Malte Kersten

Nach dem Eis


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allein auf dem Gang zurück.

      In diesem Moment kam ein Beamter aus meinem Büro zu uns herüber.

      „Sie haben den Toten heute Morgen gefunden?“

      „Ja.“

      „Wären Sie so freundlich, mal eben mitzukommen. Herr Peters hat einige Fragen an Sie.“

      „Ja, natürlich“, murmelte ich.

      Etwas beklommen folgte ich ihm bis zum Eingang zu meinem Büro. Glücklicherweise kam uns Herr Peters auf der Türschwelle entgegen, sodass ich hoffen konnte, dass das Gespräch nicht in meinem Büro stattfinden sollte. Er blieb dort stehen und sah kurz den Flur hinauf und hinab. Er war etwa einen Kopf kleiner als ich, machte aber trotz seines Alters einen sehr drahtigen Eindruck, viel Training wahrscheinlich.

      „Ist das nun Ihr Büro oder das Büro des Toten?“, fragte er, wobei er bei den letzten Worten mich scharf ansah, den Kopf leicht schräg gestellt. Dreitagebart.

      „Es ist mein Büro, nur gelegentlich nutzt Professor Oster es, wenn er in Kiel ist. Das ist er aber selten. Sein Büro wird gerade renoviert.“

      Osters blasse Kopfhaut schimmerte über der Kopflehne des Bürostuhls.

      „Heute war er in Kiel. Wann ist er gekommen?“

      „Ich weiß es nicht, gestern war er noch nicht da. Vielleicht ist er heute Morgen gekommen. Er liebt unübliche Arbeitszeiten.“

      Osters Ellenbogen konnte ich von meiner Position aus sehen.

      „Welche Arbeitszeiten meinen Sie?“

      „Frühmorgens, spätabends, nachts.“

      „War es bis auf die Tatsache, dass er tot ist, für Sie also keine Überraschung, dass Herr Oster heute Morgen hier auf Ihrem Stuhl saß?“

      „Überrascht war ich schon, aber sagen wir mal, dass es durchaus zu ihm passen würde, frühmorgens hier zu erscheinen.“

      „Sie waren Doktorand bei Herrn Oster?“

      Ich fasste kurz zusammen, dass ich verschiedene Aufgaben für Herrn Oster zu erledigen hatte und daneben eigene Forschungen oder besser Nachforschungen zu meinem Thema anstellte, um daraus eine Doktorarbeit zu erstellen. Natürlich auch unter der Aufsicht von Oster. Jetzt nicht mehr. Es würden Veränderungen notwendig sein. Aber das diskutierte ich nicht mit dem Kommissar.

      „Gab es Arbeitstreffen, wie hat Herr Oster sich über Ihre Arbeit informiert?“

      „Meist ging alles über E-Mail. Die seltenen Male, an denen er in Kiel war, haben wir auch über meine Arbeit gesprochen. Gelegentlich habe ich ihm etwas geschickt, er hat Kommentare zurückgeschickt, die ich dann versucht habe, einzuarbeiten.“

      „Wann hatte er Ihnen zuletzt etwas geschickt?“

      Mir fiel sofort Johanns dahin gesagter Satz ein und sein Angebot, mir ein Alibi zu verschaffen.

      „Vor zwei Wochen etwa, warum?“

      Ich meinte, eine Fliege auf der glatten Glatze Osters balancieren zu sehen.

      „Wann waren Sie wieder verabredet, hatten Sie einen Termin vereinbart?“

      „Nein, wie gesagt, Herr Oster war eher spontan und ich musste mich dem anpassen.“

      „War Herr Oster ein guter Chef?“

      „Ein guter Chef?“

      „Ja, konnten Sie gut mit ihm zusammen arbeiten?“

      „Na ja – er ist nicht einfach. Er hat eine kumpelhafte Art, die ihn positiv vom allgemeinen Bild eines Professors abhebt.“

      Ich sah mich kurz um, ob diese Bemerkungen ungeeignete Ohren erreichen könnte, taten sie aber nicht.

      „Diese unkomplizierte Art fiel mir als Erstes bei ihm auf. Das machte mir die Entscheidung, hier zu arbeiten, recht einfach. Aber diese spontane Art kann einem etwas zu schaffen machen. Er springt mit seinen Gedanken und auch mit seinen Anweisungen. Was er bei einem Meeting gesagt hat, muss nicht unbedingt beim nächsten Mal auch noch gelten. Da war er etwas unberechenbar. Und wenn ihm etwas nicht passte, er hatte es immer sehr direkt gesagt, er war etwas aufbrausend“, erklärte ich.

      „Wo waren Sie zwischen Mitternacht und heute Morgen um sieben?“

      Da war es, ich wurde verdächtigt! Johann hatte recht und ich hatte keinen Moment wirklich darüber nachgedacht und mir über mögliche Antworten die Konsequenzen vor Augen gehalten. In der fraglichen Zeit hatte ich geschlafen, das konnte als Alibi wohl kaum helfen. Doch – nein, Hans, mein Mitbewohner ist am morgen nach Hause gekommen. Zumindest für ungefähr sieben Uhr konnte jemand meine Aussage stützen.

      „Ich war zu Hause und werde in der Zeit geschlafen haben.“

      „Kann das jemand bezeugen?“, kam es routiniert zurück.

      „Nein, warum denn?“

      Er kritzelte etwas in seinen Notizblock, wahrscheinlich das Wort „Single“.

      „Wo kann ich Sie in den nächsten Tagen erreichen?“

      2. Kapitel

      Wir aßen zusammen zu Abend, als ich Hans meine Erlebnisse vom Tag berichtete. Zunächst skeptische Nachfrage. Verständlich. Nach dem Essen bot sich Hans an, abzuwaschen, obwohl er nicht an der Reihe war. Da ich gekocht hatte, hatte ich nichts dagegen einzuwenden, griff aber zum Handtuch. Beim Spülen der Teller hielt Hans einen Moment inne, ihm kam eine Idee.

      „Hat dein Professor dir etwas übergeben, eine CD oder so etwas meine ich?“

      Er sah mich an, Schaum bis zu den Ellenbogen.

      „Nein, nichts, wie kommst du darauf?“

      „Na, ich meine nur so, in den Filmen geben die gehetzten Opfer immer irgendwelche ganz wichtigen Dateien an Unbeteiligte weiter, die dann anschließend von den Killern gejagt werden. Neulich habe ich im Kino den Neuen von …“

      „Ist schon gut, ich habe verstanden. Nein. Ich habe nichts bekommen. Und gehetzt war Professor Oster auch nicht.“

      „Woher weißt du das, ich denke, du hast ihn nur selten gesehen? Vielleicht ist er ja bis nach Kiel geflohen, traf gerade noch rechtzeitig im Büro ein und hat dir eine Mail mit seinen wichtigen Daten geschickt, bevor der Killer in sein Büro kam und – peng!“

      Er blies über seinen emporgestreckten Zeigefinger, als sich unsere Blicke trafen.

      „Scheiße, du hast deine Mails noch nicht gecheckt“, sagte er langsam.

      Ich schüttelte genauso langsam meinen Kopf, obwohl mir sein Gedankengang etwas weit hergeholt erschien. Zumal ich keine Verletzungen gesehen hatte. Vielleicht zu Tode erschreckt?

      Minuten später waren wir in Hans Zimmer und starrten gebannt auf den Bildschirm. Hans stellte die Verbindung zum Internet her und ließ mich dann an den Rechner. Von außerhalb des Instituts war es zwar nicht möglich, an die Mails heranzukommen. Doch ließ ich mir meine Mails an meine private Adresse weiter leiten. Damit hatte ich die Möglichkeit, Anfragen von meinem Chef auch dann zu beantworten, wenn ich mal nicht oder etwas später am Institut war. Es kam zwar nie zu einer solchen Situation, aber jetzt war ich froh, dass ich sofort meine von Hans aufgedeckte Wissenslücke schließen konnte.

      Mit einem Mal kam mir die Theorie von Hans ganz plausibel vor. Ob er selbst ernsthaft daran glaubte oder einer spontanen Drehbuchidee folgte, weiß ich nicht.

      „Und, ist da etwas?“

      Ich las die Absender der als neu markierten Mails durch. Werbung und eine Mail von einem Schulfreund, sonst nichts.

      „Nein, nichts, ist auch Blödsinn“, erwiderte ich. „Ich habe mit der ganzen Sache nichts zu tun.“

      „Na ja, war nur so ein Gedanke“, sagte Hans. „Mach