Alicia Sérieux

Die Magie der Mandalas


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den Termin vorbereitet? Du weißt doch, was von dieser Story abhängt!“ Ich senkte beschämt meinen Blick und sagte kleinlaut: „Es tut mir so schrecklich leid. Ich.. ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ „Am besten gar nichts! Außer, dass du es ab jetzt nicht mehr vermasseln wirst,“ entgegnete Charles mit drohendem Unterton. Ich sah ihn ungläubig an. Hatte ich richtig gehört? „Was meinst du damit?“ fragte ich vorsichtig. Er ließ sich erschöpft auf einen Stuhl sinken und antwortete, während er nervös seine Stirn rieb: „Ich konnte ihn davon überzeugen, die Story doch mit dir zu machen. Also, wie gesagt, versuch bitte ab jetzt niemanden mehr zu beleidigen. Oder zu verwechseln.“ Ich spürte, wie ich wieder rot wurde und nickte beschämt. „Na schön. Dann mal an die Arbeit. Du solltest dir wenigstens seinen Lebenslauf einprägen. Schaffst du das?“ setzte Charles nach und warf mir einen Schnellhefter zu. Ich fing ihn auf und antwortete kleinlaut: „Ja, danke. Darf ich jetzt gehen? Ich würde mich gern übergeben, wenn du nichts dagegen hast“ Mein Schwager machte eine auslandende Bewegung in Richtung Tür, woraufhin ich wie von tausend Teufeln gejagt aus der Redaktion flüchtete.

      Auf ein Neues

       *

      

      Der Tag neigte sich langsam seinem Ende zu. Das Licht der untergehenden Herbstsonne fiel durch das Fenster meiner kleinen Wohnung und ich blinzelte ihr müde entgegen. Mein Genick knackte beunruhigend laut als ich mich genüsslich streckte. Seit gut einer Stunde versuchte ich mir den Lebenslauf von Rahul Advani einzuprägen. 1978 in New Delhi geboren, in England zur Schule gegangen (was sein fast akzentfreies Englisch erklärte), danach war er nach Mumbai gegangen und hatte dort seine Schauspielkarriere gestartet. Es klang wie aus einem Film. Viel zu perfekt. Viel zu reibungslos. Da steckte bestimmt mehr dahinter. Ich würde die interessanten Fakten aus ihm herauskitzeln müssen. Offensichtlich gab er sie nicht freiwillig Preis. Doch wer tat das schon? In der Mappe, die mir Charles gegeben hatte, lag auch noch ein Foto von Rahul. Ich betrachtete es eingehend. Er war nicht unattraktiv wenn man ihn so betrachtete. Das tiefschwarze Haar, die leicht gebräunte Haut und die schön geschwungenen Lippen. Professionell lächelte er in die Kamera. Seine honigfarbenen Augen schienen vor Charme nur so zu sprühen. Doch der Rahul Advani, den ich kennen gelernt hatte, hatte nichts mit diesem fröhlichen und sympathischen Mann auf dem Bild gemeinsam. Er war kühl und distanziert gewesen. Doch ich durfte mich nicht wundern. Ich hatte es nicht besser verdient. Aber für einen Schauspieler, der mit der Eroberung der weiblichen Fanherzen sein Geld verdiente, war er mir gegenüber überraschend uncharmant gewesen. Wenn man es genau betrachtete, war er kein Brad Pit oder Johnny Depp. Interessant, aber nicht unbedingt ein klassischer Schönling. Ich konnte nicht wirklich nachvollziehen, warum sich die indische Filmindustrie sowie der europäische Markt um ihn zu schlagen schienen. Aber das war auch nicht meine Aufgabe. Ich musste nur diese Story schreiben. Meine Meinung zählte nicht. Ich legte das Foto zur Seite und bemerkte die DVDs meiner Schwester, die noch immer an ihrem Platz auf dem Wohnzimmertisch lagen. Ich nahm sie und warf einen Blick auf deren Cover. Anscheinend waren es keine Filme, in denen Rahul Advani mitspielte. Aber es war ein Anfang. Früher oder später würde ich mir ja so einen Streifen ansehen müssen. Sonst würden die Gesprächsthemen mit Rahul schnell ausgehen. Ich ging in meine Küche, machte mir ein Sandwich aus allen essbaren Resten, die mein Kühlschrank hergab, zog mir meine bequeme, ausgeleierte Jogginghose an und machte es mir auf meiner Couch bequem. „Film ab!“ sagte ich und drückte auf Play. Schon die erste halbe Stunde überforderte mich. Alles war so schrecklich bunt und es wurde nur gesungen und getanzt. Und natürlich stand eine bewegende und tragische Liebesgeschichte im Zentrum des Geschehens. Ein Geschichte, die auf ein Happy End zusteuerte. Ich spürte die altbekannte Beklemmung in meiner Brust aufsteigen. Ich konnte solche Filme nicht ertragen. Nicht mehr. Energisch schaltete ich den Fernseher aus. Es musste auch so gehen. Ohne dass ich mir diese Filme antun musste. Aber was konnte ich jetzt noch tun? Ich sah auf meine Uhr. Es war gerade mal sieben Uhr abends. Ich erhob mich von meiner Couch, schlurfte zum Fenster und sah gelangweilt auf die Straße hinab. Eine Clique von Mädchen überquerte gerade fröhlich lachend die Straße, um zu dem kleinen Pub auf der anderen Seite zu gelangen. Vor dem Pub saßen einige Leute und genossen ihren Feierabend. Freunde, Liebespaare… alle schienen sie glücklich zu sein in der jeweiligen Gesellschaft, in der sie sich befanden. Wieder einmal fühlte ich mich wie der unsichtbare Beobachter, der darauf hoffte, vom Glück der anderen ein wenig angestrahlt zu werden. Wenn ich arbeitete hatte ich keine Zeit, mich einsam zu fühlen. Doch in diesen Momenten war es offensichtlich: ich war allein. Ich fühlte mich einsam. Freunde hatte ich noch nie viele gehabt und die wenigen die ich hatte, waren ebenfalls mit James befreundet. Meinem Ex-Mann. Was er jetzt wohl gerade tat? Ob es ihm gut ging? Ich hatte ihn seit unserer Scheidung nicht mehr gesehen. Insgeheim hatte ich gehofft, dass wir uns im Guten trennen könnten. Doch das war eine Wunschvorstellung geblieben. Er hatte mich keines Blickes mehr gewürdigt und das hatte mir sehr wehgetan. Wie oft sehnte ich mich zurück zu den glücklichen Zeiten, in denen alles immer so klar gewesen war. Das war jetzt vorbei. Jetzt saß ich in meiner kleinen Wohnung in Camden und beobachtete fremde Menschen, wie sie ihr Leben lebten. Weil ich kein eigenes Leben mehr hatte. Keine Freunde. Keinen Partner. Niemanden, der abends auf mich wartete oder mich morgens verabschiedete. Ich war allein. Alles was ich hatte, war mein Job. Natürlich hätte ich meine Schwester anrufen können, doch sie hatte ihr eigenes Leben und in dieses Leben hatte ich schon viel zu lange hineingefunkt. Ich war froh, dass Charles so ein lieber und geduldiger Ehemann war. Dass er seine Frau so viele Abende zu mir hatte gehen lassen, wenn ich ein weinendes Wrack gewesen war. Dass er mich sogar eine Zeit lang in seinem Haus aufgenommen hatte. Mir das kleine Zimmer unter dem Dach überlassen hatte, das früher einmal sein Hobbyzimmer gewesen war. Nein, ich würde sie an diesem Abend nicht anrufen. Es hatte gereicht, meine eigene Ehe kaputt zu machen. Und doch… wie sehr wünschte ich mir in diesem Moment, kein offensichtlich hoffnungsloser Fall zu sein der in seiner Einsamkeit und seinem Selbstmitleid zu ertrinken drohte. Ich hätte auch eine dieser glücklich lachenden Frauen in dem Pub sein können. Doch das war ich nicht. Ich war eine verkorkste, chaotische, hoffnungslos verlorene Frau, deren einzige Chance auf ein besseres Leben diese Reportage war. Die Chance, die sie sich fast durch ihr eigenes Unvermögen zerstört hatte. Vielleicht würde auch eine gute Therapie helfen. Doch das musste warten. Ich löste mich von dem Anblick des Pubs und kehrte zurück zu meiner Couch. Dort nahm ich den Laptop auf meinen Schoß und checkte meine Mails. Ich hob erstaunt eine Augenbraue, denn ich hatte tatsächlich eine neue Nachricht im Posteingang. Von Ajit, Rahuls Agent. Darin stand:

      „Sehr geehrte Miss Johnson, wir bitten Sie morgen früh in das Hotel Hilton zu kommen, Zimmer 315. Mister Advani möchte die Reportage so schnell wie möglich beginnen, jedoch in einem privateren Umfeld als das der Redaktion. Ihren Vorgesetzten, Mister Harris, haben wir bereits über dieser Planänderung in Kenntnis gesetzt. Bitte seien Sie pünktlich um neun Uhr vor Ort. Vielen Dank.“

      Ich las die Email abermals durch. Charles war in Kopie gesetzt worden, also schien es zu stimmen. Nun gut, wo das Interview stattfinden würde, war mir egal. Ich kannte das Hilton und wusste, dass es sich in der Nähe der Tower Bridge befand. Eine schöne Lage. Ich beschloss, an diesem Abend früh ins Bett zu gehen. Ab jetzt durfte nichts mehr schief gehen.

      Trotz der schlechten Wettervorhersage war der Morgen des darauf folgenden Tages sonnig. Ein kräftiger Wind wehte dennoch und ich zog den Reißverschluss meine Lederjacke zu, als ich bereits vor dem Hilton stand und mir das Gebäude in Ruhe ansah. Es war wirklich ein imposanter Bau und der Ausblick der oberen Zimmer auf die Themse und die Tower Bridge musste überwältigend sein. Ich war nervös. Wie er sich mir gegenüber wohl verhalten würde nach meinem gestrigen Fauxpas? Ich hoffte inständig, dass er es abgehakt hatte. Immerhin hatte er sich ja dazu entschlossen die Reportage trotz unseres missglückten, ersten Aufeinandertreffens mit mir zu machen. Ich atmete einmal tief durch und ging durch die Drehtür in die Empfangshalle des Hotels. Im Innern des Gebäudes wandte ich mich zielstrebig der Rezeption zu. Ich wollte mich anmelden lassen, nicht einfach so hereinplatzen. Die stark geschminkte, aber hübsche junge Frau hinter dem großen, glänzenden Rezeptionstresen begrüßte mich mit einem professionellen Lächeln, das allerdings ihre Augen nicht erreiche. „Hallo. Ich bin Leah Johnson und habe einen Termin mit Mister Advani, Zimmer 315. Können Sie ihm bitte sagen,