Alicia Sérieux

Die Magie der Mandalas


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kann man es auch sagen,“ meinte Rahul Advani und sein Lächeln verschwand augenblicklich, als sich unsere Blicke trafen. Er hatte eine angenehm tiefe, melodische Stimme. Doch darauf konnte ich mich jetzt nicht konzentrieren. „Bitte, nehmen Sie doch Platz,“ sagte Charles höflich und folgte Rahul, der nun zu dem großen Tisch ging. „Das war dann alles, Ranjid. Vielen Dank,“ sagte Charles zu dem Mann, den ich für Rahul Advani gehalten hatte. Ranjid nickte lächelnd und verließ den Raum. Auf meinen fragenden Blick hin sagte Charles: „Ranjid ist unser neuer Portier. Ein sehr netter Mann. Sehr höflich und gewissenhaft.“ „Ah.. Ranjid..“ sagte ich und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Wie hatte mir so etwas nur passieren können? Ich spürte, wie mir die Schamesröte ins Gesicht stieg. Charles warf mir einen verständnislosen Blick zu und wandte sich dann an Rahul. „Wir freuen uns, Sie hier zu haben. Miss Johnson haben Sie ja schon kennen gelernt.“ Mein Gegenüber lehnte sich mit verschränkten Armen zurück und sagte, ohne seine Sonnenbrille abzunehmen: „Ja, das habe ich tatsächlich.“ Ich schluckte und wollte gerade etwas entgegnen, als plötzlich die Tür erneut aufsprang und ein hochgewachsener, etwas älterer indischer Mann hereinstürmte und wild gestikulierend über sein Headset telefonierte. Da er Hindi sprach, verstanden Charles und ich kein Wort. Auf unseren fragenden Blick hin sagte Rahul mit einem Anflug von Langeweile in der Stimme: „Das ist mein Agent. Ajit.“ Als der Mann seinen Namen hörte, hob er fast warnend den Zeigefinger, hörte noch kurz seinem Gesprächspartner zu und beendete dann abrupt das Telefonat. „Bitte entschuldigen Sie. Das Gespräch kam leider unerwartet dazwischen,“ sagte er höflich und reichte uns seine Hand. Sein Händedruck war kräftig und sein Lächeln sehr professionell. Nicht unsympathisch, aber doch sehr routiniert begrüßte er mich und Charles. Er trug einen maßgeschneiderten, grauen Anzug und glänzende, schwarze Schuhe. Alles in allem schien er ein typischer Schauspielagent zu sein. „Kein Problem, Mister..“ entgegnete Charles und wartete darauf, das er den Nachnahmen des Agenten erfuhr. Doch der winkte ab und sagte salopp: „Einfach nur Ajit, bitte. Lassen wir die Förmlichkeiten.“ „Na schön. Sehr freundlich. Ich bin Charles und das ist Leah,“ entgegnete Charles, woraufhin mich Ajit aufmerksam beäugte. Ich schenkte ihm ein unbehagliches Lächeln und sah wieder zu Rahul, der nun endlich seine Sonnebrille absetzte. „Rahul Advani,“ stellte er sich vor und reichte mir über den Tisch hinweg seine Hand. „Leah Johnson. Freut mich sehr,“ sagte ich eingeschüchtert und ergriff seine Hand. Auch er hatte einen kräftigen Händedruck, allerdings wirkte er nicht ganz so aufdringlich wie der seines Agenten. Unsere Blicke trafen sich und endlich konnte ich auch seine Augen sehen. Sie waren braun, jedoch nicht so dunkel wie die von Ajit. Es war ein heller Braunton, der mich an Honig erinnerte. Kritisch musterte er mich, bevor er meine Hand wieder los lies. Am liebsten hätte ich mich für meinen Fauxpas entschuldigt, doch das konnte ich nicht vor Charles und Rahuls Agenten tun. Die Scham über meine Unfähigkeit ließ mich in eine Schockstarre verfallen. Konnte ich noch mehr beweisen, dass ich mich kein bisschen vorbereitet hatte? Gelassen lehnte er sich wieder in seinem Stuhl zurück „Das ist also Miss Leah. Die Frau, die eine großartige Story über unseren Rahul schreiben wird,“ freute sich Ajit und klatschte freudig in die Hände. Das laute Geräusch ließ mich zusammenzucken. „Ja, das ist sie. Sie schreibt außergewöhnlich gute Storys im Bereich Film und Unterhaltung. Niemand könnte diese Story besser schreiben als sie,“ pries mich Charles an. Es war mir schon fast peinlich. Vor allem nach dieser peinlichen Verwechslung, von der Charles überhaupt nichts mitbekommen hatte. Doch ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen und sagte so selbstsicher wie möglich: „Es ist mir ein Vergnügen, diese Story schreiben zu dürfen.“ Ajit strahlte noch mehr, doch plötzlich sagte Rahul mit einem leicht spöttischen Unterton: „Und ich bin mir sicher, dass Sie sich gut vorbereitet und über meine Wenigkeit recherchiert haben.“ Er sprach perfektes Englisch. Im Gegensatz zu Ajit hatte er so gut wie keinen Akzent. Allein diese Tatsache brachte mich wieder ein wenig aus dem Konzept, doch ich hielt seinem prüfenden Blick stand und entgegnete: „Natürlich habe ich das.“ Charles und Ajit sahen leicht irritiert zwischen uns hin und her. Rahul beugte sich nach vorn und stützte sich lässig auf seinen Ellenbogen auf. Seine braunen Augen bohrten sich in meine und er fuhr süffisant lächelnd fort: „Dann sind sie ja mit meinen Filmen bestimmt bestens vertraut, nehme ich an. Was sagen Sie denn meinen Filmen? Was halten sie zum Beispiel von.. sagen wir, den Kussszenen? Finden Sie die besser oder schlechter als die aus Hollywood?“ Diese Frage verwirrte mich. Wer fragte denn so was? Ajit lächelte und wollte etwas sagen, doch Rahul hob warnend die Hand ohne seinen Blick von mir zu wenden und augenblicklich verstummte sein Agent. Ich sah Hilfe suchend zu Charles, doch der sah mich genauso verwirrt an wie ich ihn. Ich wandte meinen Blick wieder Rahul zu, der mich aufmerksam beobachtete. Was sollte ich darauf antworten? Ich hatte noch keinen einzigen Bollywood-Film gesehen und konnte folglich auch nicht wissen, in wie fern sich deren Filmküsse von den mir bekannten unterschieden. Abgesehen davon fand ich die Frage mehr als peinlich und unpassend. Doch ich musste etwas antworten. Irgendetwas. Etwas, das überzeugend klang und das nicht verriet, dass ich keinen blassen Schimmer davon hatte, was ich hier eigentlich tat. Ich räusperte mich und antwortete: „Ich scheue solche Vergleiche grundsätzlich. Jede Art von Film hat seinen eigenen Zauber. Also kann ich nicht sagen, welche Filmküsse ich persönlich schöner finde.“ Rahul warf seinem Agenten einen Blick zu, der zu sagen schien `Hab ich es dir nicht gleich gesagt?`. Charles sah mit verwirrtem Blick zwischen den beiden hin und her. Plötzlich stand Rahul auf, setzte seine Sonnenbrille wieder auf und sagte mit kühlem Ton an Chalres gewandt: „Das ist inakzeptabel. Melden Sie sich wieder, wenn Sie eine ernsthaft interessierte Journalistin für uns gefunden haben.“ Dann stürmte er an Ajit vorbei und verließ das Büro. „Rahul!“ rief dieser entsetzt, während Charles ihm bereits hinterher eilte. Ich blieb zusammen mit Ajit in dem Besprechungsraum zurück und beobachtete, wie Charles den beleidigt wirkenden Schauspieler im Flur einfing. Wie wild redete er auf ihn ein und seine Gesten wirkten beschwörend wie die eines Fakirs. Welch passender Verlgeich schoss es mir durch den Kopf. Doch Rahul blieb mit verschränkten Armen vor ihm stehen und ließ das Gesagte offensichtlich an sich abprallen. Ajit schüttelte den Kopf und nahm seine Aktentasche. „Was war das denn jetzt?“ fragte ich ihn, verwirrt über diese seltsame Reaktion. Ajit sah mich mit ernstem Blick an und antwortete: „Manchmal ist mein Job nicht gerade der leichteste. Ich vermute, dass Mister Advani über ihre angeblichen Kenntnisse über seine Filme nicht erfreut war.“ „Warum das denn? Was habe ich denn bitte Falsches gesagt?“ fragte ich entsetzt. Ajit warf einen kurzen Blick nach draußen und sah, dass Rahul noch immer nicht auf die Beschwichtigungen von Charles reagierte und anscheinend nur noch auf seinen Agenten wartete um endlich die Redaktion verlassen zu können. Dann sagte Ajit an mich gewandt: „In seinen Filmen, sowie in vielen indischen Filmen, gibt es gar keine Filmküsse. Das ist ein absolutes Tabu für ihn, meine Liebe.“ Ich spürte, wie mir augenblicklich die Röte ins Gesicht schoss. „Er hat mir eine Fangfrage gestellt,“ stellte ich unnötiger Weise fest. Und ich konnte es ihm nicht einmal verübeln. Ajit nickte und sagte bedauernd: „Ich fürchte, dass er sich nun weigern wird mit Ihnen zusammen zu arbeiten. Es tut mir sehr leid. Auf Wiedersehen.“ Daraufhin verließ er den Raum und ging zu Charles und Rahul. Wie versteinert stand ich da und sah ihm nach. „So eine Scheiße!“ fluchte ich und ließ mich zurück auf meinen Stuhl sinken. Selbst von dort aus konnte ich verfolgen, wie Rahul und sein Agent sich bereits zum Gehen abwandten, jedoch von Charles ein letztes Mal aufgehalten wurden. Er ließ sie für einen kurzen Moment stehen, dann kam er zurück mit einer Mappe in der Hand, in der einige Dokumente lagen. Er reichte sie Rahul und Ajit und schien sie aufzufordern, sie sich anzusehen. Und das taten sie auch. Sehr ausführlich. Neugierig reckte ich mein Kinn um das Geschehen besser beobachten zu können. Was waren das wohl für Dokumente? Verträge vielleicht? Nach einigen endlos scheinenden Minuten sagte Ajit etwas zu Rahul. Er schien kurz darüber nachzudenken, nickte knapp und ging dann in Richtung Fahrstuhl. Das war es dann wohl gewesen! Meine Chance war mir durch die Lappen gegangen. Durch meine eigene Dummheit. Wir hatten die Story verloren und ich würde es verantworten müssen. Charles sah den beiden Männern noch so lange nach, bis sie im Fahrstuhl verschwunden waren. Dann ging er mit erschöpftem Gesichtsausdruck zurück in Richtung Besprechungsraum. Jetzt war ich dran. „Das war verdammt knapp,“ seufzte er, als er die Tür hinter sich schloss und wir alleine waren. Hatte ich mich verhört? „Was meinst du mit knapp? Hat er sich doch noch überzeugen lassen?“ fragte ich zögerlich. Ich fühlte mich nicht berechtigt, irgendwelche Fragen zu stellen. Immerhin hatte ich es vermasselt.