Alicia Sérieux

Die Magie der Mandalas


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verbitterte Hexe. Langsam aber sicher schien mein bisheriges Leben auseinander zu fallen. Es hatte keinen bestimmten Auslöser gegeben. Ich hatte nur plötzlich das Gefühl, nicht mehr in mein eigenes Leben zu passen. Wir bekamen dadurch ernste Eheprobleme und machten sogar eine Therapie. Doch auch das konnte uns nicht mehr helfen. Nach fast zwei Jahren Kampf gaben wir uns geschlagen. Unter Tränen zog ich aus unserem idyllischen Häuschen aus und ließ somit mein geborgenes, sicheres Leben hinter mir. Die darauf folgende Scheidung nahm mich psychisch so sehr mit, dass ich immer wieder in meiner Firma fehlte und am Ende gefeuert wurde. Wochenlang saß ich in meiner kleinen Einzimmerwohnung mit der winzigen Küche und heulte mir die Augen aus dem Kopf. Ich wollte mein altes Leben zurück. Wollte wieder in das Leben hineinpassen, in dem ich mich so sicher gefühlt hatte. Doch aus einem unerfindlichen Grund hatte ich alles zerstört. Ich war allein. Meine Schwester Laura machte sich ernsthafte Sorgen um mich und rief mehrmals täglich an. Ich glaube sie wollte nur sichergehen, dass ich mir in einem Anfall von Selbstmitleid nicht die Pulsadern öffnete. Sie versuchte mich wieder aufzubauen. Doch ich war untröstlich. Du bist ein schlechter Mensch dröhnte es wieder und wieder in meinen Gedanken. Du hast alles zerstört. Eines mittags, als meine Schwester die Rumpelkammer, die ich Wohnung nannte, etwas aufzuräumen versuchte, sagte sie: „So geht das nicht weiter, Leah. Willst du dich ewig hier drin verkriechen?“ Ich saß wie ein Häufchen Elend auf meiner alten Couch, ein Kissen umarmend, und antwortete matt: „Das war der Plan, ja.“ Sie gab ein komisches Geräusch (eine Mischung aus einem Seufzen und Brummen) von sich und sammelte meine dreckigen Sachen vom Boden auf. „Hast du überhaupt noch etwas Sauberes zum Anziehen?“ fragte sie genervt und warf die Sachen in einen Wäschekorb, dessen Griff an einer Seite abgebrochen war. Ich wollte ihr eine Antwort geben, doch ich wusste keine. „Sag bloß du musst tatsächlich darüber nachdenken!“ schimpfte sie entsetzt. Ich sah sie peinlich berührt an und zuckte resignierend mit den Schultern. Was dann folgte war eine eindrucksvolle Schimpftirade, die ich hier nicht im Ganzen wiederholen möchte. Sie reichte von „Wie kann sich eine erwachsene Frau nur so aufführen?“ bis hin zu „Wenn du dich nicht bald zusammenreißt, ruf ich Mama an und erzähl ihr alles.“ Meine Schwester war ein Engel. Doch wenn sie mich so zusammenstauchte wirkte sie mit ihren blonden Haaren eher wie ein Racheengel und ich wartete immer darauf, dass sie ihr flammendes Schwert zückte. Die Vorstellung brachte mich zum Schmunzeln. „Was ist denn jetzt schon wieder lustig?“ fragte sie genervt, als sie meine offensichtliche Belustigung bemerkte. „Nichts. Entschuldige,“ sagte ich und vergrub mein Gesicht in meinem Kissen. Ich bemerkte, wie sie sich neben mich auf Couch fallen ließ und erneut einen Fluch ausstieß, als sie sich auf meinen Notizblock setzte. „Musst du den Kram überall rumliegen lassen?“ schimpfte sie. Ich entgegnete nichts sondern wartete einfach darauf, dass sie mit ihren Rügen fortfuhr. Doch nichts dergleichen geschah. Ich lugte seitlich an meinem Kissen vorbei und sah, dass sie in meinem Block las. „Hast du das geschrieben?“ fragte sie beeindruckt. Ich nahm das Kissen von meinem Gesicht. „Ja. Warum?“ fragte ich desinteressiert. Sie hob ihren Blick und sagte erstaunt: „Das ist wirklich gut! Ich wusste gar nicht, dass du so gut schreiben kannst.“ Sie las weiter und warf dann ein: „Naja, es ist ziemlich düster und traurig. Aber darüber sehe ich in Anbetracht deines Allgemeinzustandes hinweg.“ „Das sind doch bloß Kritzeleien,“ murrte ich. Ich hatte mir irgendwie den Kummer von der Seele schaffen müssen. Also hatte ich lauter Menschen erfunden, denen es viel schlechter ging als mir. „ Deine Kritzeleien, wie du sie nennst, sind gar nicht mal so schlecht. Hast du mal drüber nachgedacht, das beruflich zu machen?“ fragte sie und blätterte zur nächsten Seite um. Ich ging kurz in mich, konnte aber nicht einmal den Ansatz dieses Gedankens finden. „Du meinst, jämmerliche Kurzgeschichten über trostlose, vom Schicksal gebeutelte Menschen zu schreiben?“ fragte ich. „Nein! Einfach ans Schreiben an sich. Bei einer Zeitung oder so,“ entgegnete sie. Und schon war da wieder dieser Gesichtsausdruck, den ich von Laura kannte. Der Ausdruck der mir verriet, dass sie begann einen Plan zu schmieden. Und ich konnte mir auch schon denken, welchen. „Lass ja Charles damit in Ruhe! Der hat schon genug Sorgen und ich bin froh, dass er nicht schon die Schlösser in eurem Haus ausgetauscht hat, damit ich nicht mehr meine Heulwochenenden bei euch im Dachboden abhalten kann,“ warnte ich sie. Charles war mein Schwager. Ein herzensguter, attraktiver, groß gewachsener Mann, der dazu noch Chefredakteur der Londoner Times war. Er wählte die interessantesten Artikel für die Unterhaltungsparte aus und war oft mehr als gestresst. Trotzdem beklagte er sich nie, wenn ich mal wieder Freitagabends tränenüberströmt vor der Tür ihres kleinen Cottages stand und um Zuflucht vor meiner Einsamkeit bat. Meine Schwester hatte mir das kleine Dachzimmer eingerichtet und dort verbrachte ich dann meine Wochenenden. Ohne die beiden hätte ich diese Zeit wohl nicht überlebt. Mein kleiner Neffe Ben kannte den Ablauf schon und brachte vorsorglich seine Schokolade in Sicherheit, damit ich sie nicht zur Einsamkeitsbewältigung aufaß. Für seine fünf Jahre war er bemerkenswert clever. „Lass das mal meine Sorge sein! Ich weiß, dass sie zur Zeit freiberufliche Journalisten suchen und wenn ich ihm das hier zeige, wird er bestimmt etwas für dich tun können,“ meinte sie und steckte meinen Block so schnell in ihre Handtasche, dass ich bei dem Versuch ihn ihr wegzunehmen, ins Leere griff. „Ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist. Ich habe doch gar keine Erfahrung mit dem Schreiben,“ protestierte ich. „Blödsinn! Die Erfahrung kommt beim Schreiben. Und wenn wir nach Monaten des Nichtstuns endlich etwas gefunden haben, was du zu können scheinst, werden wir das nicht unversucht lassen. Ich muss jetzt los, Ben vom Kindergarten abholen. Ich ruf dich später an, ja?“ plapperte sie vergnügt, drückte mir einen Kuss auf die Wange und stürmte aus meiner Wohnung. Ich hätte ihr hinterherlaufen können und sie anflehen, alles so zu lassen, wie es war. Doch ich hatte keine Kraft dazu. Also blieb ich den ganzen Tag in meinem Pyjama auf der Couch sitzen bis am Abend das Telefon klingelte. Ich nahm ab und noch bevor ich mich melden konnte, hörte ich die Stimme meiner Schwester triumphierend sagen: „Du hast morgen um neun Uhr einen Termin in der Redaktion der London Times. Sei pünktlich!“

      Der Rest ist Geschichte. Mein Schwager stellte mich tatsächlich als freiberufliche Journalistin ein. Anfangs fiel es mir schwer über bestimmte Events und Ausstellungen zu schreiben. Doch das lag nicht daran, dass ich es nicht konnte. Es lag vielmehr daran, dass ich nicht daran glaubte, dass ich es konnte. Doch mit der Zeit wurde ich besser und besser. Ich bekam viele Termine und fing an, meinen Job zu lieben. All der Schmerz, den meine Scheidung verursacht hatte, schien unter einem großen Berg Anerkennung, den ich für meine Arbeit bekam, verschüttet zu sein. So tief, dass ich glaubte, er wäre fort. Ich richtete mir meine kleine Wohnung gemütlich ein, kaufte mir einen PC und platzierte direkt neben meinem Bett, unter dem kleinen Dachfenster, einen alten Schreibtisch. Die Tage verbrachte ich mit allen möglichen Terminen und die Abende mit dem Schreiben der Artikel. Ich liebte dieses Leben! Es war erfüllt von Arbeit und interessanten Events wie Theater, Vorlesungen oder Konzerten. Ich lebte nur noch für diesen Job. Meine Schwester war sehr stolz auf mich und natürlich auch unsere Eltern, die sich jetzt auch ab und zu trauten, mich anzurufen. Ich hatte ihnen nicht übel genommen, dass sie sich ein wenig von mir zurückgezogen hatten. Ich war unmöglich gewesen und dass meine Schwester trotzdem immer für mich da war, war ein Akt vorbildlicher Schwesternliebe. Ich hätte mich selbst bestimmt nicht mehr besucht. Irgendwann kam mir die Idee, fest für die London Times arbeiten zu wollen. Nicht mehr als Freiberufler, sondern als fest angestellte Journalistin. Das wäre der Schlüssel zu mehr Sicherheit, mehr Geld und somit einer größeren Wohnung gewesen. Und zu noch mehr Arbeit! „Ich kann dich nicht einfach so einstellen, Leah,“ sagte Charles in unbehaglichem Ton, als ich ihn in der Redaktion mit meinem Wunsch überfiel. „Aber warum denn nicht? Die Times reißen sich um meine Artikel und ich lebe für diesen Job!“ entgegnete ich mit flehendem Blick. „Das mag ja sein. Aber ich muss das vor meinem Boss verantworten und das geht nicht so mir nichts, dir nichts,“ erwiderte er und suchte verzweifelt nach seinen Magentabletten. Ich ging um seinen Schreibtisch herum, öffnete die oberste der vielen Schubladen, griff zielsicher hinein und reichte ihm die Packung mit seinen Tabletten. „Danke,“ sagte er kleinlaut und griff nach ihnen. Ich sah zu, wie er angewidert eine davon zerkaute und mit einem Schluck Wasser herunterspülte. „Es muss doch eine Möglichkeit geben!“ seufzte ich, ging wieder auf die andere Seite des Schreibtisches und ließ mich mit einer theatralischen Geste auf den Stuhl fallen. Er sah mich aus seinen wachen, hellblauen Augen mitleidig an. Armer Charles. Er hatte es nicht leicht. „Es gibt da vielleicht einen Weg,“ sagte er plötzlich. Ich sah ihn überrascht