Alicia Sérieux

Die Magie der Mandalas


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dich ins Boot holen.“ Hoffnung glomm in mir auf. Das würde ich schaffen! Niemand schrieb so wie ich und ich würde auf jeden Fall überzeugen! „Super! Was ist das Thema?“ fragte ich munter und fischte mit einer geübten Bewegung meinen Notizblock aus der übergroßen, braunen Handtasche, die ich immer mit mir herumschleppte. Diese Bewegung hatte ich perfektioniert. „Nicht so schnell. Momentan habe ich keine Story, die so einschlagen könnte, wie wir es brauchen um dich ins Boot zu holen. Du musst etwas Geduld haben und Augen und Ohren offen halten,“ bremste er mich. „Achso,“ sagte ich enttäuscht und ließ meinen Block wieder in meiner Tasche verschwinden. „Keine Bange. Früher oder später finden wir eine Story für dich. Und dann steht deiner Festeinstellung bestimmt nichts mehr im Weg,“ versuchte er mich aufzumuntern. Ich rang mir ein Lächeln ab und sagte: „Danke Charles. Du bist ein guter Schwager. Ich mach mich dann mal an die Arbeit.“ Er nickte und ich verließ sein Büro, um meine Termine wahrzunehmen. Meine Enttäuschung wurde nur durch die aufkeimende Hoffnung in mir gelindert, durch die ich auf ein neues und besseres Kapitel in meinem Leben hoffen konnte.

      Die U-Bahn hielt an der nächsten Haltestelle und ich musste mich festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Die Frau mit dem Baby zwängte sich an mir vorbei und verließ den Fahrraum. Ich sah ihr noch nach bis sie auf den Treppen, die nach oben führten, aus meinem Sichtfeld verschwand. Die Türen schlossen sich wieder und ich sah mein Spiegelbild in den Fenstern der U-Bahn. Eine Frau Ende Zwanzig mit langen, braunen Haaren und grünen Augen sah mir skeptischem Blick entgegen. Sie trug Jeans, ein weißes Hemd und schicke Stiefel, die sie sich extra einen Tag zuvor gekauft hatte. Sehr groß war sie nicht und auch nicht zu dünn oder zu dick. Sie war auch nicht auffallend geschminkt und trug ihr Haar zu einem einfachen Zopf gebunden. Sie war durchschnittlich. Nichts Besonderes. Ich streckte meinem Spiegelbild die Zunge heraus und wandte meinen Blick abermals auf meine Uhr. Ich war noch immer gut in der Zeit. Von meiner Haltestelle aus waren es noch ungefähr zehn Minuten zu Fuß und ich würde nicht einmal rennen müssen, was mir aufgrund meines neuen Schuhwerks sehr gelegen kam. Ja, es war ein guter Tag. Ein Tag, an dem ich die Chance bekam, mein Leben deutlich zu verbessern. Am Tag zuvor hatte mich Charles auf dem Handy angerufen.

      Ich war gerade auf dem Weg zu einem Termin mit einem Buchautor gewesen, als mein Handy geklingelt hatte. „Hey Charles! Was gibt’s?“ hatte ich gut gelaunt gefragt und mir meine große Tasche über die Schulter geworfen. Unter meinem linken Arm hatte ich meine Unterlagen geklemmt und musste ein ziemlich chaotisches Bild abgeben. „Ich will dich morgen früh um Punkt neun Uhr in der Redaktion in meinem Büro sehen. Keine Verspätungen und keine Widerrede,“ entgegnete er in ernstem Ton. Erschrocken blieb ich stehen und fragte: „Ach herrje, das hört sich aber ernst an.“ Die Panik traf mich mit voller Wucht und ich ließ meine Unterlagen fallen. „Charles.. du… du wirst mich doch nicht feuern, oder?“ fragte ich mit bebender Stimme und hatte das Gefühl, mich jeden Moment übergeben zu müssen. „Quatsch! Im Gegenteil. Deine Chance ist da, Leah. Ich habe DIE Story für dich, mit der du dir vielleicht eine Festeinstellung sichern kannst,“ erklärte er. „Ehrlich? Oh, das ist ja… fantastisch! Und worum handelt es sich?“ fragte ich euphorisch. „Das erfährst du morgen vor Ort. Also, wie gesagt. Keine Verspätungen morgen, ja?“ wiederholte er. Und das aus gutem Grund. Ich war absolut kein Morgenmensch und deshalb meistens spät dran. Doch das würde mir an diesem wichtigen Tag nicht passieren. „Natürlich! Du kannst dich auf mich verlassen!“ versprach ich und legte mit beseeltem Lächeln auf. Wie in Trance hob ich meine Unterlagen auf. Endlich würde ich die Chance bekommen, auf die ich so lange gewartet hatte. Und egal worüber ich schreiben sollte: Ich würde brillieren! Das schwor ich mir.

      Endlich hielt die U-Bahn an meiner Haltestelle! Beherzt kämpfte ich mich durch die Menschenmengen und über die Treppen der U-Bahn nach oben ins Freie. Die frische Herbstluft wehte mir entgegen und ich zog den Reißverschluss meiner alten, braunen Lederjacke zu. Es war ein goldener Herbsttag und die Sonne hatte sich noch einmal gegen das trübe Londoner Wetter durchgesetzt. Ein perfekter Tag für eine große Chance. Gut gelaunt ging ich über die Straße und in Richtung der Redaktion. Ich war noch immer perfekt in der Zeit und doch beschleunigte ich meine Schritte. Meine Neugier war kaum noch zu im Zaum zu halten! Was war das wohl für eine riesen Story, die mir so eine Stelle sichern konnte? Was würde meine Eintrittskarte als feste Mitarbeiterin der London Times sein? Ein Interview mit einem großen Hollywood Star? Oder mit einer bekannten Opernsängerin? Oder vielleicht mit einem Bestsellerautor? Wurde vielleicht sogar ein Bestseller in London verfilmt und ich würde darüber berichten? Je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr freute ich mich darauf, das große Geheimnis zu lüften. Schwungvoll stieß ich kurze Zeit darauf die Tür zu Charles´ Büro auf und rief fröhlich aus: „Einen wunderschönen guten Morgen, mein liebster Schwager! Ist das nicht ein wundervoller Tag?“ „Es scheint so zu sein,“ erwiderte er bloß und sah nervös auf seine Uhr. Ich bemerkte dies und sagte stolz: „Wie du siehst, ich bin pünktlich! Wie ich es dir versprochen habe!“ „Ja, das bist du,“ entgegnete er kurz angebunden. Erst jetzt bemerkte ich, dass etwas nicht stimmte. Er wirkte, als sei ihm nicht wohl in seiner Haut. Dauernd spielte er an seiner Krawatte herum und machte alles in allem einen gehetzten Eindruck. „Was ist los?“ fragte ich verwundert. Plötzlich klingelte das Telefon und er stürzte sich förmlich darauf. Nachdem er sich gemeldet hatte, lauschte er aufmerksam den Worten der Person am anderen Ende der Leitung. Und diese Person schien eine Menge zu sagen zu haben. Nach einer Weile des Schweigens, beziehungsweise des Zuhörens, sagte er bloß: „In Ordnung. Dann bis morgen.“ Charles legte auf und die Anspannung schien sichtlich von ihm abzufallen. Auf meinen fragenden Blick hin sagte er lächelnd: „Das war knapp. Aber wir kriegen die Story.“ „Welche Story jetzt?“ fragte ich verwirrt. „Na, deine!“ erklärte er und wischte sich über die Stirn. „Ach, das war noch gar nicht sicher?“ fragte ich erschrocken. Hatte ich da wieder etwas falsch verstanden? „Doch.. nein… ach, diese Leute sind echt kompliziert. Aber jetzt haben wir die endgültige Zusage bekommen. Das war gerade sein Agent,“ erklärte er hektisch. „Wessen Agent?“ fragte ich. „Der Agent deines Termins,“ sagte er bloß und trank einen Schluck Kaffee aus der übergroßen Tasse, die ihm mein kleiner Neffe Ben zum letzten Vatertag geschenkt hatte. „Könntest du mir jetzt bitte mal in ganzen Sätzen erklären, über was wir hier eigentlich reden?“ fragte ich ungeduldig und setzte mich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. „Oh, natürlich. Entschuldige bitte,“ sagte er und klaubte ein paar Unterlagen zusammen. Nachdem er sie kurz überflogen hatte, begann er zu erklären: „Die Story ist folgende: In Kürze wird hier ein Schauspieler eintreffen, der in seinem Heimatland bereits eine Berühmtheit ist. Jetzt will sein Management den europäischen Markt angehen, angefangen bei England. Du sollst eine Reportage über ihn schreiben.“ Ich musste mich zusammenreißen, um nicht zu hyperventilieren! Ein unbekannter Schauspieler aus Hollywood! Das war mehr als ich ertragen konnte. Ich quietschte vor Freude und rief: „Oh mein Gott! Wie aufregend! Hollywood kommt nach England und ich kann exklusiv darüber berichten! Das ist ja der Wahnsinn!“ Charles sah mich mit einem seltsamen Lächeln auf den Lippen an. „Was ist denn?“ fragte ich, während ich versuchte, nicht in Euphorie aufzugehen. „Nun ja, Hollywood ist nicht ganz richtig,“ meinte er zerknirscht. „Ach nein? Dann vielleicht ein kanadischer Schauspieler?“ riet ich weiter. Er schüttelte bloß den Kopf. Jetzt war ich langsam überfragt. „Na, was bleibt denn dann noch?“ fragte ich ratlos. Plötzlich griff Charles in eine Schublade und holte einen Stapel DVDs hervor. Dann schob er sie über den Tisch zu mir herüber. Ich sah ihn fragend an und warf dann einen Blick auf die DVDs. Was ich da sah, verwirrte mich. „Was ist das denn?“ fragte ich verwundert und sah auf das knallbunte Cover der obersten DVD. „Das, meine Liebe, ist Bollywood,“ erklärte er und sah mich erwartungsvoll an. Mein Gehirn brauchte erst einen Moment um die wenigen Informationen abzurufen, die es zu diesem Thema gespeichert hatte. Bollywood. Bunte Liebesschnulzen in denen lauter Inder die ganze Zeit tanzten und in einer Sprache sangen die sich, für mich jedenfalls, wie Rückwärtssprechen anhörte. „Du nimmst mich auf den Arm!“ sagte ich und sah ihn unsicher lächelnd an. Doch er verzog keine Miene. „Komm schon, Charles. Welche ist die echte Story?“ fragte ich energischer und merkte, wie mir das Lächeln in meinem Gesicht festfror. Er klopfte behutsam mit der flachen Hand auf die DVDs und sagte: „Das ist sie, Leah. Ernsthaft.“ Fassungslos starrte ich ihn an. Mir war, als müsste ich auf der Stelle in Tränen ausbrechen. Meine Vorfreude war purer Verzweiflung gewichen. „Sieh mich