Alicia Sérieux

Die Magie der Mandalas


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Sprachlos ließ ich mich in meinem Stuhl zurücksinken und starrte ihn ungläubig an. „Ach Leah, jetzt sei doch nicht gleich so melodramatisch. Wenn jemand diese Story schreiben kann, dann bist das du,“ versuchte er mich zu motivieren. „Wer hat sich denn noch für diese Story beworben?“ fragte ich und nahm eine der DVDs in die Hand. Doch ich legte sie gleich wieder weg, ohne sie wirklich betrachtet zu haben, als er sagte: „Naja, um ehrlich zu sein, hab ich die Story erst gar niemand anderem angeboten. Das ist eine riesen Chance und ich will, dass du sie bekommst.“ Gerührt von so viel Unterstützung wagte ich es nun nicht mehr, etwas Negatives über diesen Job zu sagen. Außerdem wusste ich, dass meine Schwester mich töten würde, wenn ich jetzt ein Theater veranstaltete anstatt diese Gelegenheit zu nutzen. Also atmete ich einmal tief durch und fragte dann: „Wie lange soll diese Reportage gehen? Ein, zwei Tage?“ „Um genau zu sein… drei Monate,“ antwortete er schnell und schien wieder die Luft anzuhalten. „Wie bitte?“ fragte ich laut und sprang von meinem Stuhl auf. „Du wirst ihn zu allen Presseterminen begleiten und zu allen Veranstaltungen, die er in London besuchen wird. Es soll eine hautnahe Reportage werden in der du den Lesern zeigen wirst, wie er wirklich ist,“ erklärte Charles aufgeregt. „Aber…drei Monate?“ jammerte ich und setzte mich wieder. „Ja, drei Monate. Du wirst ihm auf den Zahn fühlen. Alles über sein Leben und seine Filme erfahren. Er wird natürlich nicht durchgehend in London sein, aber schon die meiste Zeit. Also, reiß dich zusammen und sei mal offen für Neues!“ schimpfte er. Ich wollte wieder protestieren, dachte dann aber wieder daran, dass ich allein Charles zu verdanken hatte, wo ich nun war. Er und meine Schwester hatten mich aus meiner Trostlosigkeit und Verzweiflung herausgeholt. Ich durfte jetzt nicht undankbar sein. Also riss ich mich zusammen und fragte: „Na schön. Wie heißt er denn, unser Mister Bollywood?!“ Mein Schwager lächelte zufrieden und sagte: „Sein Name ist Rahul Advani. Und er wird morgen Abend hier in London eintreffen.“ Ich nickte und sagte: „Okay. Dann werde ich jetzt mal nach Hause gehen und mich auf den Termin vorbereiten“ Was eigentlich so viel heißen sollte wie Ich werde nach Hause gehen und mich erst einmal betrinken.

      Namen und Gesichter

       *

      

      „Wie schaffst du es bloß, dich immer wieder in solche Situationen zu bringen?“ fragte ich mein eigenes Spiegelbild, das mich mit glasigen Augen aus meinem kleinen Handspiegel ansah. Energisch legte ihn auf den kleinen Hocker, der neben meiner Badewanne stand und nahm stattdessen mein Weinglas zur Hand. Die Badewanne war der einzige Ort, der mich nach so einem Tag noch retten konnte. Das Wasser war viel zu heiß und so begann der Alkohol noch schneller zu wirken. Im Radio wurden alte Songs von den Beatles gespielt und ich hing meinen Gedanken nach. Charles hatte Recht. Diese Story würde vielleicht mein Durchbruch werden. Würde alle meinen bisherigen Arbeiten in den Schatten stellen. Was hatte ich zu verlieren? Im schlimmsten Fall blieb ich freischaffende Journalistin und würde eben keine größere Wohnung haben. Und auch mehr Geld könnte ich mir abschminken. Es würde alles so bleiben, wie es war. Das Klingeln des Telefons riss mich aus meinen Gedanken. In weiser Voraussicht hatte ich es ebenfalls auf den Hocker neben der Wanne gelegt. Und ich wusste genau, wer dran sein würde. Es gab ja nur einen Menschen, der mich regelmäßig anrief. „Hi Schwesterchen,“ meldete ich mich ohne zu fragen, wer am anderen Ende der Leitung war. „Woher wusstest du, dass ich es bin?“ fragte sie verwundert. Sie lernte es wohl nie. „Wer sollte mich sonst anrufen? Du bist meine beste Freundin und vor allem meine einzige,“ kicherte ich. Ein kurzes Schweigen ihrerseits folgte bevor sie empört fragte: „Du liegst doch nicht etwa wieder mit einer Flasche Wein in der Wanne, oder?“ „Nein, natürlich nicht! Wer macht denn sowas! Ich benutze natürlich ein Glas!“ antwortete ich lachte herzhaft über meinen eigenen Scherz. Doch ich war anscheinend die einzige, die das lustig fand. „Du wirst noch zur Alkoholikerin, wenn das so weiter geht! Aber jetzt mal was anderes. Ich habe mit Charles gesprochen und er hat mir von der Story erzählt, die er dir besorgt hat. Das ist doch super, oder?“ fragte sie erwartungsvoll. „Jaaaa… suuuuper,“ krächzte ich und sah meinem Wein zu, wie er durch mein vorsichtiges Schwenken im Glas rotierte. „Wie? Freust du dich nicht?“ fragte meine Schwester verwundert. „Doch. Ich habe zwar keinen blassen Schimmer über dieses Bolly-Dings-Bums und werde mich total blamieren, aber sonst ist das wirklich grandios!“ brummte ich und bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Ich wollte doch nicht mehr meckern. „Hat dir Charles nicht meine DVDs mitgegeben?“ fragte sie verwundert. „DEINE DVDs? Verarsch mich nicht!“ rief ich und verschüttete ein wenig Wein in mein Badewasser. „Ja, das sind meine. Ich bekam sie mal geschenkt und hab sie mir angesehen. Ist ganz nett. Solltest du dir anschauen vor deinem Termin morgen früh. Ein bisschen Hintergrundwissen schadet nie,“ meinte sie. „Ich weiß das! Ist ja nicht meine erste Story!“ entgegnete ich schnippisch und nahm einen weiteren Schluck aus meinem Glas. „Zick mich nicht an! Ich will dir nur helfen!“ entgegnete sie im gleichen Ton. „Ist ja gut, ist ja gut! Lass uns nicht streiten. Das ist das letzte, was ich heute Abend gebrauchen kann,“ brummte ich und stellte mein Glas ab. „Was brauchst du denn, abgesehen von deiner Flasche Wein?“ fragte sie in süffisantem Unterton. „Ich benutze immer noch ein Glas, ja? Prüf mal deine Quellen!“ protestierte ich. Jetzt musste auch sie lachen. „Ein bisschen Zuspruch wäre gut. Sowas wie, dass ich morgen überaus professionell sein und alle mit meine Scharfsinnigkeit beeindrucken werde. Und dass ich bestimmt fest eingestellt werde, weil ich den Artikel des Jahrhunderts schreibe,“ sinnierte ich. „Okay, du wirst das schaffen und alle umhauen. Aber schau dir zumindest einen der Filme an, ja?“ bat sie mich mit Nachdruck in der Stimme. Ich schnaubte genervt und antwortete: „Ja, mach ich. Ich leg jetzt auf. Meine Flasche ist leer.“

      In meinen viel zu großen Bademantel gehüllt setzte ich mich kurze Zeit später auf meine alte, durchgesessene Couch. Auf meinem kleinen Wohnzimmertisch lagen die DVDs mit den viel zu bunten Covern und warteten nur darauf, dass ich mir eine von ihnen aussuchte. Erschöpft lehnte ich mich zurück und spürte, dass der Wein und das heiße Bad viel zu gut wirkten. Ich fühlte mich schläfrig und nicht mehr fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Du solltest dich auf morgen vorbereiten sagte mir die Vernunft. Also setzte ich mich auf und wollte zu den DVDs greifen. Doch dann fiel mein Blick auf etwas, das jeden Abend auf mich wartete. Das schwarze, kleine Kästchen mit den grünen Steinen, das auf dem Regal über meinem Fernseher stand. Ich schluckte und wollte meinen Blick wieder davon abwenden. Aber ich konnte es nicht. Dieses unbedeutend wirkende Kästchen erinnerte mich immer wieder daran, wie ich es geschafft hatte, mein Leben zu ruinieren. Mein eigenes Glück zu torpedieren. Mir alles kaputt zu machen, was ich mir mühsam aufgebaut hatte. Plötzlich fühlte ich mich gar nicht mehr wie eine erfolgreiche Journalistin, die fähig war, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Ich fühlte mich einfach wieder nur wie… ich. Eine Chaotin, die nur unter größter Anstrengung nicht im Trubel dieser Welt unterging und die sich eigentlich schon innerlich auf ihr nächstes Versagen einstellen sollte, um es zu überleben. Langsam zog ich meine Hand von den DVDs zurück und ließ mich nach hinten sinken, jedoch ohne das Kästchen aus den Augen zu lassen. Ich fühlte mich wieder einmal wie gelähmt und hatte das Bedürfnis, meine Augen einfach zu schließen. Nur um dem Unausweichlichen für wenige Momente zu entfliehen. Zögernd schloss ich meine Augen und die Dunkelheit, die mich umfing, fühlte sich erleichternd an. Nur für ein paar Sekunden. Dann legst du los sagte ich mir und atmete tief durch. Nach und nach ließ der Druck hinter meinen Augen nach und ich entspannte mich ein wenig. Ich würde alles geben müssen für diese Story. Und ich würde mir alle Filme ansehen. Egal, wie schlecht ich sie persönlich fand. Es ging nicht um meinen Geschmack. Es ging um die Story. Nur um die Story. Es war nicht meine erste und ich durfte mich nicht verrückt machen. Andererseits hatte ich noch nie so eine große Reportage geschrieben. Das war doch etwas ganz anderes als meine bisherigen Aufträge. Und was, wenn dieser Rahul Advani ein arroganter Kerl war, der nicht einmal unserer Sprache mächtig war? Wie sollte ich unter solchen Umständen eine Story über ihn schreiben? Was, wenn er nicht mit mir kooperierte? Wenn er mich nicht leiden konnte? Ich gähnte und kuschelte mich noch ein wenig tiefer in meinen Bademantel. Was, wenn ich es vermasseln würde? Nein! Ich durfte es einfach nicht vermasseln! Dieses eine Mal würde mir etwas Großes gelingen! Da war ich mir sicher. Ich sagte es mir immer und immer wieder… bis ich in einen tiefen und traumlosen Schlaf fiel.