nicht wäre. Er hatte ein langes, anstrengendes Semester hinter sich, er sah müde aus, und so fand ich es natürlich, wenn er abends längere Spaziergänge unternahm und betonte, er hielte es für nötig, allein zu sein.

      Ich machte mir Sorgen, ich beobachtete ihn, wie er grübelnd am Wasser saß und nicht ansprechbar im Liegestuhl lag. Sprach ich ihn an, war er lieb und aufmerksam, aber so, als hätte er sein Visier heruntergeklappt. Er war unruhig und telefonierte oft mit dem Institut, und dann verkündete er, er müsse mindestens für zwei Tage in die Uni, es gäbe Ärger, und er müsse klärend eingreifen. Er wurde allgemein bedauert. Werner meinte, es wäre eine Unverschämtheit, dass man ihn nicht einmal in den Ferien in Ruhe lassen würde. Am Abend war er munter und lustig, und wir spielten Doppelkopf bis tief in die Nacht. Als ich aus dem Bad kam, hatte er die Augen schon geschlossen, ich wusste, er schlief noch nicht, ich rückte auf seine Seite und legte meinen Arm um ihn. Ich fragte ihn, ob er es nicht auch herrlich fände, wenn wir nach diesem Familienurlaub noch zehn Tage ganz für uns allein hätten. Mit Gabi hätte ich schon gesprochen, sie nahm die Kinder, alles wäre in die Wege geleitet. Wir beide hätten den Urlaub nötig. Ich merkte, wie sich sein Körper versteifte, er schwieg. Ich knuffte ihn liebevoll.

      "Sag, was ist los, was spricht dagegen?" Nach längerer Pause sagte er ziemlich grob: "Bevor du alles arrangierst, hättest du mich fragen müssen. Ich kann im Augenblick nicht fort, außerdem war ich im vergangenen Jahr genug unterwegs."

      Das stimmte, doch diese Reisen waren beruflich, interessant, wichtig, aber was hatten sie mit uns persönlich zu tun?

      "Du", fing ich wieder an, "wir brauchen doch gar nicht weit zu verreisen, wie mieten uns einfach ein Appartement, von mir aus in der Eifel." Ich setzte langsam und betont hinzu: "Ich möchte mit dir zusammen sein."

      Schweigen. Ich knipste die Nachttischlampe an und drehte mich zu ihm. Ich stützte mich auf den Ellenbogen und versuchte, ihn anzuschauen. Er blickte durch die Zimmerdecke, durch das Dach in die Ferne.

      Ich legte meine Hand auf sein Gesicht und drehte es zu mir hin. Er schaute mich an, und in seinen Augen stand eine solche Qual, dass mein Lächeln erstarb. Ich dachte voller Panik: "Oh Gott, er ist schwerkrank", und meine Stimme bebte vor Angst, als ich flehend bat: "Bitte sag mir, was ist los?" Sekunden zauderte er noch und dann: "Ich habe mich in ein Mädchen verliebt." Im Moment war ich fast erleichtert. Dümmlich meinte ich: "Ja? Sehr schlimm?"

      "Nein, nein, nicht sehr schlimm, es wird sicher bald vorüber sein. Ich brauche ein wenig Zeit, um mit mir selbst klarzukommen."

      Und dann gab er mir noch den Rat, ich sollte mir um Gottes willen keine Sorgen machen und sein Geständnis überbewerten, er sage es mir nur, weil er ehrlich zu mir sein wolle. Mit diesen Worten schob er meine Hand weg und drehte sich von mir fort auf die andere Seite. Er hat sich nie wieder zu mir hingedreht.

      Der Sand war ganz warm unter meinen Fußsohlen, als ich Anlauf nahm und mit lautem Kreischen den Wellen entgegenlief. Ich schlug auf das Wasser, spritzte und hopste so lange, bis ich die Balance verlor und endgültig untertauchte. Nach dem ersten Schock wars wunderbar. Alle trüben Gedanken wurden aus dem Kopf geeist. Ich tobte stillvergnügt vor mich hin, still war es wohl nicht, denn von oben schallte eine tiefe Stimme: "Ganz schön laut, ein toller Lärm für ein einziges Mädchen!"

      "Ja, ja, ja", gröhlte ich und warf mich in die nächste Welle. "Du bist nur neidisch", schrie ich und bemerkte sofort, dass ich ihn das erste Mal direkt und mit "Du" angeredet hatte.

      "Ich widerstehe diesem Vergnügen, heldenhaft bleibe ich warm und trocken."

      Er wollte mir nur den Hausschlüssel bringen, falls ich vor ihm zu Hause wäre, und er warf ihn von oben auf meine Matte. Im gleichen Augenblick fluchte er, er hatte seinen Autoschlüssel geworfen. Während ich prustend aus dem Wasser kam und mich schnell in mein Strandlaken hüllte, betrat er die Bucht. Höflich entschuldigte er sich für die Störung, es war fast so, als hätte er unerlaubt mein Schlafzimmer betreten. Mein Buch lag auf der Matte, er nahm es und ließ sich in den Sand fallen.

      "Oh, ist das neu? Das kenn' ich noch nicht von ihm." Er blätterte eifrig, mal hier, mal da lesend. "Ist es gut?"

      "Ja."

      Und vor sich hin: "Ich mag die südamerikanische Literatur, diese ausufernde Fantasie, so üppig, die gehen mit Gott und allen Geistern um als wären sie unseresgleichen."

      Ich nickte und dachte: "Ich werden einen Teufel tun und dir erzählen, dass mein Verständnis für diese Art von Literatur das einzige ist, was mir von meinem Mann geblieben ist. Er war Experte auf diesem Gebiet."

      Er rollte sich auf den Bauch und begann zu lesen, es sah aus, als wolle er sich bei mir häuslich niederlassen. Ich rubbelte mich trocken, cremte mich ein, zog mein Kleid an, den Badeanzug darunter aus. Die Turnschuhe an lief ich über den Sand und hangelte mich vorsichtig die Klippen empor. Von oben sah ich hinunter, er las.

      Um die Steine weiche, dicke Moospolster, weiter weg Strandhafer und Gras, ein alter Mann weidete Kühe auf seinen Stock gestützt schaute er blicklos in die Ferne. Strand, Felsen und Dünen wechselten. Rauf und runter musste ich klettern, über kleine Abgründe hopsen und schaute über das vielfarbige Meer und die Inselchen, die vor diesen wildzerklüfteten Küsten lagen. Tief im Innern des Landes der helle Kegelberg vor rotbraunem Moor. Ich fotografierte alles in meinem Kopf, nichts wollte ich vergessen.

      In meiner Bucht hatte er sich auf meine Matte gerollt und aß meine Brote. Mein Strandtuch lag zusammengeknödelt unter seinem Kopf. Er benutzte meine Bucht wie ich sein Haus. Er las noch immer, und als ich runtergeklettert kam, legte er das Buch fort und blinzelte in die Sonne.

      "Tea time ist schon vorbei, gehst du mit nach Hause?"

      Ich fand es schön, wie er es sagte und war froh, den weiten Weg zurück nicht laufen zu müssen, auch der Bullen wegen.

      Der Weg war mir nun schon vertraut, das Fußballfeld, die Ferienhäuser, ein See, noch einer, und etwas abseits schimmerte noch einer. Überall wogte helles Schilf, die ersten Häuser, die Kreuzung, der Pub, der Laden, die Telefonzelle.

      "Tea time" war wirklich schon lange vorbei, und so bot ich mich an, etwas zum Abendessen zu kochen.

      "Der Chef hat das schon erledigt, trinken halt den Tee hinterher, ok?"

      Was sollte mir daran wohl nicht recht sein? Den Tee durfte ich zubereiten, und ich bekam einen Schluck Whisky spendiert. Die Konturen verrutschten, ich dachte an Nichts. Mir fiel das Auto ein, und dass ich eigentlich darüber reden müsste, aber ich wollte