Ulrich Mertins

Successfully downloaded: dich und andere Gemeinheiten


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wo nimmst du die ganzen Ideen her für das, was du schreiben willst?“

      „Vielleicht hast du bemerkt, dass ich ziemlich wenig rede und kein Gesellschaftsmensch bin. Aber dennoch trage ich die ganze Welt in mir. Meine Welt, wie ich sie sehe. Eine nie versiegende Quelle.“

      Nicole sah ihn bewundernd an und legte ihre Hand auf seinen Rücken.

      „Komm, ich will dir was zeigen.“

      Einige Meter weiter blieben sie vor einem Bild stehen.

      „Das hat mich besonders angesprochen.“

      Der Malstil hatte Anklänge an Impressionismus und Phantastische Kunst am Beginn des 20. Jahrhunderts.

      „Hm. Ich erkenne eine Frau. Und das soll wohl ein Mann sein, der sich über sie beugt. Na ja, muss natürlich ein Mann sein, ein Detail ist ziemlich ausgeprägt.“

      Er kratzte sich am Kopf, sie kicherte; in Wahrheit fand sie das Bild nur scheußlich, aber sie wollte wissen, wie Kevin in anderer Beziehung tickte.

      „Alles ein bisschen verschwommen, aber trotzdem weiß man gleich, was die beiden vorhaben. Sie zieht ihn zu sich runter. Gefällt mir.“

      Sie sah ihn herausfordernd an, während er mit Daumen und Zeigefinger sein Kinn massierte. Inzwischen hatte er sein Telefon tatsächlich in die Hosentasche gesteckt.

      „Hm. Ich denke, das wird eine Vergewaltigung oder etwas in der Art.“

      „Was? Wieso denn das?“

      „Sieht sie etwa glücklich aus? Gibt sie sich ihm hin? Schau dir doch ihre Hände und Arme an: Sie zieht ihn nicht runter – sie versucht, ihn zurückzuschieben. Dazu noch all die dunklen Farben im Hintergrund. Ich weiß nur nicht, was das Bild einem sagen möchte …“

      Sie betrachtete das Bild noch einmal – er hatte tatsächlich Recht. Er war ein guter Beobachter und das Bild doch nicht so widerlich.

      „Du hast Recht ….. vielleicht habe ich nur das gesehen, was ich mir vorstelle; ich hätte dich … also den Mann jedenfalls zu mir gezogen.“

      Sie beobachtete seine Reaktion; wenigstens lächelte er schon mal. Er war ein wirklich harter Brocken, daher ging sie zum Frontalangriff über.

      „Hast … gehst du eigentlich mit wem?“

      Die Frage hatte ihn überrascht, er rieb sich nervös im Gesicht herum. Aber er antwortete.

      „Derzeit nicht. Eigentlich überhaupt nicht. Nie bisher.“

      „Du siehst so aus, als wärest du traurig darüber. Aber das lässt sich ja ändern, oder?“

      „An mir hat keine wirkliches Interesse, vermute ich. Ich bin ja auch anders als die anderen – ich kann nicht so gut und viel reden und bin eher leise - der Denkertyp. So ein Flüsterer ist wenig attraktiv.“

      „Ich habe an dir Interesse. Hast du das schon gemerkt? Du bist doch ein guter Beobachter.“

      Sie baute sich vor ihm auf.

      „Ja, schon. Aber du hast einen riesigen Fan-Club, wie ich das sehe; zwecklos, wenn ich mich in diese Schlange einreihen würde.“

      „Pass auf: Jetzt mach‘ ich das, was die Frau auf dem Bild macht – jedenfalls nach meiner Interpretation.“

      Sie zog ihn zu sich heran und küsste ihn auf die Stirn, das genügte vorerst. Etwas in ihr fühlte sich seltsam unangenehm an trotz ihrer Sehnsucht – warum? -, aber der kleine Kuss, der passte schon. Währenddessen umarmte er sie zaghaft. Anschließend entdeckte sie ein noch nie an ihm gesehenes Lächeln. Es ist ihm jedenfalls nicht unangenehm, stellte sie fest. Plötzlich fiel ihr ihre Mutter ein; bin gespannt, was sie über ihren ersten Typen berichtet.

      8

      Müde, aber halbwegs zufrieden stellte Elvira fest, dass sie wieder um die siebzig Anzeigen bindungswilliger Männer gelesen und bewertet hatte; ihre Suche nahm jetzt einen anderen Charakter an. Die Sehnsucht nach einem Mann stand nicht mehr ganz im Vordergrund, stattdessen war die Suche eine ganz normale Aufgabe geworden wie Zähneputzen, Kochen oder auch Unterricht machen in der Schule. Beinahe war es etwas wie Klassenarbeiten durchgehen: Prüfen, vergleichen, benoten. Eine Aufgabe, die erfüllt werden musste, ohne manchmal deren Wert oder Wirkung zu kennen, oder man hatte ihren Sinn inzwischen vergessen. Unter den siebzig war kein weiterer Treffer dabei gewesen, keiner, der ihr gefallen hätte. Sie hatte bereits zwei Versuche unternommen, sich vom Computer loszureißen und Abendbrot zu machen; Nicole musste auch bald zurück sein von ihrem Date mit dem etwas Unförmigen, der so unförmig nicht aussah – oder mit wem auch immer. Ach was, zehn schaue ich mir noch an, beschloss sie, als müsse sie Überstunden leisten. Die zehn Kandidaten waren schnell abgearbeitet, in nur fünf Minuten; ok, nochmal fünf andere, entschied sie für sich. Beim nächsten Durchgang waren es noch drei, und schließlich wollte sie sich noch einen einzigen Bewerber ansehen, mit den Gedanken bereits in der Küche.

      Norbert. Er hatte kein Siegerlächeln, sah beinahe ernst aus und wirkte auf sie umso authentischer. Norbert sah auch gut aus, dunkelhaarig mit großen braunen Augen. Er arbeitete anscheinend als Gebietsleiter eines Autoherstellers und interessierte sich unter anderem für Kunst und – Geschichte. Ungewöhnlich für einen Autonarr, fand sie. Sein Blick war so intensiv – so verbindlich, verstehend, einfühlsam, warm und ganz und gar nicht der Typ Mann, der bestimmte, wo es lang ging -, dass sie ihn einige Sekunden anstarrte. Sollte sie abwarten, bis er sich bei ihr meldete? Vielleicht tat er das, vielleicht auch nicht. Frauen und Männer sind heute doch gleichberechtigt, überlegte sie, also nehme ich das selbst in die Hand. Sie nahm den Brief an Peter als Vorlage und wandelte ihn geringfügig ab. Als sie auf ‚Senden‘ drückte, ratterte das Schloss der Haustür; das musste Nicole sein.

      „Was sind das für komische Typen an der Ecke?“, fragte Nicole, als sie sich ein paar belegte Brote machten.

      „Was meinst du?“

      „Drei, vier Typen. Gehen hier auf und ab, als warteten sie auf jemand, und glotzen blöd in die Landschaft. Ein Auto haben sie auch. Sehen irgendwie verdächtig aus. Mich haben sie nicht bemerkt.“

      „Hm .. lass sie doch. Auf mich warten sie jedenfalls nicht. – Was hast du erlebt?“

      „Dasselbe wollte ich auch gerade fragen. Heute siehst du nicht so trüb aus wie neulich. Was ist denn nun mit diesem Typen, den du heute getroffen hast?“

      Hatte sie am Ende auch trüb ausgesehen, als sie noch mit Peter zusammen war? Elvira verdrängte den Gedanken.

      „O …. Ja, es war ganz interessant. Das ist schon ein Mann, in den man sich verlieben könnte ….“ Aber nicht muss, dachte sie. „Wir wollen unsere Eindrücke erst mal sacken lassen.“

      „Und wenn sie gesackt sind, was dann? Also, entweder brennt das Feuer von Anfang an, und du würdest ihn dir erkämpfen, falls er noch zögert – oder du lässt die Finger davon. Kompromisse, Vor- und Nachteile abwägen schon am ersten Tag wie beim Kauf eines Handys? Vergiss es.“

      Elvira wunderte sich manchmal über die lebenskundlichen Ratschläge ihrer Tochter, die auch von einem alten Menschen hätten stammen können.

      „Harte Worte ….. aber du hast Recht. Ich werde ihn besser abhaken. Er hat mich auch an Stefan erinnert. Stefan ganz am Anfang. Zu klebrig, besitzergreifend, nimmt mir die Luft zum Atmen.“

      Sie erzählte ihrer Tochter die Einzelheiten des Treffens, die ihren Redefluss mit Kopfschütteln und wischenden Handbewegungen garnierte; dann war sie selbst an der Reihe.

      „Kevin ist süß. Ich glaube, die Nuss ist fast geknackt. Zumindest hat sie einen Riss bekommen. Wenn du ihn näher kennst, fragst du dich sofort, warum du dich nicht früher für ihn interessiert hast. Aber … na ja, er hat irgendwo Recht …. Leute, die nicht so viel reden, gelten bei den anderen als leicht bescheuert oder - im günstigsten Fall – langweilig oder hochnäsig.“

      „Dann war wenigstens dein Date ein voller Erfolg. Aber du siehst so ernst dabei aus. Passen irgendwie nicht