Alicia Sérieux

Die Magie der Mandalas


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sah ich mich um. Ich lag noch immer auf der alten Couch, in meinen Bademantel gehüllt, die DVDs auf dem Wohnzimmertisch ausgebreitet. Mein Kopf brummte und mir war übel. Hatte ich wirklich so viel getrunken? Ich kniff die Augen zusammen, da mich das hereinfallende Licht blendete und griff nach meiner Armbanduhr. Es war kurz nach sieben. Kurz nach sieben! Vor Schreck fiel ich fast von der Couch. Um halb acht würde meine Bahn fahren und ich brauchte gut fünfzehn Minuten bis zur Haltestelle. Ich hatte verschlafen! Noch schlimmer! Ich hatte mir keinen einzigen Film angesehen und war komplett unvorbereitet. Ich hatte mir nicht einmal die Homepage von Rahul Advani angesehen und wusste nicht, wie er überhaupt aussah! „Scheiße!“ fluchte ich, schnellte von meiner Couch hoch und stürzte in mein Schlafzimmer. Schnell zog ich eine saubere Jeans und eine hellblaue Bluse aus meinem Kleiderschrank. Panisch zog ich mich an und hetzte ins Badezimmer, wo ich hektisch meine Zähne putzte. Ich sah furchtbar aus! Als hätte ich die Nacht zum Tag gemacht. Verzweifelt versuchte ich mich zu schminken, damit ich wenigstens ansatzweise vorzeigbar war. Am liebsten hätte ich losgeheult, aber das hätte mir auch nicht weitergeholfen. Stattdessen atmete ich tief durch und versuchte zu retten, was noch zu retten war. Nur noch zehn Minuten, dann würde die Bahn ohne mich losfahren. Schnell schnappte ich meine neuen Stiefel, die in meinem kleinen Flur verstreut lagen, packte meine Lederjacke und meine Tasche und stürzte aus meiner Wohnung. Die kühle Herbstluft war wie eine Wand, gegen die ich mit voller Wucht lief. Doch ich ignorierte den Schwindel und rannte los. Meine Lungen brannten als ich den ersten und zweiten Block hinter mir gelassen hatte. Ich wusste nicht wie viele Menschen ich wohl angerempelt hatte, doch ich war noch nie zuvor so oft und wüst beschimpft worden. Als ich endlich das Schild sah, welches auf die Underground hinwies, hätte ich vor Erleichterung beinahe aufgelacht. Ich hatte noch zwei Minuten. Todesmutig rannte ich die Treppen hinab und steuerte das Gleis an, auf dem meine Bahn wartete. Dort angekommen wollten sich die Türen meiner Bahn schon schließen, doch ich konnte gerade noch zwischen dem Türspalt hindurchschlüpfen. Keuchend ließ ich mich auf einen Sitzplatz fallen. Mein Magen rebellierte und mein Kopf pochte. Doch ich hatte es geschafft. Ich warf einen Blick auf mein Spiegelbild im Fenster neben mir und erschrak. Mein Haar stand in alle Richtungen ab und ich war total verschwitzt. Schnell band ich mein Haar so zusammen, dass es einigermaßen ordentlich aussah und tupfte mit einem Taschentuch die verlaufene Schminke unter meinen Augen vorsichtig ab. Als ich mit meinem Anblick einigermaßen zufrieden war, holte ich schnell mein Handy aus meiner Tasche. Ich wusste, dass ich damit Zugang ins Internet hatte. Doch ich hatte es bislang noch nie ausprobiert. „Komm schon!“ zischte ich es an, als würde es so schneller gehen. Doch selbst als ich herausgefunden hatte, wie ich ins Internet gelangen konnte… in der U-Bahn hatte ich keinen Empfang. „So eine verfluchte Scheiße!“ fluchte ich und erntete gleich einen bösen Blick von einer Frau, die mir mit ihrer kleinen Tochter gegenüber saß. „Verzeihung,“ entschuldigte ich mich zerknirscht und versuchte weiterhin verzweifelt, ins Internet zu kommen. Doch es half nichts. Ich bekam einfach keine Verbindung. Konnte das denn wirklich wahr sein? Das Universum schien sich gegen mich verschworen zu haben! „Na schön! Dann eben nicht!“ seufzte ich und verstaute mein Handy wieder in meiner Handtasche. Dann musste es eben so gehen. Ich würde ihn schon erkennen. Filmstars waren doch alle irgendwie gleich. Egal, ob sie jetzt nun aus Hollywood oder Bollywood kamen. So unterschiedlich konnten sie nicht sein. Als endlich meine Haltestelle angezeigt wurde, stand ich schnell auf und stellte mich direkt an die Bahntür. Jetzt würde nichts mehr schief gehen. Ich musste unbedingt pünktlich sein! Kaum dass die Tür sich geöffnet hatte, stürzte ich hinaus und ging schnellen Schrittes in Richtung der Redaktion. Mein Kopf tat immer noch weh, aber ich ignorierte das. Irgendjemand würde schon ein Aspirin für mich haben, wenn das Meeting vorbei war. Aber das musste fürs Erste warten. Ein zentnerschwerer Stein fiel mir von meinem Herzen als ich endlich das Gebäude der Londoner Times betrat. Atemlos trat ich zu dem Fahrstuhl und wollte den Knopf drücken. Doch dann bemerkte ich das „Out of order“ – Schild. „Auch das noch!“ jammerte ich und wandte mich an die Tür, die ins Treppenhaus führte. Es waren eigentlich nur drei Stockwerke. Doch das waren genau drei Stockwerke zu viel, wenn man einen Kater hatte. Ich brachte die Stufen so schnell hinter mich, wie es mir möglich war und als ich endlich oben ankam und die Tür in die Büroräume aufstieß, lief ich meinem Schwager direkt in die Arme. „Leah! Du bist aber früh!“ freute er sich. „Willst du mich verarschen?“ keuchte ich und unterdrückte ein Würgen. „Was ist denn los? Sag bloß, du warst gestern aus?“ fragte er vorwurfsvoll. „Natürlich nicht! Ist unser Mister Bollywood schon hier?“ fragte ich, um von meinem mehr als erbärmlichen Zustand abzulenken. „Ja, er wartet im Besprechungsraum. Geh schon mal vor und mach dich mit ihm bekannt. Ich muss noch einen kurzen Anruf tätigen. Dann komm ich nach. Schaffst du das?“ fragte Charles mit besorgter Miene. „Klar. Bis gleich,“ sagte ich knapp und wandte mich in Richtung Besprechungsraum. Die Tür war nicht ganz geschlossen, sondern nur angelehnt. Plötzlich wurde ich nervös. Der erste Kontakt war ausgesprochen wichtig und konnte ausschlaggebend sein, um eine gute Story zu bekommen. In Gedanken bereitete ich alle meine witzigen und charmanten Sprüche vor, die ich auf Lager hatte. Nur um sicher zu gehen. Als ich vor der Tür angekommen war, drückte ich sie behutsam auf und warf einen Blick in den Raum, in dem mein Interviewpartner der nächsten drei Monate auf mich wartete. Doch an dem großen, runden Besprechungstisch saß niemand. Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen und entdeckte einen Mann, der mit dem Rücken zu mir gewandt am Fenster stand und hinaus auf die Straßen schaute. Das war er also. Showtime! Ich räusperte mich dezent und augenblicklich drehte er sich zu mir um. Ich war überrascht. Hatte ich mir einen Filmstar immer ausgesprochen attraktiv und sportlich vorgestellt, sah ich hier das krasse Gegenteil. Vor mir stand ein kleiner Inder, nicht viel größer als ich, vielleicht Mitte vierzig mit bereits grauen Schläfen. Er hatte ein rundes Gesicht und tiefbraune Augen, die schon fast schwarz wirkten. Seine Nase schien mir etwas zu knubbelig zu sein und man konnte erkennen, dass er einen kleinen Bauchansatz hatte. Doch er schenkte mir ein sympathisches Lächeln, legte die Handflächen aneinander und sagte: „Namaste.“ Etwas unbeholfen tat ich das Gleiche und erwiderte seinen Gruß. Dann ging ich auf ihn zu und sagte mit einem hoffentlich einladenden Lächeln auf den Lippen: „Guten Tag, Mister Advani. Es ist schön, Sie kennenzulernen. Ich bin Leah Johson und werde die Reportage über Sie schreiben. Ich freue mich schon auf unsere Zusammenarbeit.“ Er sah mich verwundert an, warf einen Blick auf seine Uhr und wollte etwas erwidern. Doch ich war schneller. „Ich weiß, wir sind etwas später dran als geplant. Aber mein Chef, Mister Harris, muss nur noch kurz ein Telefonat führen. Aber dann können wir die Einzelheiten besprechen und sofort loslegen,“ sagte ich und legte meine Tasche auf dem Tisch ab. Dann schenkte ich ihm mein charmantestes Lächeln, das ich im Reportoire hatte und es schien seine Wirkung nicht zu verfehlen. Sein Blick war zwar noch etwas unsicher, aber er erwiderte mein Lächeln. „Setzten Sie sich doch. Sie müssen da doch nicht so rumstehen!“ sagte ich etwas mutiger und wies auf den Platz mir gegenüber. Gerade als er etwas sagen wollte, hörte ich hinter mir ein dezentes Räuspern. Ich fuhr herum um zu sehen wer es wagte, mich bei meinem ersten Treffen mit meinem Interviewpartner zu stören. Doch anstatt die Assistentin von Charles oder jemand anderen aus der Redaktion zu sehen, stand da ein Mann den ich noch nie zuvor in der Redaktion gesehen hatte. Er war einen guten Kopf größer als ich, trug dunkle Stiefel und eine braune Hose sowie ein knallbuntes Hemd, dessen Farben in meinen verkaterten Augen schmerzten. Sein rabenschwarzes Haar trug er etwas länger, sodass er es locker nach hinten kämmen konnte, wobei sich einige wenige Strähnen gelöst hatten und ihm in die Stirn fielen. Seine Lippen waren schmal, doch schön geschwungen und seine Nase ein wenig zu groß, doch er war nicht unattraktiv. Seine Augen konnte ich nicht erkennen, da sie hinter einer großen Sonnenbrille verborgen waren, aber seine Haut war leicht gebräunt. Sein Teint passte zu seinen exotischen Gesichtszügen, soweit ich diese hinter der großen Brille erkennen konnte. Lässig lehnte er im Türrahmen und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Ein süffisantes Lächeln umspielte seine Lippen. Wer war er? Verwirrt sah ich von ihm zu meinem vermeintlichen Interviewpartner. Der wollte gerade etwas sagen, als Charles den Raum betrat. Er blieb hinter dem Fremden stehen, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte gut gelaunt: „Bitte entschuldigen Sie die Verspätung, Mister Advani. Ich hatte noch ein dringendes Telefonat, das ich erledigen musste. Aber wie ich sehe, haben Sie sich schon mit Miss Johnson bekannt gemacht.“ Mein Kopf fühlte sich an, als wäre er mit Watte ausgestopft. Der Fremde war Rahul Advani und ich hatte ihn nicht erkannt. Schlimmer noch. Ich hatte ihn mit einem Mann verwechselt,