Ulrich Mertins

Successfully downloaded: dich und andere Gemeinheiten


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trotzdem.

      „Bist du mit dem Wagen hier?“

      „Nein, in Hamburg macht die U-Bahn am meisten Sinn. Die U1 bringt mich fast bis ans Ziel.“

      „Ok, fahren wir mit der Bahn“, erklärte er selbstsicher.

      Ihr Unwohlsein verstärkte sich. Vielleicht war es heute üblich, mit seinem Date schon beim ersten Treffen im Bett zu landen. Probeliegen, prüfen, ob man sich auch auf anderer Ebene verstand.

      „Ich …. wollte vorher noch etwas einkaufen und fahre erst später“, log sie ruhig.

      „Alles, was du willst – ich habe Zeit“, erwiderte er fröhlich.

      Während sie über den Jungfernstieg liefen, ohne ein Ziel zu haben, überlegte sie, wie sie ihn loswerden könnte. Einfach eine Toilette suchen und sich dann auf anderem Weg davonstehlen? Was sollte passieren, ihre Adresse kannte er nicht. Machbar wäre es, aber es entsprach nicht ihrer Art. Sie gingen in ein Geschäft, das ausschließlich mit Knöpfen handelte. Sie sah sich das gewaltige Angebot an – hier bekam man alles, solange es sich um einen Knopf handelte. Sie fragte nach einem rosa und grün gestreiften Knopf mit Textilüberzug, weil sie so etwas im Sortiment nicht erblickt hatte. Die Verkäuferin wälzte Kataloge und schüttelte nach einer gefühlten Viertelstunde den Kopf: einen derartigen Knopf gäbe es nicht.

      „Und wo willst du jetzt weitersuchen?“, fragte er draußen.

      „Das lass meine Sorge sein. Ich muss erst mit meiner Tochter telefonieren. Aber du musst mich nicht weiter begleiten auf meinen Einkäufen. Der Nachmittag mit dir war schön. Ich melde mich wieder wegen des nächsten Treffens … gegebenenfalls.“

      Sie reichte ihm die Hand. Er sah enttäuscht aus und küsste sie rasch auf die Wange. Na schön, mir bleibt wohl nichts erspart, dachte sie, während sie die Menschenmassen beobachtete, die an ihnen vorüberzogen.

      „Wie soll man sich da kennenlernen? Wir hatten doch nur eine gute Stunde – weniger als ein Fußballmatch!“

      „Du, ich habe das vorhin ernst gemeint mit dem Schnitt. Ich möchte jetzt allein sein, ja?“

      „Na schön. Dann bleibt mir wohl keine andere Wahl, als zu Hause auf deine Nachricht zu warten.“

      „Im Augenblick nicht, nein.“

      Sie lächelte ihn mit ihrem entwaffnendsten Lächeln an und sah ihm eine Weile nach, um sicherzugehen, dass er sich auch wirklich entfernte. Dann lief sie in einen der U-Bahnschächte und stieg in die U3 ein, die sie zwar nicht direkt nach Haus brachte – sie musste umsteigen -, dafür aber ohne Peter fuhr. Spuren verwischen.

      Zu Hause ging sie mit gemischten Gefühlen durch alle Räume; Nicole war nicht da, wahrscheinlich wieder unterwegs mit ihrem etwas Unförmigen, der so toll reden konnte. Oder war es doch Kevin? Egal. Appetit hatte sie keinen. Wie ferngesteuert ging sie zu ihrem Computer. Peter sah gut aus und war auch recht nett, trotzdem hatte sie sich ihr erstes Date anders vorgestellt. Der Mann muss doch subtiler vorgehen bei sowas, dachte sie, sonst ist die ganze Romantik futsch. Peter hing bereits jetzt an ihr wie Alleskleber. Genau wie damals Stefan in der ersten Zeit, bis er sich dann genau andersherum verhielt und seinen Interessen nachging. Auf einen zweiten Aufguss hatte sie keine Lust – er sollte etwas Besonderes sein, etwas Besonderes verkörpern, an sich haben. Sie stellte das Suchprogramm auf einen Umkreis von 200 km ein und recherchierte weitere Männerangebote, entsprechend ihrer Methode der Hoffnungsschwangerschaft. Zur Not würde sie den Suchradius auf die ganze Welt erstrecken.

      7

      Nicole hatte vergessen zu fragen, wo sie sich treffen wollten. Sein Handy war seltsamerweise ausgeschaltet. Genervt begab sie sich daher eine halbe Stunde vor der verabredeten Zeit zu Kevins Wohnung, damit nichts schiefging. Männliche Passanten schauten ihr hinterher, aber es interessierte sie nicht, oder es war ihr unangenehm aufgrund von Gefühlen, die sie nicht näher erklären konnte, weil sie mit ihnen bereits aufgewachsen war. Allein Kevins Augen durften sich an ihrem Outfit verfangen, Kevin war für sie eine Art Heiliger. Zu ihrer Überraschung öffnete er die Tür und stand marschbereit vor ihr. Zuverlässig war er, das musste man ihm lassen. Ihre Stimmung hellte sich spürbar auf, und sie liefen zur U-Bahn.

      „Bedeutet dir die Malerei etwas?“, fragte sie ihn im Zug; sie saßen sich gegenüber.

      „Ich selbst kann leider nicht malen, habe es nur bis zu Strichmännchen gebracht; aber ich bewundere die Kunst, eigene Gefühle oder Gedanken in einem Bild auszudrücken.“

      Kevin war wie immer, höflich und freundlich. Sie selbst hatte eine künstlerische Ader, konnte sehr gut zeichnen. Einige ihrer Comics, ähnlich den japanischen Mangas, hatten in ihrer Schule große Begeisterung ausgelöst, und schließlich hatte die Lokalzeitung ein Interview mit ihr abgedruckt.

      „Und wenn du malen könntest und solltest ein Bild malen, in dem wir beide vorkommen – wie würde das dann aussehen?“

      „Hm“, machte er und sah erst sein Phone an, an dem er ständig herumnestelte, und dann sie; darauf hatte sie spekuliert und ihre Beine übereinandergeschlagen, damit der Rock sie möglichst preisgab. Sie trug sonst fast nur Hosen, aber heute musste es ein Rock sein. Eigentlich wollte auch sie selbst einmal sehen, wie sie war, wenn sie sich anderes Zeug anzog.

      „Und? Hast du keine Idee?“

      Sie versuchte ein Lächeln, das sie bei Frauen in einigen Filmen gesehen hatte, in denen die Männer dann sofort wussten, was der nächste Schritt wäre.

      „Ich sagte ja schon, ich bin nicht gut in sowas …. Das Klassenfoto vom letzten Jahr – das gefällt mir; da sind wir beide ja auch drauf. Und das Ganze dann eben gemalt.“

      Entweder muss ich an meinem Lächeln noch arbeiten, oder er ist einfach noch nicht so weit, dachte sie und stellte ihre Beine wieder nebeneinander; oder …. vielleicht ist er schwul? Könnte ja sein.

      Auf der vollen Länge des alten Elbtunnels hingen oder standen Bilder an den Seiten, daneben ihre Verkäufer. Es war zeitgenössische Kunst in allen möglichen Maltechniken. An etlichen der Exponate ging Nicole gleich vorbei, vor anderen blieb sie stehen, bis sie irgendwann merkte, dass sie allein war. Kevin stand fünfzig Meter hinter ihr; er blieb tatsächlich vor jedem Bild stehen und betrachtete es ausgiebig. Dabei rotierte sein Phone in seinen Händen. Sie stöhnte und lief zu ihm zurück.

      „Kannst du das nicht mal in die Tasche stecken? - Vor so etwas bleibst du stehen? Sag bloß, du findest das hier schön.“

      „Wieso? Ich schau mir eben alles an. Ich finde, jeder der Künstler hat ein Recht darauf, dass man seine Werke wenigstens ansieht, auch wenn man sie nicht kaufen möchte. Vielleicht ist ein neuer Picasso darunter.“

      „Echt sozial, deine Einstellung. Aber wir schaffen das alles nicht in diesem Tempo. Und einige Sachen sehen doch nur so aus, als wär dem Maler der Farbeimer umgefallen. Keinerlei Aussage. Eher ein Ausrutscher.“

      Sie lachte.

      „Lach du nur. Weißt du, wie bitter das ist, wenn du an deine Sache glaubst, du aber keinen großen Namen hast, und sich niemand dafür interessiert?“

      „Weißt du es denn?“, fragte sie erstaunt. „Ich denke, du kannst nicht malen.“

      „Kann ich auch nicht. Aber schreiben. Seit einem Jahr versuche ich schon, einige von meinen Novellen und Gedichten irgendwo unterzubringen, aber wenn es hochkommt, erhältst du einen Serienbrief, in dem sie dir mitteilen, dass derzeit alle Kapazitäten erschöpft sind und die Absage keinesfalls ein Werturteil darstellt, viel Glück, und das war’s dann. Die meisten antworten gleich gar nicht. Die Lektoren stehen alle mit dem Rücken an der Wand; ein Fehler, einmal kein Umsatz, und das war’s für sie. Niemand wagt mehr etwas.“

      „Du schreibst?“

      „Was ist daran so ungewöhnlich?“

      „Kann … kann ich mal was lesen von deinen Sachen?“

      Von diesem Augenblick an bekamen seine Augen einen Glanz; er war es nicht gewohnt, dass sich jemand für